Abschnitt 9

12 Rückreise.


Der Zufall wollte, daß mir gleich beim Eintritt in die erste deutsche Stadt der Kontrast mit dem jenseitigen Ufer des Niemen recht grell in die Augen fiel. Ich wurde bei einer Familie einquartiert, die der gebildeten Klasse angehörte. Sie bestand aus einer Wittwe mit drei Töchtern, die an Schönheit, jugendlicher Frische und Anmuth der Sitten miteinander wetteiferten. Die Mutter selbst stand in noch nicht sehr vorgerückten Jahren und hatte in Sprache und Ausdruck etwas Mildes und Anziehendes. Es war ein unbeschreiblicher Gegensatz zu dem Leben, den Wohnungen und Familienverhältnissen, welche ich am russischen Ufer der Memel gefunden. Man empfing mich mit Höflichkeit, lud mich ein, im Familienzimmer Platz zu nehmen und mich zu erwärmen, bis mein Zimmer geheizt sei, und bot mir Kaffee an. Anfangs war man freilich etwas frostig, da meine Uniform und die französischen Adler auf meinen Knöpfen und Aufschlägen für diese Damen nichts Anziehendes hatten. Trotzdem erwiesen sie sich theilnehmend und wurden bald zutraulich, als sie fanden, daß unter meinem französischen Rocke ein deutsches Herz schlage. Sie erwiesen mir alle Aufmerksamkeit, verpflegten mich sehr gut und bedauerten, daß ich nur auf einen Tag einquartiert sei, sie würden mich gerne länger behalten, damit ich mich von den überstandenen Strapazen ein wenig erholen könnte, allein dazu wäre nothwendig, daß ich die besondere Bewilligung einhole, welche ich durch den artigen Kommandanten bereitwilligst erhielt. Drei angenehme Tage verlebte ich daselbst, welche in geistiger Hinsicht den wohlthätigsten Einfluß auf mich übten. Dagegen mußte ich mich nach dem langen, wilden Nomadenleben erst allmälig wieder daran gewöhnen, in einem ordentlichen Bette zu schlafen und gut verpflegt zu werden. Ich war so sehr abgehärtet und an frische Luft und rauhe Witterung gewöhnt, daß ich nach meiner Zurückkunft in München den größten Theil des strengen Winters von 1812 auf 1813 in einem ungeheizten Zimmer arbeitete.


Bevor ich Tilsit verließ, vertauschte ich meinen bequemen Reisewagen mit einem leichteren und bekam 25 Louisd’ors Aufgeld, die mir sehr zu Statten kamen. Ich hatte auch sehr wohl daran gethan, mir einen leichten Wagen zu verschaffen, denn der Boden dieser Ostseegegend ist so weich und morastig, daß die Wege wahrhaft grundlos waren, und noch immer gab es keinen Frost, obwohl die Jahreszeit schon so vorgerückt war und wir uns im November befanden.

Ueber die Reise nach Königsberg ist wenig zu sagen. Wir erreichten diese interessante Stadt am Abend des 6. November. Hier fand ich aber nicht die liebevolle Aufnahme, wie in Tilsit. Wir wurden in dem Hause eines angesehenen Beamten einquartiert, in dem alles auf Wohlstand deutete. Eine Magd führte uns durch den Hof in ein Hinterhaus, wo uns ein Zimmerchen mit einem Bette angewiesen wurde. Als ich nach einem zweiten Zimmer und Bett fragte, erhielt ich zur Antwort, das Bett wäre für uns beide, für mich und den Thierarzt. Ich verlangte darauf den Herrn des Hauses zu sprechen, wurde aber zu der Frau geführt, mit dem Bedeuten, der Herr sei abwesend. Welch eine Erscheinung! Eine lange, hagere Gestalt mit gelbem, bleichen Gesicht und Zügen, aus denen Geiz und Mißgunst sprachen, stand vor mir. Sie war sehr verwundert, daß ich ein zweites Bett verlangte und bemerkte, in jenem Bette, das uns angewiesen worden, hätten auch zwei Pagen des Kaisers geschlafen, als Napoleon hier gewesen. Ich erwiderte, daß ich recht gut wüßte, wie es in einem Hauptquartiere Napoleons zuginge, da kämen dergleichen Dinge wegen Mangels an Raum gar oft vor, jetzt aber sei Napoleon nicht hier und in Königsberg wäre Raum genug, um einen Offizier des Vicekönigs anständig unterzubringen. Es sollte mir leid thun, wenn ich veranlaßt würde, Schritte zu machen, die sonst nicht in meiner Art wären. Ich bliebe acht Tage hier, um mich zu equipiren; wenn ich artig behandelt würde, so würde sie einen bescheidenen, artigen Mann an mir finden, im Gegentheil könnte ich auch unartig sein, wenn es noth thue. Auf diese Unterredung hin wurde mir ein anderes, besser eingerichtetes Zimmer aufgeschlossen, während mein Reisegefährte das erste Zimmer behielt. Die Frau bekam ich nicht mehr zu Gesichte, ich trug auch kein Verlangen darnach.

