Abschnitt 5

10 Smolensk Borodino Schlacht an der Moskwa.


Gegen Mittag verließ ich das große Schlachtfeld und begab mich über die Kologha zurück nach dem Lagerplatz, wo die Equipagen des Prinzen hielten, um mir ein anderes Pferd zu holen, da das meinige sehr ermüdet sich am rechten Hinterfuße etwas beschädigt hatte. Kaum war ich dort angelangt, als auf dem äußersten linken Flügel ein furchtbares Hurrahgeschrei sich erhob. Eine ungeheure Masse Kosaken warf sich mit großem Ungestüm auf die bayerische Cavallerie (das 3., 4., 5. und 6. Chevauxlegersregiment), aber die Wildheit dieses Angriffs scheiterte an der ruhigen Haltung dieser erprobten Truppen, welche sie mit eingelegtem Karabiner erwarteten. Auch die italienischen Garden, welche eben auf das große Schlachtfeld marschirten und in der Nähe sich befanden, bildeten Front gegen die anprallenden Kosaken und vereitelten ihren Stoß, der auf nichts Geringeres, als auf einen Angriff im Rücken des linken Flügels abgesehen war. Wäre dieses Manöver gelungen, so wären sämmtliche Equipagen des Prinzen und des Kaisers in die Hände der Feinde gefallen und die große Redoute, welche der russischen gegenüber stand, im Rücken bedroht gewesen. Die Sache sah auch gefährlich genug aus, da es gegen 10,000 Kosaken gewesen sein sollen. Ich hätte mit meinem guten Pferde das Weite suchen können, aber dieser neue Akt des furchtbaren Dramas interessirte mich ganz besonders. Ich verfügte mich zu der italienischen Garde und hatte so das Vergnügen, das großartige Reitermanöver in der Nähe zu sehen. Bald darnach ritt ich durch das kleine Thal der Kologha auf meinen vorigen Standort zurück. Auf diesem Wege begegnete mir etwas, das fast ein komisches Zwischenspiel des Tages zu nennen ist. Einem adeligen Stallmeister des Prinzen, Namens Bellisoni, wurde das Pferd unter dem Leibe erschossen. Ein Reitknecht sollte für den Prinzen ein anderes Pferd holen und einen andern Stallmeister mitbringen, um Bellisoni abzulösen. Dieses Loos traf den Baron Allemagna, einen Mailänder Cavalier, der nie in einer Schlacht gewesen und Tags zuvor erst als Courier aus Mailand bei der Armee angekommen war. Unterwegs hielt ich mich an einem Platze, wo es eben nicht mehr ganz geheuer war, mit Zeichnen auf, als ich plötzlich den Reitknecht mit dem neuen Pferde und dem Stallmeister sich mir nähern sah. Allemagna, welcher mich von Mailand her kannte, schrak zusammen und redete mich mit den Worten an: „Aber Adam, was machen Sie denn da? Sind Sie denn von Sinnen? Da sitzt der Mensch ruhig auf seinem Pferde und zeichnet, als wenn er zu Hause in seinem Atelier wäre, während die Kugeln daherfliegen.“ Dabei sah er sich ganz scheu um, ob nicht schon eine für ihn ankäme. „Mein lieber Baron Allemagna,“ sagte ich, „das ist eben jetzt mein Atelier, und an das Pfeifen der Kugeln bin ich schon gewöhnt!“ – „Das gewöhne der Teufel!“ war die Antwort, „ich muß jetzt da hinüber, ich bin ein armer Teufel (son’ povero diabolo), meine Ehre, meine Stellung bei Hofe, alles ist hin, wenn ich mich jetzt nicht entschließe, meine Haut zu Markte zu tragen. Aber Sie! ein Künstler wie Sie, der ein freier Mann ist, dem die ganze Welt offen steht, wie kann sich der so exponiren, ich begreife Sie nicht!“ Es schien, als hätte er gerne noch lange mit mir geplaudert, aber der Reitknecht drängte und ich packte zusammen und sagte: „Kommen Sie, Allemagna! Ich gehe mit. Fassen Sie nur Muth, es treffen nicht alle Kugeln, sonst wäre auch ich schon lange nicht mehr da.“ Zaudernd folgte der gute Mann, bald kamen wir wirklich in das Schußbereich, und er mag wohl hübsch viele Angst ausgestanden haben, hielt aber doch geduldig den ganzen Nachmittag aus. Der Prinz, welcher seine Angst bemerkt haben mochte, sagte Abends: „Allemagna hat heute mehr geleistet, als wir alle.“ Man war gewöhnt, über solche Dinge zu scherzen, schlug aber die Ueberwindung doch hoch an.


