Abschnitt 4

10 Smolensk Borodino Schlacht an der Moskwa.


Am Morgen des 6. September umschleierte ein kalter, feuchter Nebel den Horizont, er kämpfte einige Zeit mit den erwärmenden Strahlen der Sonne und senkte sich langsam zur Erde nieder, was einen heitern Tag verkündete. Von der Morgensonne beleuchtet, sahen wir das russische Heer in einer ungeheuren Ausdehnung in Schlachtordnung vor uns. Ich habe weder früher noch später ein Schlachtfeld gesehen, das so viel zu bildlichen Darstellungen bot wie das von Borodino.


Das heitere Wetter und die völlige Waffenruhe des 6. machte ich mir trefflich zu Nutzen. Ich entwarf eine sehr genaue Zeichnung von dem Terrain und der Aufstellung der Russen in einem halben Panorama. Mein überaus scharfes Auge leistete mir hiebei die besten Dienste. Ich bemerkte jede Bewegung der Russen. So entstand eine Zeichnung von großem historischen Werthe. Aber diese Arbeit wäre mir bald übel bekommen. Ich hatte mich möglichst weit vorgemacht und saß stundenlang an einem und demselben Flecke, mein Pferd, ein Schimmel, stand neben mir, das mag besonders durch seine Farbe die Aufmerksamkeit der Russen auf mich gezogen haben. Es fiel plötzlich ein Kanonenschuß aus der großen Redoute der Russen, die Kugel sauste mir an den Ohren vorüber und riß einem armen Artilleristen, der hinter mir stand und mit großem Interesse meiner Arbeit zusah, den linken Arm weg. Durch diesen unerwarteten derben Fingerzeig veranlaßt, zog ich mich weiter zurück nach dem Platze, wo Prinz Eugen mit seiner Suite stand. Dieser hatte mich längst in der Ferne gesehen und lachte anfangs, als er sah, daß ich mich so eilig aus dem Staube machte, gab mir aber dann einen Verweis wegen meines Schimmels und untersagte mir künftig bei ähnlichen Anlässen, dieses Pferd zu reiten.

Ségur erwähnt in seinem Werke dieses Kanonenschusses, des einzigen, der an diesem Tage fiel. Er gab zu den sonderbarsten Vermuthungen Anlaß. Ségur z.B. meint, diese Kugel habe dem Kaiser gegolten, der sich aber in jenem Augenblicke viel weiter zurück auf der Höhe von Borodino befand; allein der Schuß war zu gut gezielt und die Wahrscheinlichkeit zu groß, daß er meiner unbedeutenden Persönlichkeit gegolten habe. Glücklicherweise war ich, als sich dieses ereignete, mit meiner Zeichnung und dem, was ich erreichen wollte, so gut wie fertig und konnte es darum leicht verschmerzen, auf eine so unliebsame Art gestört worden zu sein.

Der Tag verstrich im Uebrigen ruhig; alles bereitete sich vor zu dem großen Kampfe für den folgenden Tag. Man hatte, obschon die Russen sich bisher nach jedem Gefechte zurückzogen, Gelegenheit genug gehabt, ihre Tapferkeit und Hartnäckigkeit kennen zu lernen, um den Widerstand, den sie morgen leisten würden, nicht zu unterschätzen. Viele, welchen am 6. die Sonne freundlich leuchtete, mögen bei sich gefragt haben: „Werde ich wohl auch morgen noch die untergehende Sonne sehen?“

Der Mensch gewöhnt sich an gar vieles und geht auch mit kecker Stirne dem Tode muthvoll entgegen, aber ein Gedanke hatte für die meisten an jenem Abende etwas Peinliches: in einem verödeten Lande so ferne von der Heimath, von allen Theuren und Lieben vielleicht hilflos verschmachten zu müssen. Mag ein Held noch so groß sein, in einer so unheimlichen Stille drängen sich ihm solche Gefühle auf. Im Getümmel der Schlacht treten sie zurück; man hat nicht Zeit zu Reflexionen.

Der Tag neigte zu Ende, die Soldaten hatten Munition und Proviant gefaßt, setzten ihre Waffen in guten Stand und lagerten an den Plätzen, wo sie aufgestellt waren. Die Generäle kehrten in ihre Bivouaks zurück, so auch Prinz Eugen, welcher den ganzen Tag mit Beobachtungen und Anordnungen zugebracht hatte.

Die Nacht war kalt und schaurig; es herrschte tiefe Stille, und wohl wenige dürften sich eines ruhigen Schlafes erfreut haben. Daß Napoleon diese Nacht in der größten Aufregung zubrachte, erfuhr ich schon am Morgen im Hauptquartiere des Prinzen. Gegen 5 Uhr, obwohl es noch dunkel war, wurde es unruhig; bald nach 6 Uhr saßen wir zu Pferde. Ich hatte vorher eine Tafel Consommé in Wasser bei einem Bivouakfeuer aufgelöst, um mich innerlich ein wenig zu erwärmen, und etwas Brod dazu genossen. Das war meine ganze Nahrung in achtzehn Stunden. Die geistige Aufregung an einem Tag wie der 7. September ist zu groß, um an Essen zu denken. Gegen 7 Uhr entbrannte der Kampf zuerst auf dem linken Flügel, auf welchem Prinz Eugen sich befand. Ich konnte alle Bewegungen an dem Platze, wo ich stand, so gut beobachten, daß ich fast jeden einzelnen Mann zu unterscheiden vermochte. Hier trat mir gleich zu Anfang des Tages eine schauerliche Scene vor Augen.

Eine Infanteriebrigade unter General Plauson hatte sich des Dorfes Borodino bemächtigt, die in der Nähe desselben befindliche Brücke über die Kologha überschritten und siegestrunken über den Erfolg sich so weit vorgewagt, daß sie von Front und Flanke in ein fürchterliches Feuer kam. Es war schaudererregend anzusehen, wie die weitausgedehnte Linie von den feindlichen Kugeln niedergeschmettert und zerrissen wurde. So oft ein Schuß durch ihre Reihen schlug, stieg hinter der Linie eine große Staubwolke von dem Sande, den die Kartätschen aufwühlten, empor. Wenn diese sich verzog, lagen ganze Glieder niederge schmettert am Boden. So wurden ihre Reihen immer lichter, bis sie sich gar nicht mehr schließen konnten und zuletzt als vereinzelte Haufen umherirrten. Der General selbst fiel als eines der ersten Opfer; er hatte das Unausführbare dieses tollen Vorgehens eingesehen, konnte aber die von Kampfeswuth entbrannten Soldaten nicht zurückhalten. Zuletzt kam ihnen das von Eugen besonders geliebte 92. leichte Infanterieregiment zu Hilfe und führte das kleine Häuflein der Uebergebliebenen zurück. Der Boden aber war von Leichen und Verwundeten übersät. So begann der verhängnißvolle Tag und so dauerte er fort; es war ein ununterbrochenes Hin- und Herwogen des Kampfes, ein gegenseitiges gräßliches Morden. Der Kampf wurde von beiden Seiten mit einer fast beispiellosen Erbitterung und Hartnäckigkeit geführt. Die Russen standen wie Mauern unter dem Feuer und den ungestümen Angriffen der Franzosen. Tausende von Leichen deckten die blutgetränkte Erde und immer füllten sich die russischen Reihen aufs neue. Man konnte wohl merken, daß sie von der Heiligkeit ihrer Sache durchdrungen waren. Sie nennen dieses Schlachtfeld die heilige Haide, und es geht die Sage, daß nie ein Feind weiter vorgedrungen sei.

Furchtbar wüthete das Feuer in den Reihen der Franzosen aus dem ungeheuren Vulkan, der großen Redoute. Sie bildete die Hauptstütze der Russen auf dem rechten Flügel auf einer Anhöhe, weßhalb sie weithin dominirte. Besonders entsetzlich litt von ihrem Feuer das 4. Armeecorps; der gute Prinz war fast den ganzen Tag den Kugeln ausgesetzt. Dreimal stürmten die Franzosen mit verzweifeltem Muthe diesen todbringenden Erdhaufen und dreimal mußten sie ihn unter ungeheuren Verlusten wieder aufgeben.

Schon Vormittags hatte sich der Kampf auf der ganzen Schlachtlinie ausgedehnt, furchtbar rollte der Donner des Geschützes meilenweit, ungeheure Rauchsäulen stiegen allerwärts empor. Aber alle Anstrengungen blieben immer noch ohne Erfolg. Der Mittag kam und des furchtbaren Mordens war noch kein Ende. Ein General nach dem andern wurde verwundet zurückgebracht, von vielen war die Todespost eingetroffen, bluttriefend schleppten sich die Soldaten aus den Kampfe, an vielen Stellen war das Feld mit Leichen bedeckt; was ich an Verwundungen und Verstümmelungen an Menschen und Pferden an diesem Tage gesehen, ist das Gräßlichste, was mir je begegnete und läßt sich nicht beschreiben.

Von dem, was im Centrum und dem rechten Flügel der Franzosen vorging, kann ich nichts aus eigener Anschauung erzählen, ich hielt mich stets bei dem 4. Armeecorps auf, aber an der Heftigkeit und Beweglichkeit des Kampfes konnte man in der Ferne auch recht deutlich wahrnehmen, wo Ney und Murat befeh ligten. Jeder war an diesem Tage ein Held, aber diese beiden Heerführer steigerten ihre Kraft und Energie bis zum Aeußersten. Es war ein wahrer Kampf der Verzweiflung; was die Kriegskunst vermag, was mit der viel erprobten Tapferkeit der besten Truppen zu erreichen oder durch Raschheit der Bewegungen auszuführen ist, nichts blieb unversucht, aber alles scheiterte an der unerschütterlichen Standhaftigkeit der Russen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers