Abschnitt 3

10 Smolensk Borodino Schlacht an der Moskwa.


Bisher hatte meine kräftige Natur allen klimatischen Einflüssen, Beschwerden, Entbehrungen und Anstrengungen widerstanden, und ich erfreute mich einer ungestörten Gesundheit. Seit Anfang September aber fühlte ich mich unwohl, hatte heftige Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit und Fieber und mußte mich ärztlicher Behandlung unterziehen. In diesem Zustande geschah es, daß ich in einer Ortschaft, in der Prinz Eugen sein Hauptquartier genommen, in einer armseligen Hütte auf der Streu lag und ein Brechmittel eingenommen hatte; ein alter Topf mit schmutzigem, warmem Wasser stand vor mir, dessen Genuß die Wirkung der Medicin erleichtern sollte. Ich befand mich eben in einem ganz abscheulichen Zustand, als das Hauptquartier alarmirt wurde. Die Kosaken hatten die Vorposten überrumpelt und drohten in den Ort einzudringen. Man verließ ihn in Eile, da er nicht so stark besetzt war, um ihn mit Erfolg vertheidigen zu können. Mich wollte man in einer Equipage mitnehmen, allein ich befand mich so übel, daß sich eine große Gleichgültigkeit meiner bemächtigte und ich bat, mich liegen zu lassen. Da man in einem solchen Falle sich nicht gerne lange mit sentimentalen Unterhandlungen aufhält, so überließ man mich meinem Schicksale. Bald drang auch der süße Ton des Hurrah zu meinen Ohren, die Kosaken waren in den Ort eingedrungen und fegten nun mit wildem Lärm kreuz und quer durch die Straßen. Ich hatte mich bereits gefaßt gemacht, in meinem Kämmerlein an meinem Krankenbette, respektive an meiner schmutzigen Streu einen ungebetenen Besuch zu erhalten, als plötzlich Kanonendonner erscholl. Abermals war es die brave Batterie Wittmann, welche jenen Industrierittern den Rückweg wies. Diese bestrich von einer kleinen Anhöhe herab mit ihren Kugeln so energisch die breiten Straßen des Ortes, daß die Kosaken, welche, wie man sagt, die Kugeln, seien sie nun klein oder groß, gar nicht besonders lieben, für angezeigt fanden, den Ort zu verlassen. Nach anderthalb Stunden bezog der Prinz sein Quartier wieder und blieb in ruhigem Besitze desselben bis zum nächsten Tag.


Der Herbst hatte sich auch gemeldet und auf die furchtbar heißen Tage folgten kühle Nächte, und es mag vielleicht dieser schnelle Uebergang der Temperatur nachtheilig auf mich eingewirkt haben, ich fühlte mich noch immer unwohl und folgte in einem Wagen mit dem übrigen Trosse des Hauptquartiers. Mein Diener mit drei Pferden ritt hinterher. So langsam vorrückend, näherten wir uns am Abend des 4. September jener Hügelreihe, deren Erde in den nächsten Tagen mit dem Blute von 40 bis 50,000 Menschen getränkt werden sollte.

Unmuthig in eine Ecke des Wagens gelehnt saß ich und hatte Zeit und Muße zum Grübeln und Nachdenken über alles, was seit vier Monaten an mir vorübergegangen, was ich gesehen, erlebt und durchgemacht hatte und alles, was noch kommen kann, als ich plötzlich aus meiner Träumerei aufgescheucht wurde, Große leichte Rauchwolken stiegen am fernen Horizonte empor: ich sah Haubitzgranaten in der Luft zerplatzen, eine heftige andauernde Kanonade ließ mich außer Zweifel, daß eine Schlacht beginne.

Wie elektrisirt sprang ich aus dem Wagen, Grübeln und Fieber waren vergessen, Kraft und Leben erwachte in mir. Ich setzte mich zu Pferde und jagte der Richtung zu, wo sich der Kampf entsponnen. Bald erreichte ich das Schlachtfeld von Borodino. Es war der Abend des 5. September: die Schlacht hatte begonnen.

Welch ein Anblick bot sich hier! Beinahe die ganze russische Armee stand in Schlachtordnung auf einer unabsehbaren Hügelreihe, eine Thalschlucht, durch die sich ein kleiner Fluß, Kologha, schlängelt, trennte die beiden Armeen. Links von uns, etwa eine Stunde entfernt, liegt der unbedeutende Ort Borodino, nach welchem die Russen diese kolossale Schlacht nannten. Auch wir standen auf einem erhöhten Punkte, der uns einen weiten Ueberblick über das Ganze bot. – Der Anblick dieses Schlachtfeldes macht einen sehr ernsten Eindruck; es dehnt sich in seinen Hauptumrissen in großen strengen Linien aus, ist aber von sehr vielen Schluchten durchschnitten; der Boden ist kahl, von röthlicher, sandiger Erde, fast ohne alle Vegetation, nur große Strecken von Haselgebüschen finden sich darauf und düstere Tannenwälder begränzen den Horizont.