Im Jahr 1813 traf ich Allemagna in Mailand ganz wohlbehalten: er erzählte oft in Gesellschaft mit liebenswürdiger Offenheit unser Zusammentreffen in jener mißlichen Lage und seine Angst vor den ersten Kugeln, die er pfeifen hörte.

Es mag übrigens sonderbar klingen, wenn man hört, daß ein adeliger Stallmeister mit in das Feuer genommen wird und eigentlich nichts dabei zu thun hat; aber es war damals so Sitte, ja Murat hat sogar Pagen mitgeschleppt.

Prinz Eugen und sein Corps war fortwährend noch dem heftigsten Feuer der großen russischen Redoute ausgesetzt, denn noch immer lag dieser verhängnißvolle Erdhaufen vor unseren Augen: sie war im Laufe des Nachmittags buchstäblich ein Erdhaufen geworden, da die französischen Geschütze große Zerstörungen an ihren Wällen angerichtet; aber die Russen vertheidigten sich in ihr stets mit derselben unerhörten Standhaftigkeit; es war ihnen nicht eine Handbreit Erde abzugewinnen, diese Lage war für uns wahrhaft peinlich.

Oft hörte ich die tapfersten Offiziere sagen, daß die Gefahr, wenn man sich zu lange in ihr befindet, ermüdet und abspannt; man greift dann zum Aeußersten. An diesem Momente war die Sache nun angelangt; um jeden Preis mußte eine Entscheidung herbeigeführt werden.

Prinz Eugen ordnete einen neuen Angriff an; mit der größten Resignation rückten die Colonnen noch einmal den unheilvollen Hügel hinan, an den Leichen der vielen braven Kameraden vorüber, deren Loos auch sie bald theilen sollten. Glücklicherweise war es die letzte schwere Aufgabe an diesem Tage. Napoleon hatte gleichzeitig den verzweifelten Entschluß gefaßt, durch ungeheure Cavalleriemassen sich auf die Russen zu werfen, die Redoute im Rücken anzugreifen und so zu überwältigen.

Es ist selbstverständlich, daß die Russen den Rücken nicht bloßgestellt ließen. Die Cavallerie kam dadurch in ein doppeltes und dreifaches Feuer in Front und Flanken, aber das Manöver gelang, Napoleon hatte Murat damit beauftragt, er wußte, daß dieser der Mann sei, es auszuführen. Mit welchen Opfern es aber gelang, davon zeugte der Abend und der folgende Tag.

Der Angriff war prachtvoll, aber schauerlich anzusehen; die Kriegsfurie war los, alle Waffen in Thätigkeit: das Schwert, das Bajonett, alle Arten von Geschossen; besonders fürchterlich hausten die Kartätschen in den anstürmenden Reihen. Ungeheure Staubwolken stiegen empor und vermengten sich mit dem Pulverdampfe. Zwischen heraus sah man die Schwerter unheimlich blitzen, der Sturm sauste über Todte und Verwundete hinweg, über Waffen und Kriegsgeräthe und alles, was am Boden lag; man glaubte, das wilde Heer tobe vorüber.

Die Redoute wurde durch Cuirassiere genommen, beinahe zu gleicher Zeit kamen die Colonnen des Prinzen, der sie in der Front angreifen ließ, dort an. General Coulaincourt, der Befehlshaber der Cuirassiere, starb unter den Brustwehren dieses Vulkans den Heldentod. Auch deutsche Cavallerie nahm bedeutenden Antheil an diesem Kampfe, besonders Bayern, Sachsen und Württemberger. Ein sächsisches Cuirassierregiment wurde beinahe ganz aufgerieben, zunächst der Redoute sah ich das Feld mit ihren Leichen bedeckt. Vom 1. bayerischen Chevauxlegersregiment sollen am Abende des 7. September nur noch dreißig Mann mit zwei Offizieren diensttauglich und zu Pferde gewesen sein.

Die Franzosen wußten die Truppen ihrer Verbündeten, besonders die deutsche Cavallerie, stets recht gut zu verwenden, in der Regel wurde diesen nicht die leichteste Aufgabe an der Arbeit des Tages zu Theil. – Uebrigens hatten alle Regimenter bei dem verzweifelten Sturme mehr oder minder ungeheure Verluste.

Ich schätzte mich glücklich, Augenzeuge dieses großartigen Schlachttages gewesen zu sein. Es bleibt nur immer das schmerzliche Gefühl zurück, alle die ergreifenden Scenen, welche sich hier so rasch auf einander häuften, nicht sogleich auf das Papier bringen zu können, um sie der Nachwelt zu überliefern.

Der furchtbare Krater, der acht Stunden hindurch Tod und Verderben nach allen Richtungen hin verbreitete, war nun zum Schweigen gebracht. Die französischen Adler blinkten von seiner Höhe herab, aber diese Erdscholle war theuer erkauft, fast zu theuer, meinten viele.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers