Abschnitt 7

10 Smolensk Borodino Schlacht an der Moskwa.


Prinz Eugen begab sich nach Borodino, wo er den ganzen Vormittag verweilte, während ich nochmals einen großen Theil des Schlachtfeldes überritt und zeichnete, soviel ich in der kurzen Zeit konnte. Wahres Herzeleid verursachte es mir, diesen Reichthum von Uniformstücken, Sattelzeug, Armaturen und Kopfbedeckungen aller möglichen Waffengattungen herumliegen zu sehen, ohne etwas mitnehmen zu können. Ein Schlachtenmaler hätte hier Material für sein Leben gehabt. Aber wie diese Dinge transportiren? Ich hätte hiezu mindestens ein paar Fourgons gebraucht und es fehlte im allgemeinen ohnehin an Transportmitteln. Gern hätte ich auch hier noch einige Tage verweilt, um nur einiges von dem vielen Merkwürdigen zu zeichnen, das sich hier darbot. Als ich gegen 1 Uhr Nachmittags nach Borodino zurückkam, war man eben im Aufsitzen begriffen, um die Straße nach Moskau einzuschlagen.


Moskau! das war der Gedanke, welcher nun alles neu belebte. Welche Hoffnungen knüpften sich an diese alte Hauptstadt Rußlands! Welch stolzer Gedanke für die leicht zu begeisternden Franzosen, auf dem alten Czarenpalaste ihre Adler aufzupflanzen! Daß dieses in kürzester Frist geschehen werde, daran zweifelte Niemand. Man war gewöhnt, daß Napoleon stets den Feinden in ihrer Hauptstadt den Frieden diktirte. An diese Hoffnung knüpfte sich der Gedanke, von Moskau mit Lorbeer gekrönt bald in die liebe Heimath zurückzukehren! Alles war von diesem Wunsche beseelt, und der Mensch glaubt ja so gerne, was er sehnlichst hofft und wünscht. Wohl waren auch manche, die sich nicht so ganz diesen süßen Träumen hingaben: der Krieg, den die Russen bis dahin mit eiserner Consequenz nach ein und demselben Princip geführt hatten, gab Anlaß genug, den Flug der Begeisterung in etwas zu hemmen, daran aber mochte Niemand denken, daß die Russen ihre alte Czarenstadt, an welche sich so viele heilige Erinnerungen knüpfen und welche so viele Schätze in sich faßt, auf solche Weise opfern, wie es die Folge lehrte.

Die Armee theilte sich nun auf verschiedenen Wegen, den Russen zu folgen; die italienische Armee unter Prinz Eugen schlug die Richtung gegen Krasnoje ein und zog an Moshaisk vorüber. Von da kamen wir nach Vendeskoje. Die Scenerie schien sich auf einmal verändert zu haben und ließ vermuthen, die Russen hätten auf diesem Wege keine Franzosen er wartet. Die meisten Bewohner waren zwar geflohen, aber das sonst gewöhnliche Signal, welches unserer Bahn voranging, der Brand, hatte uns diesmal den Weg nicht bezeichnet. Wir fanden Lebensmittel und Fourage, die Soldaten waren guter Dinge, und mit jeder Stunde wuchs die Hoffnung, daß man in Moskau bald für so lange, so große Entbehrungen entschädigt werde.

Zu Vendeskoje fanden wir ein schönes Schloß mit prachtvoller Einrichtung, die von Geschmack, Kunstsinn und Reichthum zeugte: eine große, schöngeordnete Bibliothek, eine große Kupferstichsammlung von vorzüglichen und kostbaren Werken, Mal- und Zeichnungsrequisiten aller Art. Gleichen Schritt damit hielt die Möbelirung. Diese Erscheinung bildete einen sonderbaren Contrast zu all dem, was uns seit dem Eintritt in Rußland begegnet war. Indessen war es herzzerreißend, zu sehen, wie alle jene Schätze verschleudert wurden. Jeder griff zu und nahm, was er eben brauchen konnte. Am tollsten ging es in dem wohlbesetzten Weinkeller zu.

Am 9. September überschritten wir die Moskwa und kamen nach Rouza, einer nach russischen Begriffen nicht ganz unbedeutenden Stadt. Plötzlich stießen wir auf einen ungeheuren Zug von kleinen Wagen, wie sie die russischen Landleute haben, bepackt mit Habseligkeiten, Weibern und Kindern. Diese Leute, welche auf ihrer Flucht uns in die Hände fielen, wurden eben nicht sehr gut von den Soldaten behandelt.

In Rouza selbst wurde uns einiger Widerstand geleistet von einer Art Landsturm, vom Adel geleitet. Der Ort mußte es bitter büßen. Die Soldaten plünderten und begingen die gröbsten Excesse. Um so leichter waren sie, die so lange an allem Mangel gelitten, hiezu geneigt, als sie in Rouza vollauf zu leben fanden und all das im Ueberflusse vorhanden war, was man so lange entbehrt hatte. Man gab sich der Hoffnung hin, so werde es bis Moskau fortgehen, aber von Rouza an ging wieder Brand und Verwüstung vor uns her. Die Vorfälle in Rouza scheinen ganz besonders dazu verwendet worden zu sein, das Volk zu fanatisiren und ihm die gräßlichsten Schilderungen von der Ruchlosigkeit der Franzosen und ihres Anführers zu geben, was um so wirksamer war, als die Gerüchte, welche man ausstreute, sich auf Thatsachen gründeten, die sich schnell von Mund zu Mund vor uns her verbreiteten. Von nun an fanden wir alles, mit Ausnahme einiger Landhäuser, bis Moskau niedergebrannt, verwüstet und alle Vorräthe, welche der Armee dienlich sein konnten, weggeschafft oder vernichtet.

Am 12. kamen wir zu der schönen Abtei Zwenigorod. Diese liegt auf einem sanft ansteigenden Hügel mit üppigen Bäumen und Laubholz bewachsen, wel che trotz der vorgeschrittenen Jahreszeit noch im schönsten Grün standen. Um dieselbe zieht sich durch ein anmuthiges Wiesenthal ein Bach, so daß man die Lage des Klosters mit Recht romantisch nennen kann und man auch hier die Beobachtung macht, daß die geistlichen Herren die Orte, wo sie ihre Klöster erbauten, sehr gut zu wählen verstanden.

Das Kloster selbst ist mit starken Mauern, Schießscharten und Thürmen versehen; man könnte leicht in Versuchung gerathen, es eher für einen festen Platz, als für ein Kloster zu halten, wenn nicht über die Mauern heraus große Gebäude und Thurmspitzen mit Kuppeln von wunderlicher Form emporragten. Das Ganze machte einen eigenthümlich fremdartigen Eindruck.

Die Mönche hatten ihr Kloster nicht verlassen, baten um Schonung der geheiligten Stätte und benahmen sich mit der Würde, wie sie ihr Stand erheischt. Einer derselben eröffnete uns mit furchtloser Freimüthigkeit, welch trauriges Loos unser in nächster Zukunft harre, und da alles, was wir erfuhren, errathen ließ, die Geistlichen in Zwenigorod seien über die politische Lage gut unterrichtet, selbst über die Zustände in Deutschland, so konnte manche dieser Mittheilungen Stoff zu ernstem Nachdenken geben; allein der Gedanke: „Wir stehen vor Moskau,“ verdrängte alle anderen Eindrücke.

Prinz Eugen übernachtete im Kloster; edel, wie er sich stets zeigte, wachte er sorgfältig darüber, daß keine Excesse vorfielen. Ob das auch nach seinem Abmarsche so gehalten worden, dafür möchte ich aber nicht einstehen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers