Die Gelegenheiten zur Belustigung und Abwechslung

Haben wir somit die Spiele, Lustbarkeiten und sonstigen Vergnügungen im jüdischen Volksleben dargestellt, so wollen wir nunmehr die besonderen Gelegenheiten kennen lernen, welche jene Belustigungen, die in den Erscheinungen des täglichen Lebens eine Abwechselung hervorbrachten, zu veranlassen pflegten.

Galt auch im Allgemeinen die nicht allein von den Morallehrern gepredigte, auch von dem Ernste des Lebens eingegebene Forderung, jede übermäßige Freude zu unterdrücken und selbst an Sabbaten und Festtagen nur in der religiösen Freude den ächten Ausdruck des gehobenen Gefühls zu suchen und zu finden, so wollte man doch nicht ein durchaus klösterliches, beschauliches Leben empfehlen. „Halte dich von den Extremen fern“, ruft 3t. Jehuda der Fromme aus, „sage nicht, ich will kein Fleisch essen, keinen Wein trinken, keine schöne Wohnung haben, keine anständige Kleidung anlegen, will mich vielmehr wie christliche Mönche mit härnem Gewande umgeben — denn dies wäre ebenfalls ein sündhafter Weg, da Du Dir nur zu versagen hast, was die Schrift zu genießen verbietet 84)“.


Wir werden daher nicht selten finden, wie unsere mittelalterlichen Brüder Gelegenheit nahmen, auch einer lauten Freude kräftigen Ausdruck zu leihen. Zwar feierte man nicht Geburtstage, auch nicht silberne, goldne oder demantne Hochzeiten, dafür aber solche Zeiten, die mit dem eigentlichen Religionsleben in engster Verbindung standen. So wurde eine besondere Festlichkeit veranstaltet, wenn das Studium eines Talmud-Traktats beendigt war. Der Schluss desselben wurde in Anwesenheit der ganzen Gemeinde vorgetragen, hierauf fand ein Festmahl Statt, an dem sogar im Trauerjahre befindliche Personen, wie an jedem anderen religiösen Feste Teil nehmen durften. Nicht selten verband man damit die Feier eines 60. Geburtstages, den Mancher mit Rücksicht auf einen talmudischen Ausspruch, wie in unseren Tagen den 70., feierlich begingt). Man wählte für eine solche Feier häufig den 33. Omertag, den man ohnedies als kleinen Festtag begeht, und an dem man in der allgemeinen Freude in den Rheingegenden auch den Christen Geschenke sandte 85).

Eine besonders laute Festfreude entwickelte sich an dem letzten Tage des Hüttenfestes, an welchem die Vorlesungen aus dem Pentateuch beendet und hierauf von Neuem begonnen werden. In Sachsen pflegte Derjenige, welcher die Vorlesungen beschloss, ein Festmahl der ganzen Gemeinde zu geben, wobei es mit Süßigkeiten und fettem Geflügelwerk sehr flott herging, nachdem die Honoratioren den Ehren-Bräutigam der Thora, wie man ihn nannte, feierlichst nach Hause geleitet hatten 87). Die Frauen ließen es sich nicht verbieten, am Feste selbst Früchte von Nichtjuden holen zu lassen, um sie bei dem feierlichen Umgange in der Synagoge unter die Jugend, zu großer Ergötzlichkeit derselben, zu werfen 88). Eine andere eigentümliche Freude bereitete sich die Jugend an diesem Tage, indem sie von Haus zu Haus lief, alle am Feste gebrauchte Bachweiden sammelte und damit ein großes Feuer unterhielt. Man nahm sogar hierzu das Material der Laubhütte; erregte es auch das Missfallen mancher Gelehrten, wie z. B. des Vaters von Jakob Lewi (am Schlusse des 14. Jahrhunderts) und des Jakob Weil 89), so war es wiederum der Sohn des Ersteren, der Verfasser des sogenannten Maharil, der sich hierbei mit der Jugend gar sehr freuen und sogar selbst ihr das Material der Laubhütte überweisen konnte, sie zugleich aneifernd, das Material der anderen Laubhütten herbeizuschaffen.

Ein besonderer Eifer entwickelte sich in dem Arangement für die häufig mit einer gewissen Komik verbundene Freude am Weihefeste und an Purim, an dem es nicht selten vorkam, dass in der ausgelassensten Ungebundenheit Einer vom Andern fortgerissen wurde, ähnlich wie bei dem Schönbartlaufen jener Zeit. Es herrschte an diesem Tage ein gewisser Kommunismus, überall fand man einladende, freie Tafel und ausdrücklich wird betont, dass die erwachsene Jugend für manche Ausschreitungen in solcher Freude zur gerichtlichen Verantwortung nicht gezogen werden dürfe 90). Man bedachte bei der Verteilung von Liebesgaben an diesem Tage auch christliche Arme, man hielt sich um so mehr dazu verpflichtet, da diese das ganze Jahr hindurch zu gewissen Dienstleistungen am Sabbat bereitwillig sich fanden 91). Verkleidungen waren am Chanuka, Purim und bei Hochzeiten sehr gewöhnlich, wie im Mittelalter überhaupt die Lust zu Verkleidungen und Vermummungen mit festlicher Ausgelassenheit allgemein war, daher auch nicht zur Zufriedenheit der frommen Gesetzeslehrer, welche solche Verkleidungen nur in Gefahren der Verfolgungen gestatten wollten 92). Hört man doch in Wirklichkeit, wie in solchen Zeiten, um unerkannt zu bleiben, von Juden Mönchskleidung angelegt wurde, eine jüdische Frau aus dem Haare ihrer Freundin einen Bart sich fertigte, um als Mann gelten und den Nachstellungen der Barbaren entgehen zu können, wie man auch aus diesem Grunde einer Frau gestatten wollte, zur Zeit der Gefahr die Kleidung einer Nonne anlegen, selbst ein Schwert umgürten zu dürfen 93).

Doch wenden wir uns hiervon ab, kehren wir vielmehr zu unserm Thema zurück, unsere Ahnen in ihrer Lebenslust zu belauschen. Ward ja diese täglich, selbst in den Zeiten trübsten Elends und schmerzlichster Bedrückung, genährt, einerseits durch die Freude, welche das Studium der Gotteslehre ihren Verehrern gewährt, andererseits durch den Gottesdienst, welcher an jedem Tage unverändert mit denselben Lobeshymnen an die Gottheit beginnt und schafft, dass die Not des drängenden Moments die religiöse und mit ihr zugleich die freudige Stimmung nie verkümmert. Vorzüglich aber waren es die Sabbate und die Festtage, die im trauten Familienkreise die Freude erzeugte, der nur das echt jüdische Leben fähig ist, von der aber Viele in unsern Tagen erst aus den Federzeichnungen der Novellisten Etwas erfahren mögen. — Zur Erhöhung des Lebensgenusses trug vorzüglich die Freude des Behagens am wohnlichen Raume bei, im Allgemeinen erst mit dem, seit dem 15. Jahrhundert wachsenden Lebensgenuss sich fühlbar machend, bei den Juden aber zu allen Zeiten herrschend, was bei dem innigen Familienleben (dem die reichsten und reinsten Quellen des Sittlichen entspringen 93a) und der vielfach geistigen Beschäftigung derselben leicht erklärlich ist. Man unterschied zwei Wohnungsräume 94), zu deren Seiten sich Bänke zogen, nämlich das heizbare Winterhaus, welches nicht selten Wohn-, Speise- und Schlafstube in sich vereinigte, und das Sommerhaus, auch Vorhaus genannt, wo man im Sommer speiste und studierte; es war dieses aus den weitvorspringenden Erkern gebildet, mit welchem man die Häuser versah. — Wir können nicht unterlassen, bei dieser Gelegenheit, so weit unsere Kenntnis es gestattet, uns ein wenig in der Wohnung unserer mittelalterlichen Brüder umzuschauen. Die wohnlichen Räume schmückte man zu Ehren des Sabbat mit Baumzweigen; am Wochenfeste, also zur Zeit der bereits im Blumenschmuck prangenden Natur, bestreute man auch den Estrich des Gotteshauses mit angenehm duftenden Pflanzen und Rosen 95). Ebenso entwickelte man einen besonderen Eifer in dem Ausschmücken der Laubhütte mit Blumen und Laubgewinden 95a) Es ist überhaupt das Wohlgefallen an Pflanzen-Kultur bei unseren Altvordern hervorzuheben, wie auch oft um das Gotteshaus herum ein Gärtchen sich zog 96). Die Synagoge zu Köln hatte im zwölften Jahrhundert Glasmalerei in ihren Fensterscheiben; an den Wänden derselben sah man Löwen und Schlangen gemalt. Auch auf den Decken des Tisches auf der Emporbühne waren Abbildungen von Vögeln und Fischen 97), wie solche noch in den uns erhaltenen Handschriften oft zu sehen sind. Ebenso sind gemalte 98) Zimmer nachweisbar, dagegen weniger eine Bildnisdarstellung zu etwaigem Zimmerschmuck, wiewohl der Gebrauch, die Wände mit historischen Bildern, wie z. B. mit der Geschichte der Opferung Isaaks oder des Kampfes mit dem Riesen Goliath zu bemalen und hierunter die Geschichte selbst in Kürze zu vermerken, in jüdischen Quellen 99) erwähnt wird. Während mit dem 16. Jahrhundert in Deutschland die Bildnismalerei zu einem selbstständigen Kunstzweige sich entfaltet und gegen Ende desselben Jahrhunderts die wohnräumliche Ausstattung durch Bildnisse allgemeinere Verbreitung findet, wird uns ein Portrait aus jüdischen Kreisen Deutschlands erst mit dem 18, Jahrhundert bekannt 100); bei den italienischen Juden dagegen finden wir bereits zu Ende des 15. Jahrhunderts ein Bildnis, nämlich das des Rabbiners Juda Menz in der Aula der Universität zu Padua. 101)