Abschnitt 6

10 Smolensk Borodino Schlacht an der Moskwa.


Die Russen machten verschiedene Versuche, die Franzosen wieder aus der Redoute zu werfen, aber diese blieben trotz der größten Anstrengungen und ungeheuren Opfer erfolglos. Die Russen mußten weichen und zogen sich in Ordnung in eine zweite Position zurück, in der sie, durch eine Reihe von Redouten und Verschanzungen aller Art gedeckt, unangreifbar waren. Der Kampf dauerte zwar noch mehrere Stunden fort, aber ohne Erfolg; gegen Abend wurde das Feuer schwächer, bis endlich das Dunkel der Nacht dem Morden ein Ende machte.


Erhebend ist es, einem Kampf auf Leben und Tod, wie der bei Borodino war, beizuwohnen. Man wird zur Bewunderung über den Muth und die Todesverachtung hingerissen, mit der die Truppen im ärgsten Kugelregen dem Feinde entgegeneilen oder, was noch mehr ist, ruhig aushalten. Während des Kampfes selbst ist freilich die Aufregung so groß, daß sie einer besonnenen Reflexion nicht Zeit gibt, aber wenn der Donner der Geschütze schweigt und man mit mehr Ruhe nun all den Jammer und das Elend übersieht, das der Kampf angerichtet, da tritt das menschlichere Gefühl mehr hervor und pocht an unser Herz. Mit Schaudern schweift unser scheuer Blick über das Schlachtfeld. Dieses bot besonders in der Umgebung der großen Redoute ein entsetzliches Bild.

Zwischen verstümmelten Leichen und zerrissenen Gliedern rangen Verwundete ächzend in ihrem Blute mit dem Tode; hilflos einer kalten Nacht entgegensehend, schleppten andere bald einzeln, bald in Gruppen sich einher, ohne zu wissen, wohin. Keiner kümmerte sich um die andern, jeder hatte mit seinem eigenen Elende zu thun. Hie und da wurden Offiziere weggetragen, oder Schwerverwundete noch auf dem Pferde sitzend von leichter Verwundeten geführt, aber wohin? 1) Man wußte es nicht. Adjutanten rannten auf keuchenden Pferden hin und her, um für verwundete Generäle Aerzte zu holen, welche schwer, oft auch gar nicht zu finden waren. Ledige Pferde, oft mit einem abgeschossenen Bein, schleppten sich auf drei Füßen herum, der vielen todten und verwundeten Pferde gar nicht zu gedenken, die den Boden bedeckten. Dieser war von Kugeln durchfurcht, mit Trümmern von de montirten Geschützen, Munitionswagen, Monturstücken, Waffen und Kugeln bedeckt, ein wahres Bild der Verwüstung.

Gräßlich sah es in einem breiten Graben aus, der sich rückwärts um die Redoute herumzog. Die Russen hatten durch die hartnäckige Vertheidigung, den ganzen Tag einem furchtbaren Feuer ausgesetzt, ganz entsetzliche Verluste, sie warfen, um Platz in der Redoute zu gewinnen, alle ihre Todten in diesen Graben, wo sie zwischen demontirten Geschützen und Trümmern aller Art hoch auf einander geschichtet lagen.

Einen betrübenden Eindruck machte auf mich der Platz, wo das 1. und 2. bayerische Chevauxlegersregiment so gräßlich hingeopfert worden war. Außer vielen schwerverwundet am Boden herumliegenden Offizieren fand ich auch den Obrist des 1. Regiments, den Grafen von Wittgenstein, schon dem Tode nahe, in der Kraft der Jahre sein Leben aushauchen. Ueber seine blutenden Wunden war der Mantel gedeckt; ein sächsischer Arzt, ein junger, am Arme verwundeter Offizier und fünf verwundete Soldaten seines Regiments umgaben ihn. Sein Schwager, der in der ganzen Armee geachtete Baron Karl von Zweibrücken, hatte das Kommando nach seinem Falle übernommen, aber auch er wurde gleich darnach von einem Kartätschenschuß in die Brust getroffen. Nicht so glücklich, wie Wittgenstein, auf dem Schlachtfelde nach kurzen Lei den den Heldentod zu sterben, unterlag er erst mehrere Wochen später in der armseligen Stadt Moshaisk seinen Wunden. Zweibrücken war einer meiner frühesten Gönner, ich sprach ihn noch am Morgen dieses verhängnißvollen Tages; sein Tod ging mir sehr nahe.

Die Dämmerung war hereingebrochen; düstere, tief herabhängende Wolken, von einem scharfen Westnordwind gejagt, vollendeten das Schauerbild des Schlachtfeldes.

Das Schlachtfeld bei Borodino ist größtentheils eine wilde Haide mit sehr wenig Vegetation und gewährt für sich schon einen tragischen Anblick. Die vielen dasselbe durchschneidenden, meist mit Todten gefüllten Schluchten machten es sehr unwegsam und es war schwer, sich dort zurecht zu finden. Darauf befanden sich kaum ein paar elende, stundenlang aus einander liegende, halb oder ganz zerstörte Dörfer; von einer Straße (mit Ausnahme der großen Straße nach Moskau, welche die Russen noch besetzt hielten) war keine Rede.

Meine Neugierde, mit diesem Kampfplatz möglichst bekannt zu werden, trieb mich lange auf ihm herum. In tiefes Nachdenken versunken, ritt ich auf meinem ermatteten Pferde langsam dahin und hatte große Mühe, bei der Nacht den Rückweg zu finden. Die Suite des Prinzen hatte ich längst verlassen, um nicht gebunden zu sein und mich nach eigenem Willen bewegen und umsehen zu können. Es war dieses die letzte und größte Schlacht, welcher ich beiwohnte, und mein Drang, den Krieg in allen Gestalten zu sehen, mehr als zur Genüge befriedigt.

So endete der so lange, so heiß ersehnte Tag, der eine Entscheidung zu Gunsten einer Armee herbeiführen sollte, die durch ihre glänzenden Siege die Welt erbeben gemacht und ein Gegenstand der Bewunderung fast aller Nationen war. Einen Weg von mehr als achthundert Stunden hatte sie unter zahllosen Beschwerden zurückgelegt, durch die sie schon vor der Schlacht auf die Hälfte herabgeschmolzen war, um bei Borodino das Loos der Waffen an einem Feinde zu versuchen, der durch kalte Berechnung, durch Ausdauer in dem gefaßten Plane dem stolzen Heere den sicheren Untergang bereitete.

Wird der blutige Kampf die Erwartungen krönen? Ist diese öde Scholle die zahllosen Opfer werth, die sie gefordert? War das wirklich eine entscheidende Niederlage des Feindes? ein entscheidender Sieg? Es hatte nicht den Anschein. Der folgende Morgen wird es zeigen. Unter solchen Betrachtungen gelangte ich ausgehungert und von Kälte erstarrt gegen Mitternacht an unsern ersehnten Lagerplatz und sah mich mit Begierde nach der Küche und meinem Freund Havard um.

Ueber vier Monate war ich von Hause entfernt und hatte bis dahin keine Zeile von meiner jungen Frau und den Meinigen erhalten. Man schrieb mir zwar fleißig, hatte aber nicht den rechten Weg eingeschlagen, mir die Briefe zuzuschicken. Bei allen Courieren, auf allen Feldposten fragte ich vergebens nach, was mich sehr betrübte. Als ich nun so ermüdet angekommen und kaum vom Pferde gestiegen war, erblickte ich an einem Feuer, um welches Leute aus dem Dienste des Prinzen versammelt waren, einen Courier. Eiligst lief ich auf ihn zu und fragte: „Haben Sie keinen Brief für mich?“ – „Ja!“ lautete die erfreuliche Antwort. Wer war glücklicher, als ich. Am Tage dieser verhängnißvollen Schlacht erhielt ich den ersten und einzigen Brief von den Meinen während des ganzen Feldzuges. Dieser brachte die glückliche Nachricht der Entbindung meiner Frau von einem Knaben. Auch wurde mir unter anderm mitgetheilt, daß mein Pudel, den ich zu Thorn an der Weichsel verloren, in München angekommen sei. Dieser Brief machte mich so glücklich, daß ich erst, nachdem ich denselben an einem Feuer gelesen, darauf Bedacht nahm, meinen ausgehungerten Magen mit etwas Speise zu versehen. Dann aber sehnte ich mich nach Ruhe, welche ich auch auf etwas Stroh unter einem Wagen fand.

Der Morgen des 8. September war rauh, windig und feucht, so wie der ganze Tag. Die Russen hatten sich wie immer in großer Ordnung zurückgezogen und uns das Schlachtfeld überlassen. Das war aber auch alles, was dieser blutige Kampf zur Folge hatte. Gefangene sah man gar nicht und die Verluste sollen auf beiden Seiten gleich gewesen sein, man wollte sie zusammen auf fünfzigtausend Mann angeben. Ségur zählt darunter allein zweiundvierzig todte und verwundete Generäle.




1) Scenen dieser Art hat Albrecht Adam viele gemalt. Wir erinnern beispielsweise nur an das wörtlich hiezu stimmende Bild in der Leuchtenberg-Gallerie (radirt von dem jetzt so gefeierten Thiermaler Fr. Voltz in den von Inspektor Muxel herausgegebenen Umrissen dieser Sammlung, I. Bd. Bl. 32), oder die ergreifende Gruppe (lithographirt in Adam’s Erinnerungen), wo zwei französische Soldaten ihren verwundeten Offizier tragen, indeß das leere Pferd traurig nebenbei trottet. Dazu gehören auch viele Oelbilder, z.B.: „Der von einem französischen Cuirassier aus der Schlacht geführte Offizier“ (1829 auf der Kunstausstellung in Berlin); „Das verlassene Pferd auf dem Schlachtfeld“ (vgl. Kunstblatt 1834, Nr. 12, S. 206 u.s.w.).

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers