Aus dem Mittelalter

Bilder aus der deutschen Vergangenheit
Autor: Freytag, Gustav (1816-1895) deutscher Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1867
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Deutschland, Mittelalter, Sittengeschichte
Vorwort

Es sind jetzt sieben Jahre, da schrieb ich Ihren Namen vor die erste Auflage der „Bilder aus deutscher Vergangenheit.“ Damals war meine Absicht, an Aufzeichnungen vergangener Menschen aus den letzten Jahrhunderten einige der großen Gedanken darzustellen, welche das Leben unserer Nation gerichtet haben, und einige der klugen Lehren, welche aus dem Strom der Geschichte für die Zukunft geschöpft werden können. Gern kehrte ich zwischen anderen Arbeiten zu diesen anspruchslosen Illustrationen unserer politischen Geschichte zurück, das erste Buch wurde in einem zweiten: „Neue Bilder“ fortgesetzt. Seit einem Jahre wünschen Sie andere Auflagen. Da beide genannte Arbeiten ergänzend in einander reichen, so war geboten, sie in ein Werk zusammenzufügen.

Hieran knüpfte sich der Wunsch, weiter Zurückzugreisen und auch Stimmen aus dem frühen Mittelalter sprechen zu lassen. Denn eine ans allen Jahrhunderten gewählte Reihe von Zeugnissen machte vielleicht möglich, Eigentümliches der Kultur und des Gemüts in seinem Werden, Wirken, Vergehen ähnlich zu beobachten, wie wir gesetzliche Wandlung an Baum und Blüte begreifen, und ferner, einige der höchsten leitenden Ideen unserer Geschichte zwar nicht neu zu erweisen, aber in neuer Beleuchtung zu zeigen. Freilich, in dieser ältesten Zeit sind die Berichte, welche Detail des Privatlebens gewähren, sehr spärlich, unsere Kenntnis der wichtigsten Lebensformen ist unsicher, die Literatur sehr umfangreich, fast an jedem Satze alter Historiker hängen Streitfragen unserer Wissenschaft. Dennoch war unvermeidlich , gerade die älteste Zeit germanischer Geschichte bis zu Karl dem Großen ausführlicher zu behandeln, weil nur aus ihr das Verständnis für die bedeutsamsten Bildungen im spätern Mittelalter zu holen ist. Es ist ein langer Weg, der von dem reisigen Gefolge des Ariovist zu den Edelleuten Friedrichs des Großen führt und von den römischen Cohorten der Heruler zu dem Bundesarmeecorps der Bayern, und doch haben zweitausend Jahre unserer Geschichte in Tugenden und Schwächen, in Anlage und Charakter der Deutschen weit weniger geändert, als man wohl meint. Es rührt und es stimmt heiter, wenn wir in der Urzeit genau denselben Herzschlag erkennen, der noch uns die wechselnden Gedanken der Stunde regelt. — Gern hätte ich bei eigener Zutat reichlicher die Quellen angemerkt, aber dadurch wäre ein Buch zu sehr belastet worden, das keinen höhern Ehrgeiz haben darf als den, ein bequemer Hausfreund zu werden.

Dieses Buch soll ein selbständiges Ganze sein, und zugleich erster Teil eines Werkes, welchem die früher herausgegebenen Bilder in drei Bänden folgen. Der zweite Band umfasst die Jahrhunderte der Habsburger und der Reformation, der dritte die Zerstörungen und Neubildungen des siebzehnten Jahrhunderts, der vierte das Jahrhundert Friedrichs des Großen und die neue Zeit.

Bei diesem Zusammenschluss ergab sich ein kleiner Übelstand: die Einleitung, welche bisher den Bildern vorstand und doch einmal zu dem Werke gehört, konnte nur der neuen Arbeit dieses Bandes vorgesetzt werden.

Die Ereignisse des Jahres haben das Buch aufgehalten. In dieser Zeit wurde uns das Glück, zu erleben, was die Beschäftigung mit deutscher Vergangenheit zu einer sehr frohen Arbeit macht. Seit dem Staufen Friedrich I. haben neunzehn Generationen unserer Ahnen den Segen eines großen und machtvollen deutschen Reiches entbehrt, im zwanzigsten Menschenalter gewinnen die Deutschen durch Preußen und die Siege der Hohenzollern zurück, was vielen so fremd geworden ist wie Völkerwanderung und Kreuzzüge: ihren Staat.

Dass ich diese Monate eines unermesslichen Fortschritts, den Anfang einer neuen Periode deutscher Geschichte, neben Ihnen durchlebte in gemeinsamer Sorge, Hoffnung, Erhebung, daran soll den treuen Freund die neue Widmung erinnern.
Am 18. Oktober 1866.
Gustav Freytag.
Die gute alte Zeit

Vergebens sucht der Deutsche die gute alte Zeit. Auch ein frommer Eiferer, der Hegel und Humboldt als die großen Atheisten verdammt, auch der konservative Grundherr, welcher für die Privilegien seines Standes mit den Mächten der Gegenwart hadert, sie würden, in eins der früheren Jahrhunderte zurückversetzt, zuerst ein maßloses Staunen, zuletzt einen Schauder vor ihrer Umgebung empfinden. Was sie am meisten begehren, das würde ihre Seele elend machen, und was sie jetzt gedankenlos oder grollend von unserer Bildung empfangen, es würde ihnen so fehlen, dass sie über dem Mangel verzweifelten.

Man versuche, sich in die Gefühle eines deutschen Gutsherrn zu denken, den ein Ahn seines Hauses mit starker Geisterhand in das Jahr 1560 zurückzieht. Statt des Hauses, das er sich jetzt in altdeutschem Styl, unter englischen Anlagen aufgeführt hat, würde ihn der alte Bau selbst umschließen, düster, geflickt, unwohnlich, entweder auf wasserarmer Höhe in scharfen Zug des Windes gesetzt, oder rings von übelriechendem Grabenschlamm umgeben. Zwar hat schon die dritte Generation vor jener Zeit trübe Scheiben in die kleinen Fenster gefügt*), und große Kachelöfen, die mit Holzkloben aus dem nahen Walde genährt werden, halten die Winterkälte von dem Wohnzimmer ab. Aber der Raum ist enge, denn noch gilt es, ihn bei Gelegenheit gegen einen gewaltsamen Überfall zu verteidigen, wenn nicht in einer Fehde mit den Bürgern der Nachbarstadt oder einem feindlichen Junker, doch gegen eine streifende Bande von Mordbrennern, oder gegen zuchtloses Kriegsvolk, das auf Rache denkt, weil es vom nächsten Landesherrn um einen Teil des Soldes betrogen wurde. Unwohnlich und unsauber ist das Haus, denn es beherbergt außer der Familie des Grundherrn noch viele andere Bewohner, jüngere Brüder oder Vettern mit Weib und Kind, zahlreiche Knechte, darunter manch unheimlichen Gesellen mit finstrer Vergangenheit, und als erprobte Kriegsmänner auch einzelne narbige Landsknechte, um 1560 schon ruchlose Lohnsoldaten. Von dem Düngerhaufen des kleinen Burghofes tönt das Geschrei zankender Knaben, und um den Herd der großen Küche nicht weniger misstönend das Hadern der Frauen. Die Kinder des Hauses schießen auf zwischen Pferden, Hunden und dem Gesinde, spärlichen Unterricht finden sie in der Dorfschule, dann hüten wohl die Knaben die Gänse und das Kleinvieh der Mutter*), oder sie ziehen mit den Dorfleuten nach dem Wald, Holzbirnen und Pilze zu sammeln, welche zur Winterkost gedörrt werden. Die Schlossfrau selbst ist die Schaffnerin, die erste Köchin und der Arzt des Haushaltes, längst gewöhnt, mit wilden und zuchtlosen Männern zu verkehren, wohl auch den Misshandlungen des trunkenen Gatten zu widerstehen. Sie ist treu, wirtschaftlich, stolz auf Wappen, Goldkette und Goldbrokat des Hauses, sie sieht argwöhnisch auf Gewand und Schmuck der Ratsfrauen in der Stadt, welche Marder und Zobel, samtene Kleider, Perlen im Haar und Edelsteine im Halsband nicht tragen dürfen. Sicher verklärt auch ihr Liebe und weiche Empfindung in vielen Stunden Antlitz und Geberde; aber was damals in den Häusern der Edlen, ja an Fürstenhöfen noch als züchtig und dem ehrbaren Weibe erlaubt galt, in Rede und vertraulichem Scherz mit dem eigenen Mann, das müsste jetzt an der Frau des einfachen Handwerkers nicht selten als unanständig verurteilt werden.

*) Erst seit dem fünfzehnten Jahrhundert werden Glasscheiben, wenigstens in den Städten, allgemein, erst seit dieser Zeit kommt das Behagen der Stube und die Freude am wohnlichen Raum in das Voll. Noch 1646 hielt man es der Erwähnung Wert, dass die Schlafkammer in Luthers gräflicher Gastwohnung zu Eisleben durch eingefügte Fenster wohl verwahrt war.

**) Der kleine Hans von Schweinichen wurde 1560 als Gänsehirt abgesetzt , weil er die Schnäbel aller Gänse mit einem Hölzchen auseinander gespannt hatte, um sie zur Ordnung zu bringen.


...

Freytag, Gustav (1816-1895) deutscher Schriftsteller

Freytag, Gustav (1816-1895) deutscher Schriftsteller

Martin Luther als Junker Georg

Martin Luther als Junker Georg

Sittenbilder aus dem Mittelalter

Sittenbilder aus dem Mittelalter

Sittenbilder aus dem Mittelalter

Sittenbilder aus dem Mittelalter

Sittenbilder aus dem Mittelalter

Sittenbilder aus dem Mittelalter

Sittenbilder aus dem Mittelalter

Sittenbilder aus dem Mittelalter

006 Neuß. St. Quirinskirche

006 Neuß. St. Quirinskirche

015 Maria Laach. Klosterkirche

015 Maria Laach. Klosterkirche

023 Frankfurt am Main. Römerberg

023 Frankfurt am Main. Römerberg

025 Frankfurt am Main. Salzhaus und Römer

025 Frankfurt am Main. Salzhaus und Römer