Als ich ankam, hatte das Feuer nachgelassen und die Franzosen begannen die Kologha zu überschreiten. Es herrschte ringsum Stille, die Russen schienen uns trotzig anzuschauen und zu sagen: „Kommt nur her, wir heben den Handschuh auf!“ Den Ernst dieser Scene vollendete der graue, mit schweren Wolken überzogene Himmel und ein rauher Nordwest, der über die Hügel hinblies.

Lange Zeit stand Prinz Eugen auf einem erhöhten Punkte, von welchem man das Terrain und die Stellung der Russen weit überblicken konnte; eine Batterie, welche abgeprotzt hatte, stand vor uns. Die Artilleristen um ihre Geschütze herum richteten mit gespannter Erwartung ihre Blicke in die Ferne auf die zahllosen Feinde vor ihnen. Es war ein feierlicher Moment. Welche Gedanken mögen sich da manchem dieser Menschen aufgedrängt, welche Gefühle in ihren Herzen sich geregt haben, denn daß es jetzt Ernst wird und die Stunde gekommen ist, wo durch einen entscheidenden Kampf das Loos über das Schicksal der Armee, vielleicht über die bedeutendsten Staaten Europas fällt, wurde an diesem Tage fast Jedermann klar.

Von hier verfügte sich der Prinz mehr links nach Borodino. Die Artillerie und die Sappeurs des 4. Armeecorps hatten schon eine große Thätigkeit entwickelt, auf einer Anhöhe und auf Kanonenschußweite gegenüber der verhängnißvollen großen Redoute der Russen Erdwälle zu errichten und diesen Punkt, soweit es die Mittel und die Kürze der Zeit gestatteten, zu befestigen. Es ist bewunderungswürdig, was Menschenhände in kurzer Zeit auszurichten im Stande sind. Die Höhe, auf der wir standen, glich einem Ameisenhaufen. Tausende von Menschen mit Hacken, Schaufeln und den verschiedensten Werkzeugen und Karren versehen, wühlten in der Erde herum. Eine Brustwehr mit Schanzkörben entstand nach der andern und bis zum Morgen war eine Redoute für sechsunddreißig Kanonen fertig. Während dieser Arbeiten donnerten die russischen Kanonen aus einer Redoute, welche von den Franzosen noch den Abend nach einem dreimal mißglückten Sturme mit vielen Opfern genommen wurde. Der Kampf war äußerst heftig; viele Kugeln schlugen in der Nähe des Platzes ein, an welchem Prinz Eugen unbeweglich stand. Eine derselben riß einen Offizier des Generalstabes, Namens Döberlein (ein geborner Straßburger), dicht neben mir vom Pferde. Das Pferd wurde am Halse getroffen, bäumte sich hoch auf und schleuderte den Reiter rücklings herunter. Wir waren im Gespräch begriffen, ich zeichnete, blickte vom Papiere auf und sagte: „Ich glaube, da kommt was für uns!“ In demselben Augenblick war die Kugel auch da. Prinz Eugen schaute um, blieb aber mit gewohnter Ruhe, welche er stets im Feuer bewies, an seinem Platze.

Der Abend war indessen hereingebrochen und der Horizont mit dichten, schweren Wolken umzogen, kalt und schaurig blies der Wind über die Hügel hin. Der 5. September endete mit einem Siege über die Russen, aber er war das Grab vieler Tapfern geworden.

Nachts, als Prinz Eugen nach seinem Bivouak zurückritt, gewährten einen interessanten Anblick die feurigen Bogen, welche die russischen Hohlkugeln, die uns noch immer verfolgten, nach sich zogen und theils in der Luft, theils am Boden explodirten. Eine derselben zerplatzte dicht hinter mir, mein Pferd stürzte auf die Knie zusammen, ich glaubte, es sei von einem Granatsplitter getroffen, aber wir waren beide unbeschädigt.

Die Nacht vom 5. auf den 6. brachte ich frierend auf einem Wagen zu; die Kanonen verstummten allmählig, das Kleingewehrfeuer der Plänkler aber dauerte die ganze Nacht hindurch und ließ mich wenig schlafen. Ich fühlte mich noch etwas schwach und aufgeregt von meinem Fieber, das mich aber sonst nicht weiter belästigte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers