Abschnitt 1

10 Smolensk Borodino Schlacht an der Moskwa.


Von Surash bis Smolensk durchzogen wir fünf bis sechs Tage lang schöne, fruchtbare Gegenden, welche von Wohlhabenheit zeugten; prachtvolle, üppige Kornfelder, schöne Wiesengründe, Obst, Vieh- und Bienenzucht, alles gedieh hier in reichstem Maße. Wir kamen in Dörfer, in denen es von Geflügel aller Art wimmelte, was natürlich den Soldaten sehr behagte. Auch Milch und Honig fand man in großer Quantität, aber das kam nur denen zugute, welche zuerst anlangten. Eine so ausgehungerte Armee zehrt alles auf, was sie findet und nimmt noch mit, so viel sie schleppen kann.


Von den zum Theil hitzigen Gefechten, in welche die am Dnieper aufwärts nach Smolensk marschirende russische Armee mit den in Hast und Eile sie verfolgenden französischen Corps unter Murat und andern Heerführern verwickelt wurde, bekam ich nichts zu sehen. Prinz Eugen und seine Armee nahm an ihnen keinen Antheil. Ruhig und von nichts als der peinlichen Hitze belästigt, zogen wir über Hügel und Ebenen, durch Feld und Wald getrost mit neuer Hoffnung auf eine rasche, glückliche Wendung der Dinge Smolensk zu und gelangten in dessen Nähe zu Mitte Au gust. Das Wetter blieb fortwährend schön; der Prinz schlief beinahe täglich unter seinem Zelte. Wir hatten mehrere recht angenehme Lagerplätze.

Dieser Marsch und der zehntägige Aufenthalt in Surash ist zu den wenigen guten Tagen zu zählen, die uns seit Monaten zu Theil geworden.

In einem von Schluchten durchzogenen, etwa eine Stunde Wegs von Smolensk entfernten Birkenwäldchen ließ der Prinz sein Zelt aufschlagen. Diese Bäume gedeihen in Rußland ganz besonders, sie erreichen eine bedeutende Höhe, sind dabei sehr üppig und von recht schöner Gestalt.

Das Lager auf diesem Platze hatte bei dem abwechselnden Terrain und den schönen Baumgruppen, unter denen sich Menschen und Thiere behaglich fühlten, etwas wahrhaft Reizendes: Bild reihte sich an Bild; aber wie arm fühlte ich mich, von so vielem Schönen so wenig festhalten zu können! Wie kostbar sind solche Augenblicke und wie schnell entfliehen sie!

Von der Schlacht bei Smolensk bekam ich leider nichts zu sehen, da das 4. Armeecorps keinen Antheil an ihr hatte und ich mich nicht auf eigene Faust aus dem Hauptquartier des Prinzen Eugen entfernen wollte.

Am Abende der Schlacht gewahrte man von unserm Lagerplatze aus ein schauerlich schönes Schauspiel: die Stadt stand in hellen Flammen und die glü hende Abendsonne vermischte ihre Strahlen mit der Gluth des Brandes. Das Laub und die lichten Stämme der Birken glänzten durch wahrhaft magische Streiflichter wie vergoldet. Nie in meinem Leben sah ich wieder solch zauberische Lichteffekte; selbst der Rauch der Lagerfeuer erhielt durch den Wiederschein eine röthliche Farbe und gab dem ganzen Treiben in dem lichten Walde etwas Geisterhaftes. Das Feuer wüthete in der Stadt die ganze Nacht hindurch. Am folgenden Tage wurde die Stadt genommen. Die Russen hatten sie verlassen und zogen sich auf die gegenüberliegenden Anhöhen des rechten Dnieperufers zurück. Napoleon ritt in Smolensk ein. Bald verließ der Feind auch diese Stellung und entschlüpfte aufs neue. Abermals war für Napoleon die Hoffnung auf einen entscheidenden Schlag, auf einen glänzenden Sieg dahin. Er stand am Wendepunkte seines Glückes; noch war es Zeit, umzukehren, aber kein guter Genius flüsterte ihm zu: „Bis hieher und nicht weiter!“ Ein feindseliges Verhängniß trieb ihn und seine thatenreiche Armee dem Untergange entgegen.

Smolensk selbst, eine mit einer sehr großen und vielen kleinern Kirchen und schönen Bauten gezierte Stadt, gewährt einen höchst fremdartigen, interessanten Anblick. Es ist rings von einer starken, mit Schießscharten versehenen, durch viele feste Thürme verstärkten Mauer umgeben. Das Innere der Stadt hat etwas Heiteres und Reinliches. Gegen den Dnieper hin, der die Stadt von einer tiefer liegenden, großen Vorstadt trennt, senkt sie sich an einem Abhange hinab, den auch fruchtbare Obstgärten zieren. Die innere Stadt blieb bis auf wenige Häuser von dem Brande verschont, die große schöne Vorstadt aber jenseits des Dnieper wurde in einen Aschenhaufen verwandelt, dessen rauchende Trümmer wir den Tag nach der Einnahme der Stadt durchzogen.