Hier in Königsberg fühlte man allenthalben die in politischer Hinsicht herrschende schwüle Stimmung. Bei jedem Anlasse drückte sich die unfreundlichste Gesinnung gegen alles aus, was zur französischen Armee gehörte. Auch die Franzosen, welche sonst gewöhnt waren, in Deutschland sehr freundlich behandelt zu werden, waren eben nicht sehr bemüht, die französische Artigkeit an den Tag zu legen. Bei jeder Gelegenheit kam die große Geringschätzung zum Vorscheine, die man seit dem Jahre 1806 gegen das ganze preußische Volk hegte, und so fand der gegenseitige Haß täglich neue Nahrung. Noch war man von der mißlichen Lage, in der sich Napoleon und seine Armee befand, hier nicht völlig unterrichtet. Wie mag jene erbitterte Stimmung zugenommen haben, nach dem die Nachricht von dem unglücklichen Rückzuge kund wurde. Ich für meinen Theil fand es deßhalb angezeigt, mit meinen Erzählungen in Königsberg vorsichtig zu sein.

Meine Börse litt auch unter dem Widerwillen, den man gegen die französischen Uniformen hatte. Da ich mir einige nothwendige Kleider machen ließ, übernahm mich der Schneider also, daß ich, gering geschätzt, alles doppelt bezahlen mußte.

Uebrigens kam mir mein Glücksstern auch in Königsberg wieder entgegen. Ich bedurfte einer neuen Marschroute und begab mich deßhalb auf das Bureau des Oberkriegskommissärs. Kaum eingetreten, blickte ein schöner, junger Mann von seinem Pulte auf, erhob sich und kam mir freundlich entgegen. Es war ein liebenswürdiger Franzose, den ich 1809 in Wien kennen gelernt hatte. Er interessirte sich damals lebhaft für mich und wir waren in Schönbrunn viel beisammen. Er verschaffte mir jetzt auf meiner Marschroute Ansprüche auf Vorspann, die ich auch, mit Ausnahme von Sachsen, überall ohne Anstand bekam. Dadurch wurde mir die Weiterreise sehr erleichtert und ohne diese Begünstigung hätte ich mit meinem Reisegeld nicht ausgereicht.

Am 16. November verließ ich Königsberg, nachdem ich hier den ersten Schnee gesehen und meine Frau von meiner baldigen Ankunft in München be nachrichtigt hatte.

Von Königsberg war mir der Weg über Elbing, Marienburg, Marienwerder, Graudenz, Culm, Bromberg vorgezeichnet. Die Reise bot von nun an nicht viel Bemerkenswerthes. Zwar brachte jeder Tag noch seine kleinen Beschwerden und fast jedes Quartier Eigenthümlichkeiten mit sich, die Stoff zu besondern Beobachtungen über die Menschen und ihre Lebensweise, ihre Sitten, Gebräuche und Wohnungen bieten. Ein Hackländer würde mit seiner Schilderungsgabe und Darstellungsweise immerhin Stoff genug gefunden haben, ein paar Bände auszufüllen; da aber diese Blätter nichts anders, als eine einfache, schlichte Erzählung der Erlebnisse auf meiner Rückreise sein sollen und keinen Anspruch auf eine literarische Durchbildung machen, so kann Vieles unberührt bleiben was am Ende doch gewöhnlich ist, sich häufig wiederholt und dadurch nur meine Erzählung schleppend machen würde.

Die Straßen befanden sich in den meisten Gegenden, die wir durchreisten, besonders in Westpreußen, Polen und Sachsen in elendem Zustande wodurch das Weiterkommen sehr erschwert und die Reise entsetzlich langweilig wurde. Auch schlug die Witterung um und wurde sehr unfreundlich und naßkalt. In unsern Tagen, wo durch Eisenbahnen und alle möglichen Transportmittel das Reisen so erleichtert ist, kann man sich schwer einen Begriff machen, wie man von Moskau nach München, ohne sich besonders zu verweilen, drei Monate brauchen konnte, obwohl hiebei 80–100 Meilen noch mit Extrapost zurückgelegt wurden.

Am 18. November verlebte ich in Elbing bei einer sehr gebildeten Familie einen jener Tage, die unter solchen Verhältnissen schöne Erinnerungen zurücklassen. Der Besitzer des Hauses besaß eine hübsche Bibliothek, in der sich Wielands Werke in einer Prachtausgabe befanden. Ich erfrischte mich sehr an diesem anmuthigen Dichter.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers