Abschnitt 2

10 Smolensk Borodino Schlacht an der Moskwa.


Was war nach acht Monaten mühevollsten Lebens mit dem Verluste der halben Armee bis jetzt erreicht worden? Man hatte keine Trophäen aufzuweisen. Einige Kanonen und beiläufig fünfhundert Gefangene – das war Alles! Der Ehrgeiz und der militärische Geist, welcher diese Armee belebte, die Erinnerung an viele glorreich errungene Siege hielt zwar das Ganze noch zusammen und trieb sie vorwärts. Aber gar viele folgten diesem Zuge nur kopfschüttelnd mit dem ahnungsvollen Gefühl in der Brust, dieser Krieg müsse ein unglückliches Ende nehmen.


Ueber den Marsch von Smolensk bis auf den großen Kampfplatz bei Borodino, wo der Tod seine ungeheure Beute erwartete, läßt sich wenig sagen. Es waren dieselben Beschwerden und Entbehrungen wie bisher, wodurch die Armee täglich abgematteter und schwächer wurde; ganz besonders litten auch jetzt wieder die Pferde. Längst schon hatte die Artillerie und das Fuhrwesen eine Menge kleiner, abgemagerter russischer Klepper mit zusammengekoppeltem elendem Geschirr an ihre Kanonen und Wagen vorgespannt. Bei den Menschen unterstützt noch oft die moralische Kraft den herabgekommenen Körper, aber diese fehlt dem Thiere, deßhalb unterliegt es früher. Der Weg führte bei heiterem Wetter anfangs noch durch fruchtbare, wohlhabende Gegenden, man fand Lebensmittel und Fourage für die Pferde und war so noch in der Lage, den Hunger zu befriedigen.

Der erste Tagmarsch ging bis Pologhi, am andern Morgen überschritten wir einen kleinen, unscheinbaren, aber bei dem Rückzuge für die Armee bedeutungsvoll gewordenen Fluß, die Vopp. Sie fließt wie die meisten Flüsse, welche wir bis jetzt in Rußland getroffen, in einem tiefen Bette, von hohen, steilen Ufern begränzt, wodurch der Uebergang für die Artillerie sehr erschwert wurde. Eine Brücke war nicht vorhanden, da der Fluß aber des trockenen Sommers wegen sehr wenig Wasser hatte, konnte er leicht ohne dieselbe überschritten werden. Ganz anders aber verhielt es sich einige Monate später. Der Herbst hatte das Rinnsal des Flusses reichlich mit Wasser versehen und das Eis selbst eine Brücke gebaut, aber diese brach ein und führte die traurige Nothwendigkeit mit sich, dort schon einen großen Theil der Munitionswa gen und Equipagen zurückzulassen.

Dieser Uebergang gab ein recht schönes Bild und ich war so glücklich, einige sehr hübsche Scenen zeichnen zu können. Prinz Eugen, bei welchem überall Klugheit und vorsichtige Sorge für die Erhaltung seiner Truppen mit der Tapferkeit Hand in Hand ging, hatte die Gewohnheit, an solchen Stellen oft stundenlang zu verweilen, um sich mit eigenen Augen über die Ausführbarkeit eines Unternehmens zu überzeugen. Seine Umgebung ärgerte sich oft darüber, besonders die Jüngeren; aber hätten alle Befehlshaber so gehandelt, es wäre das gränzenlose Elend nicht über die Armee gekommen.

Am 25. Abends kamen wir nach Zazele und nahmen in einem schönen, großen Schlosse, aus Stein in einem wunderlichen Stile erbaut, Quartier – eine große Seltenheit in diesem Feldzuge. Tags darauf mußten wir bei Blaghoe nochmals den Dnieper passieren. Er ist dort breiter als die Vopp, hat ebenfalls ein tiefes Bett, aber keine so steilen Ufer.

Die zerstörte Brücke wurde mit großer Thätigkeit wiederhergestellt und brauchbar gemacht. Auch hier verweilte der Prinz, bis der Uebergang ohne Gefahr bewerkstelligt werden konnte. Inzwischen ging aber Infanterie und Cavallerie durch das Wasser, dessen Tiefe nicht viel über vier Fuß betrug.