Prinz Eugen besetzte nämlich die von den Russen verlassenen Anhöhen jenseits des Dnieper, von wo aus uns ein imposanter Anblick über das Ganze zu Theil wurde. Ich fand Zeit, eine gründliche Zeichnung der Stadt und ihrer schönen fruchtbaren Umgebung zu machen. Hier verweilten wir vom 17. bis 20. August bei anhaltend heiterem Wetter und großer Hitze.

In dem Garten des armseligen Hauses, welches der Prinz bewohnte und welches zunächst der durch zwei Pyramiden bezeichneten Barriere an der Straße nach Petersburg lag, errichtete ich mir an einem schönen Punkte eine eigene Hütte mit Tisch und Bank aus Brettern, welche ich mit meinem Diener zusammentrug. Hier fühlte ich mich sehr behaglich und machte mich an das Werk, Mehreres, was ich bisher nur mit flüchtigen Strichen entwerfen konnte, ins Reine zu bringen, zeichnete aber daneben auch vieles Neue. Es waren die letzten Stunden der Muße, die mir während dieses Feldzuges zu Theil wurden. Das Rennen und Jagen dieses kolossalen Soldatenhaufens, um einen großen Moment der Entscheidung zu erhaschen, war nicht geeignet, einem Künstler Zeit zu lassen, alles Zeichnenswerthe festzuhalten. Mit wahrem Herzweh mußte ich an so vielem vorübereilen.

In solchen Bewegungen konnte man sich nicht leicht von dem Körper entfernen, dem man zugetheilt ist, sei es ein Corps, ein Regiment oder ein Stab. Und einigemale, wo ich es versuchte und mich im Eifer des Zeichnens hinreißen ließ, zurückzubleiben, bekam mir die Lection immer sehr schlecht und bereitete mir große Verlegenheiten.

Von der Atmosphäre, in welcher wir in den Ruhetagen bei Smolensk lebten, läßt sich, so heiter auch der Himmel war, nicht viel Erfreuliches sagen: die noch immer rauchende Brandstätte und der Aasgestank der vielen todten Pferde und Leichname, welche alle unbeerdigt liegen blieben und bei der großen Hitze in vierundzwanzig Stunden schwarz waren und in Verwesung übergingen, verpesteten die Luft, aber man gewöhnt sich im Kriege an Dinge, vor denen im gewöhnlichen Leben die Natur mit Schauder und Ekel sich abwendet.

Das Elend und die traurigen Folgen dieses Zerstörungskrieges waren noch immer im Steigen. Das ge plünderte und halbzerstörte Smolensk wurde in ein Lazareth der kläglichsten Art verwandelt. Es fehlte an Aerzten, Medikamenten und allem, was zur Pflege der vielen Kranken und Verwundeten nöthig war. Ein großer Theil derselben fiel hilflos dem Tode zur Beute. Die unausbleibliche Folge solcher Zustände, das Spitalfieber (der Typhus) raffte sie zu Hunderten weg.

In einem großen Kriegsrath zu Smolensk wurde indessen die Unternehmung nach Moskau und damit das Schicksal der großen Armee entschieden. Die bedeutendsten Feldherren, darunter auch Murat und Prinz Eugen, sollen nicht mit dem Zuge nach Moskau einverstanden gewesen sein, aber der Kaiser wollte es und die Mehrzahl stimmte ihm bei; so schwer lastete der Wille eines Einzigen auf dem Schicksal von vielen Hunderttausenden.

Auch bei den heißen und blutigen Gefechten, welche Ney, Murat, Davoust der russischen Arrieregarde lieferten, war das 4. Armeecorps nicht betheiligt. Ich kann darum über sie nichts sagen, weil ich mir zur Aufgabe gemacht, nur Selbsterlebtes und Gesehenes zu erzählen.

Am Morgen des 23. August wurde der verhängnißvolle Marsch nach Moskau, dem Grabe von Napoleons Macht und Glanz, angetreten; aber nicht mit dem siegestrunkenen Bewußtsein, mit dem sich diese Armee 1806 Berlin, 1809 Wien genähert hatte, betrat man diesen Weg, sondern mit Mißtrauen auf einen glänzenden Erfolg. Ueberdruß der Beschwerden, mit denen man unausgesetzt seit Monaten zu kämpfen hatte, Besorgnisse ob dem fortwährenden Zusammenschmelzen der Armee und ihren vielen Verlusten, endlich der Gedanke: „Wann und wie werden wir unser Vaterland wiedersehen?“ all das lähmte den Flug der Begeisterung, mit der Napoleon sonst seine Soldaten zum Siege führte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers