Die Hochzeitsfeste

So suchten unsere Altvordern zu einer Zeit, wo man nicht hatte, was den stets wiederkehrenden allgemeinen Unterhaltungen und Vergnügungen unserer Zeit entsprach, ihres Lebens sich zu freuen, so lange sie von außen her nicht darin aufgeschreckt wurden. Am meisten galt es, bei einer Hochzeit Freude laut werden zu lassen. Galt es ja von jeher als religiöse Liebespflicht eines jeden Einzelnen, zur Vermehrung der Freuden eines Brautpaares beizutragen. Bevor wir hier die nähere Schilderung eines Hochzeitsfestes aus jener Zeit folgen lasten, möge zuvorderst eine kurze Darstellung folgen, in welcher Weise man überhaupt bei der Stiftung eines ehelichen Verhältnisses verfuhr.

Die Besseren sahen da nicht ans Geld allein, sondern auf die guten Sitten des Mädchens und den Lebenswandel feiner Brüder, vorzüglich sah man auf eine makellose Abstammung. Eine Verbindung, die der Neigung der jungen Leute zuwider war, wurde durchaus nicht gebilligt 116). Verbindungen, wie sie die höfische Zeit mit ihrem Minnedienste erzeugte, waren dort nicht möglich, wo alle Verhältnisse im Leben und namentlich die der Familie streng und ganz im religiösen Sinne aufgefasst wurden. Der Minnedienst mit dem Frauenraub und sonstigen Abenteuern waren den jüdischen Kreisen fremd geblieben. Wenn auch der junge Mann die Gattin ins Haus führte, ohne vorher in formeller Weise die Zuneigung der Liebe erklärt zu haben, nichts desto weniger liebte er sie in der Tat. Er folgte darin dem Beispiele des Stammvaters Isaak, von dem die Schrift (1. B. M. 24, 67) erzählt: „Er brachte die Rebecka ins Haus, er nahm sie zum Weibe — und er liebte sie“.


Die Behandlung der Frau blieb immer liebevoll, es herrschte Einigkeit in den Ehen, man hielt es für schimpflich, seine Frau zu beleidigen oder zu kränken und einem Manne, dessen Frau der Kummer über schlechte Behandlung getötet, wollte man das Recht absprechen, sie zu beerben 117). Von Jacob Levi wird mitgeteilt 118), dass er von seiner Frau, die er als Witwe geheiratet, nie anders als mit der ehrwürdigen, in der Blütezeit des Mittelalters mit „Herrin“ und nur Weibern höheren Standes zukommenden Bezeichnung „min Hußfruwe“, d. h. meine Hausfrau, gesprochen habe. (Eben so sprach derselbe von seinem Hauptlehrer R. Schalom aus Neustadt nie anders als „mein Meister“, 119) eine in jener Zeit neben „Magister“ gewöhnliche Benennung für ausgezeichnete Lehrer.) Bei der starken Familiengemeinschaft, die zu unserer heutigen Zerfahrenheit und den gelockerten häuslichen Zuständen in bitterem Gegensatze steht, war der Wille des Vaters, im Todesfalle der des ältesten Bruders, als Haupt der Familie verehrt, besonders bei Eingehung einer Ehe entscheidend, aber immer unter Berücksichtigung des eigenen Willens der zu verheiratenden Person.

Bei den Frühheiraten, welche immer empfohlen waren, fing der Vater recht zeitig an, seine Sorge hierauf zu lenken. Zur Ausführung waren ihm besondere Vermittler behilflich, als Agenten des Himmels, in welchem alle Ehen, wenn auch nicht, wie das Sprichwort sagt, geschlossen, aber doch beschlossen werden. Von solchen Vermittlern wusste man, dass sie gewöhnlich in der Darstellung der Verhältnisse übertreiben 120), um zuvörderst zum näheren Eingehen in die vorgetragene Sache anzuregen. War die Partie zu Stande gekommen, so erhielten die Vermittler ein Honorar, welches in Österreich erst nach der Hochzeit, in der Rheingegend aber schon bei der Verlobung ausgezahlt wurde. 121) Ein besonderes Vertrauen für solche Vermittelungen besaß der in jener Zeit allgemein bekannte Rabbiner Jakob Lewi in Mainz, an den man sich sehr gern wandte, um geeignete Vorschläge entgegenzunehmen. Ein Zeitgenosse schildert den Respekt 122), den man für einen von Seiten dieses Gelehrten gemachten Vorschlag hegte, mit jenen Worten Hiobs: „Auf mich hörten sie und harrten, und warteten schweigend auf meinen Rat. Nach meinem Worte sprachen sie nicht wider und auf sie träufelte meine Rede“.

Man honorierte Lewis Bemühungen in solchem Falle reichlicher wie sonst und die Revenue bildete zum größten Teil seinen Lebensunterhalt, während das Gehalt, welches die Gemeinde an ihn zu zahlen hatte, für seine Hochschule verwendet wurde. Waren die Präliminarien, über welche mit den Angehörigen verhandelt wurden, festgestellt, so schritt man zur Verlobung im heutigen Sinne des Wortes, da die talmudische Sitte, nach erfolgter Verabredung Verlobung und Trauung an einem und demselben Tage hintereinander zu begehen und das Hochzeitsfest erst später folgen zu lassen, im Mittelalter nur selten noch vorkam 123). Die Verlobung war mit dem Augenblicke, wo ein Reugeld für die etwa zurücktretende Partei festgesetzt war, als geschlossen anzusehen, worauf die Verwandten der Brautleute mit verschiedenem Backwerk bewirtet, auch mit großen, runden Faltenkragen beschenkt wurden 124). Die Überreichung der Geschenke an die Braut, welche gewöhnlich am Vorabend des bestimmten Hochzeitstages erfolgte, veranlasste eine besondere Feierlichkeit 125). Da erschien der Rabbiner in Begleitung der Vornehmsten aus der Gemeinde und redete die geschmückte Braut mit den Worten an: „Höre mich an, holde Braut, dein Bräutigam sendet dir durch mich die Geschenke, die du aber erst nach vollzogener Trauung als dein unbeschränktes Eigentum betrachten mögest“. Züchtig blickt die Braut zur Seite, sie schämt sich, sträubt sich, die Geschenke anzunehmen und ersucht dann eine Frau aus der Gesellschaft, die Geschenke in Empfang zu nehmen. Solche beschenke, in der talmudischen Zeit unter dem Namen „Siflonoth“ [Leiden-Gürtel] bekannt, bestanden, wie es auch in der nichtjüdischen Welt des Mittelalters zum größten Teil Brauch war, in einem mit Gold besetzten Gürtel, in Schleier, Kursen und Kräntzel, für den Bräutigam in Ring und Schuhen, wozu gewöhnlich die Mutter der Braut einen mit Silber besetzten Gürtel fügte 126).

Eine andere Vorfeier der Hochzeit fand an dem der Hochzeit vorangehenden Freitagabend Statt, nämlich eine das ganze Fest einleitende Lustbarkeit zu Ehren der Eltern des Brautpaares, wobei besonders Nüsse verteilt wurden. Diese Feier nannte man „Vorspiel“, meistens aber Spinolz, ein Name, welcher mit dem italienischen spinalzare, spielen und sich belustigen, den Ursprung dieser Sitte in Italien suchen lässt 127). — Achtete man auch sorgfältig darauf dass nicht zwei Hochzeiten an einem Tage stattfinden sollten, selbst nicht eine jüdische Hochzeit mit einer christlichen 128), so war man doch bei der Wahl des Tages für eine Hochzeitsfeier durchaus nicht von jenem Aberglauben geleitet, der die Deutschen 129), bei denen, wie bei keinem anderen Volke, Tagwählerei heimisch ist, in dem Dienstag, als an dem vor allem bösen Einfluss gesicherten Tage, den der Ehestiftung günstigsten Tag erblicken lässt. Es ist dies ein Aberglaube, der sogar in unserer Zeit noch, auch von Juden, festgehalten und hinterher mit einem Hinweis auf den Umstand begründet zu werden pflegt, dass in der Schöpfungsgeschichte das Werk des dritten Tages zweimal mit dem Prädikat „es war gut“ bezeichnet ist. Es ist mehr als lächerlich, wenn auch in der Gegenwart in Häusern, denen jede ächte jüdische Sitte längst fremd geworden ist, mit Ängstlichkeit darauf gehalten wird, bei der Verheiratung der Töchter nur ja den Dienstag als den Glückstag zu wählen. Wenn, wie in talmudischer Zeit aus temporären Gründen 130), so auch in manchen Gegenden des Mittelalters gewöhnlich der Mittwoch zu solchem Zwecke ausersehen war, so waren hierbei lokale Gründe leitend; damit nämlich die Gäste von außerhalb noch zeitig auf die Heimreise sich begeben und vor Eintritt des Sabbat wieder zu Hause sein konnten.

In den größeren Gemeinden dagegen, wo für entsprechende Räumlichkeiten zur Unterbringung von Gästen eher gesorgt werden konnte, wurden, wie es noch heute bei den Juden in den östlichen Ländern der Brauch ist, die Hochzeiten gewöhnlich am Freitag gehalten 131), obgleich bereits in talmudischer Zeit sich Stimmen gegen den Freitag als Hochzeitstag erhoben 132). Wenn hierbei ein mehr von kabbalistischem Einfluss beherrschter Autor erwähnt, dass von Vielen dieser Tag deshalb gewählt werde, weil er der Venus oder Freia geweiht ist 133), so wird doch von anderer maßgebender Seite ausdrücklich erklärt, man habe diesem Tage nur mit Rücksicht auf die Unbemittelten den Vorzug gegeben, um nämlich ökonomisch die Feier mit dem unmittelbar darauf eintretenden Sabbat vereinigen zu können. Um nun aber einen Unterschied, welcher die Armen nur beschämen würde, zu vermeiden, wählen auch die Reichen den Freitag für die Feier einer Hochzeit. Dass sich um das Hochzeitsfest eine Menge Gebräuche sammelten, indem man häufig nach den verschiedenen Sitten der Landesteile geschäftig war, es möglichst zu schmücken und auszuzeichnen, ist wohl erklärlich. Die Schilderung einer Hochzeit 134), wie sie am Schlusse des 14. Jahrhunderts in Mainz gefeiert wurde, wird uns ein ziemlich allgemeines Bild von der jüdischen Hochzeitsfeier jener Zeit überhaupt geben. —

Am Freitag in aller Frühe ruft der Synagogen-Diener zur Synagogen-Andacht und ladet hierbei zugleich die ganze Gemeinde zum Mayen, d. h. zur Feier ein Alle sollten Teil nehmen an einer solchen Feierlichkeit, die deshalb auch einen privaten Charakter nicht trug, viel mehr als allgemeine Freude von Allen mitempfunden und geäußert wurde 135). Der Rabbiner und die Honoratioren zur Seite des Bräutigams, die ganze Gemeinde im Gefolge, begeben sich mit Vortragung von geflochtenen Kerzen 136) und unter Begleitung der Musiktöne, die nicht selten auf der Straße zum Tanze anregten, in den Synagogen-Vorhof, Hierauf holen die Träger der Kerzen und die Musikanten die Braut mit deren Freundinnen, geleitet von den Frauen 137), feierlichst ab. Ist die Braut im Synagogen-Hof angelangt, wird ihr der Bräutigam von dem Rabbiner und den Vornehmen aus der Gemeinde entgegengeführt, der Bräutigam erfasst die Hand der Braut, die Anwesenden bestreuen sie Beide mit Weizenkörnern, ihnen hierbei die Psalmworte zurufend: „Er umgebe dein Gebiet mit Frieden, sättige dich mit dem Mark des Weizen?“.

Unter die Körner wurden auch Geldmünzen gemischt, damit die Armen sie aufsammeln könnten. Hand in Hand geht dann das Brautpaar bis zur Türe der Synagoge, wo es sich ein wenig niederlässt. Nachdem es so vereint einige Augenblicke auf der Bank zugebracht, wird die Braut nach Hause geleitet, damit sie ihre Toilette vollende. Sie legt an ihrem Ehrentage statt des gewöhnlichen Überrockes die Kursen an, welche die verheirateten Frauen an Festtagen zu tragen pflegten. Es war dies ein ziemlich weiter Überwurf, bei dem die Ärmel eng anlagen, mit Pelzwerk gefüttert und mit Seide überzogen. Der Überzug war gewöhnlich so kostbar gestickt, als das Pelzwerk wertvoll war. Das Sargenes 137a), ein weißes Kleid, welches die Braut über alle ihre Kleider anzieht, soll die Freude des Tages mäßigen und wehmütige Erinnerungen hervorrufen. Das Gesicht verschleiert, wie einst Rebecka in der Nähe Isaaks, das Haupt verhüllt, — weshalb auch von einem Kranzschmuck, der sonst bereits im Altertum gebräuchlichen 137b), nicht die Rede ist, — sollte die Braut in der größten Freude ihres Lebens, dem Ausspruch des Psalmisten folgend: „Wenn ich, Jerusalem, nicht dein gedächte, wenn ich dich nicht erhebe auf den Gipfel meiner Freude“, zugleich an die allgemeine Trauer um Zion mahnen. Auch der Bräutigam bekundet diese schmerzvolle Teilnahme an der Trauer der Gesamtheit. Im sabbatlichen Anzuge zwar, erscheint er jedoch mit seiner Kopfbedeckung wie ein Leidtragender. Er trägt die Kappe, ein Gewand mit offenen Halbärmeln, mit Kragen und Kapuze versehen. Letztere, in den Quellen Mitron, zu deutsch Gugel, genannt, zieht er heute, wie in der Trauer, über den Kopf, nachdem die Stelle am Haupte, wo sonst der Schmuck der Tefillin ihn ziert, mit Asche bestreut worden. Hat der Bräutigam neben der heiligen Lade, an der nordöstlichen Seite, den Ehrensitz eingenommen, beginnt man mit dem Morgengottesdienst, worauf unmittelbar nach dem Gebete die Trauung folgt. Die Braut wird unter Musikklängen bis zur Pforte der Synagoge geführt und während sie daselbst verweilt, holt der Rabbiner den Bräutigam ab und geleitet ihn zur Emporbühne in der Mitte der Synagoge. Hierauf begibt sich der Rabbiner in Begleitung der Vornehmsten aus der Gemeinde zur Synagogenpforte, um die Braut feierlichst einzuholen. Der Bräutigam fasst die Braut beim Kleide an und führt sie zu Rechten des Bräutigams. Die Mutter des Letzteren sowohl, als die der Braut stehen während des ganzen Trauakts auf der Emporbühne. Mit dem Talith, dem Gebetmantel, den nach rheinischer Sitte der Bräutigam heute überhaupt zum ersten Male umlegt, oder auch mit dem langen Zipfel, der von der Mitra des Bräutigams herabhängt, wird das Brautpaar eingehüllt und es geht so der Trauungsakt vor sich. Nach Beendigung desselben erfolgen die Glückwünsche für das Brautpaar, man wünscht eine reich gesegnete Ehe 138), erst im 15. Jahrhundert hört man den noch heute üblichen Glückwunsch ...139), worauf man sich beeilt, den Bräutigam zuerst nach Hause zu geleiten, damit er nachher der Braut bis an das Tor entgegengehe, ihre Hand ergreife und dieselbe auf die obere Pfoste lege, um sie so im Bereiche des Hauses als nunmehrige Gebieterin zu proklamieren. 140) Nicht selten wurde aber die Trauung erst gegen Abend vorgenommen, 141) Das eigentliche Fest im sogenannten Tanzhause begann jedenfalls erst am Abend selbst, dauerte aber dann, mit alleiniger Unterbrechung durch den Gottesdienst am Vormittage des Sabbattages, bis zum Sonntag Morgens, indem die Hauptmahlzeit am Sabbat zur Vesperzeit begann, 141a) und gewöhnlich in der Nacht des Sabbat-Ausgangs häufig aber auch schon am Nachmittage des Sabbat selbst der Tanz stattfand. Ausschreitungen, welche die Ungebundenheit bei solcher Gelegenheit hervorrief, war die Ursache, dass man unter die Zahl der Verordnungen des Rab. Gerschom die Bestimmung aufnahm, dass die Jugend, welche oft Erpressungen sich erlaube, nicht mehr als 6 Denare von dem Bräutigam zu nehmen habe und dass sie von Niemandem irgend Etwas heimlich entwenden dürfe. 142) Der Gottesdienst am Freitagabend wird im Hause des Bräutigams von der erwachsenen Jugend abgehalten. Zu dem Gottesdienst am Sabbat Vormittag wird der Bräutigam wiederum von den Honoratioren der Gemeinde feierlichst eingeholt, er erhält mit seinen Beiständen, die ihm von den Eltern des Brautpaares zur Seite gegeben werden, Ehrensitze in der Nähe der heiligen Lade. Er genießt mit seinen Beiständen gewisse liturgische Vorrechte und bildet auch im Gottesdienst den Glanzpunkt des Tages. Beim feierlichen Aufruf zur Thora-Vorlesung begleiten ihn die Beistände; er spendet bei dieser Gelegenheit zum Besten des Jugendunterrichts und der Ausstattung armer Bräute, weihet zugleich seinem Ehrentage zum Andenken ein reich gesticktes Band zur Umhüllung der Thorarolle (mit dem eingestickten Namen ein Äquivalent für unsere heutigen Personenstandsregister). Aus der Synagoge in seine Wohnung zurückgekehrt, überreicht der neue Ehegatte der jungen Gattin seinen Mantel, Gürtel und Hut, um ihr den Anteil an seinem Vermögen öffentlich zu zuerkennen. 143) Der ganze Tag und die darauf folgende Nacht sind der allgemeinen Belustigung gewidmet, für die natürlich Instrumental-Musik unentbehrlich war. Als daher einmal wegen eingetretener Landestrauer jede Musik untersagt war, verlegte man eine Hochzeitsfeier von Eppstein nach dem drei Meilen entfernten Mainz, um nur nicht der zur Erhöhung der Festfreude wesentlichen Musik zu entbehren. 145) Die Spielleute waren Christen, da am Sabbat das Musizieren nicht erlaubt ist, wie man auch deshalb einmal bei einer solchen Gelegenheit nicht gestatten wollte, dass ein Apostat zum Tanze die Laute schlage. 145) —