Abends trafen wir in Apopochina wieder ein hübsches Schloß nebst einer merkwürdigen Kirche im griechischen Stile mit vielen sehr alten wunderlichen Bildern auf Goldgrund. Am 28. standen wir vor Wiazma. Diese Stadt liegt sehr freundlich zwischen sanften Hügeln und erhebt sich nach einer Seite hin auf einer sanft ansteigenden Hügelreihe mit einer Unzahl von Kirchen, die von ferne recht fremdartige Umrisse zeigten. In das Innere der Stadt kamen wir nicht, sie war noch von den Russen besetzt, welche jedoch bald vertrieben wurden; die Einwohner waren größtentheils mit ihnen entflohen. Prinz Eugen hielt auf einem erhöhten Punkte auf Kanonenschußweite vor der Stadt, stieg vom Pferde, setzte sich auf den Boden und beobachtete lange mit dem Fernrohre Stadt und Umgegend. Wir thaten dasselbe und ruhten eine gute Stunde, während die Colonnen der Avantgarde des 4. Armeecorps, besonders die Cavallerie, an uns vorüberzogen und sich entwickelten. Der Tag war heiter und die drückende Hitze, welche uns monatelang zu schaffen machte, hatte nachgelassen, weßhalb uns diese kurze Rast wirklich erquickte.

Leider erblickten wir auch hier bald wieder die traurigen Signale dieses Krieges: dichte, rothbraune Rauchwolken stiegen aus der Stadt empor und verkündeten, daß auch diese ein Raub der Flammen zu werden bestimmt sei. Es brannte, wie wir später erfuhren, vieles ab, aber sie wurde nicht ganz zerstört; das verheerende Element bewahrte sich noch etwas für den kommenden Winter auf.

Wir ließen Wiazma rechts liegen und der Prinz, welcher nun die Avantgarde führte, verfolgte die Russen mit leichter Cavallerie, besonders mit der bayerischen und den braven italienischen Chasseurs. Es gab verschiedene Neckereien mit den Kosaken, welche oft in großen Schwärmen vor uns herzogen, und da diese Truppenzüge lange über sanfte Hügel und Felder gingen, sah man recht hübsche Cavalleriebewegungen, welche aber an diesem Tage zu keinem ernsten Gefecht führten.

Allmählig mehrten sich die Vorzeichen, daß bald etwas Großes geschehen werde. Napoleon verweilte vom 1. bis 3. September in der Stadt Chiatz-Pschatsk und concentrirte eine große Truppenmasse um dieselbe, während Prinz Eugen langsam vorrückte und die Kosaken vor sich her jagte. Diese begegneten uns oft in großen Massen; andere russische Waffengattungen aber sahen wir bis zum 5. September fast gar nicht. Während eines dieser Märsche ritt der Prinz mit seiner Suite unter kleiner Escorte sorglos seiner Wege, vor ihm die bayerische Cavallerie und ein italienisches Chasseurregiment unter dem Obristen Banco, als ein bayerischer Offizier die Meldung brachte, daß die Kosaken sich in bedeutender Anzahl zeigten und man besorge, der Prinz möchte sich zu weit vorwa gen. Eugen legte wenig Gewicht darauf oder wollte mit eigenen Augen sich davon überzeugen, er ritt ruhig weiter, bis auf eine Anhöhe, von der man einen weiten Blick in die Ferne hatte. Hier bewahrheitete sich jene Meldung: die Kosaken hatten die Cavallerie, welche ihnen entgegenstand, hart bedrängt und zum Weichen gebracht. Hiedurch ermuthigt, stürzten sie nun in ungeheuren Massen aus den Wäldern hervor und breiteten sich unter einem furchtbaren Hurrahgeschrei auf einer großen Thalebene aus. Soweit das Auge reichte, sah man ihre Schwärme sich nach allen Richtungen hin entwickeln. Wäre nicht glücklicherweise eine bayerische leichte Batterie, die des Hauptmann Wittmann, in der Nähe gewesen, so hätte die Sache schlimm ausfallen können. Diese wurde gerufen und fuhr eiligst den Hügel hinan, auf welchem wir standen, protzte ab und eröffnete ein ebenso rasches als wirksames Feuer, so daß die Kosaken wie ein Fliegenschwarm aus einander stoben und sich in ihren Wäldern verbargen.

Wir standen nahe genug, um dieses prächtige Manöver genau wahrnehmen zu können, mit welcher Leidenschaft und Blitzesschnelle die Artilleristen handelten. Diese Truppe war stets sehr brav und standhaft, selbst vom Feuer des Feindes hart bedrängt. Auf jene Cavalleriemassen aber zu feuern, ohne eine Antwort befürchten zu müssen, war für den Artilleristen eine Art Spaß. Prinz Eugen und seine Umgebung zollten dieser Batterie ihre vollste Anerkennung.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers