Abschnitt 8

12 Rückreise.


Hier verweilte ich einige Tage, Einiges zu ordnen und meine Pferde (um einen wahren Spottpreis) zu verkaufen. Denn daß ich mit den armen Thieren nicht mehr weiter käme, darüber war kein Zweifel; Vorspann konnte ich auch nicht erhalten und so blieb mir keine andere Wahl, als vorerst bis Wilna Postpferde zu nehmen.


Den Tag nach meiner Ankunft begab ich mich zu dem Gouverneur, der mich freundlich aufnahm und sich lange mit mir unterhielt. Meine Papiere gab er einem Offizier des Bureau, um sie zu unterzeichnen und den nöthigen Erlaubnißschein auszustellen, damit ich Postpferde bekommen konnte. Als ich mich nach Hause zurückbegeben hatte, besah ich zufällig meinen Paß und bemerkte, daß ich angewiesen war, über Wilna und Königsberg zu gehen und daß jede Poststation genannt war, die ich zu passiren hatte. In der Marschroute war es ebenso. Augenblicklich verfügte ich mich zu dem Gouverneur und bemerkte, es schei ne hier ein Irrthum vorzuliegen; ich hätte den Wunsch ausgedrückt, daß ich den weit näheren Weg über Grodno und Warschau nehmen dürfte. Er blickte mich ernst an und sagte mit Nachdruck: „Es ist kein Irrthum, sondern mit Vorbedacht geschehen. Sie können jene Route nicht nehmen! Gehen Sie den Weg, den ich Ihnen vorzeichnen ließ. Reisen Sie glücklich!“ Der Mann sah dabei so ernst aus, daß ich wohl sah, hier gelte keine Einwendung. Im Heimgehen dachte ich aber bei mir selbst: „Sonderbare Laune von diesem Manne, was muß er denn dabei für eine Absicht haben, mich einen solchen Umweg machen zu lassen?“ fügte mich aber in das Unvermeidliche und schickte mich zur Abreise an.

Das Räthsel, warum man mir in Minsk diesen Weg vorgeschrieben, klärte sich bald auf. Einige Tage, nachdem ich Minsk verlassen, war schon der Vortrab der russischen Armee, die unter Anführung von Tschitschakoff aus der Türkei kam, in der Nähe von Minsk erschienen, und in der zweiten Nacht meiner Reise nach Wilna nahmen die Posthalter schon Anstand, mir Pferde zu verabfolgen, weil das Gerücht allenthalben ging, daß die Gegend von den Kosaken beunruhigt sei. Hätte ich die Straße nach Grodno eingeschlagen, so wäre ich ihnen schnurgerade in die Hände gelaufen.

In der zweiten Nacht, bevor ich Wilna erreichte, begegnete mir das wunderlichste und zugleich erfreulichste Abenteuer der ganzen Reise. Wir waren noch zwei Stationen von Wilna entfernt, als ich bei dem Posthause ankam, um die Pferde zu wechseln. Vor demselben stand ein bepackter Reisewagen, der im Dunkel der Nacht meine Aufmerksamkeit auf sich zog, da er mir in seinen Umrissen bekannt schien. Jedoch dachte ich nicht weiter darüber nach und trat, bis frische Pferde angespannt waren, in das Zimmer, um meinen Namen vorschriftsgemäß in das Postbuch einzutragen.

Auf langen Bänken, die an der Wand herum standen, lagen zwei Offiziere, mit großen, blauen Mänteln bedeckt, und schliefen. Ich kümmerte mich wenig darum, wollte auch nicht unbescheiden sein und sie naher betrachten, fragte aber, wer sie wären. Ich erhielt zur Antwort, es sei ein französischer General und ein Cuirassieroffizier, sie wären vor einer Stunde angekommen. Damit gab ich mich zufrieden und stieg in meinen Wagen. Ich schlief bald ein und träumte von meinem theuren de Saive, als ich durch ein sehr lautes Rufen außerhalb des Wagens geweckt wurde. Ich traute meinen Ohren nicht und glaubte noch zu träumen, bis ich immer lauter und vernehmlicher rufen hörte: Mr. Adam! Mr. Adam!

Ich schlug die Ledervorhänge des Wagens zurück und erblickte den Kammerdiener meines Freundes de Saive. Dieser meldete mir, daß sein Herr bald nach meiner Abfahrt erwacht sei und seinen Namen unter den meinigen in das Postbuch eingezeichnet habe. Ihm habe er befohlen, sich augenblicklich ein Courierpferd satteln zu lassen und so schnell und lange zu reiten, bis er mich eingeholt. Er fügte bei, de Saive sei außer sich vor Freude gewesen über dieses wunderbare Zusammentreffen. Er werde bald nachfolgen und hoffe, wenn nicht auf der Straße, so doch sicher auf der nächsten Post mich zu treffen.

Wer ein so inniges, zartes Verhältniß, wie es zwischen mir und diesem edlen Menschen bestand, zu begreifen im Stande ist, wer die Gefühle des Dankes, die mich an ihn fesselten, die bedeutenden Momente meines Lebens, in denen er mir theilnehmend und schützend zur Seite gestanden, zu würdigen versteht, nur der kann sich eine schwache Vorstellung von der Freude machen, die mich belebte, als ich durch jene Botschaft mitten in der Nacht auf fremder Erde erweckt wurde.

War es der mir bekannte Wagen, mit dem ich selbst so oft gefahren, waren es die beiden Schlafenden, die mir doch auffielen, oder war es Sympathie, daß ich eben von de Saive träumte? Ich weiß es nicht zu sagen, aber wunderlich genug war das Zusammentreffen mit allen Nebenumständen.

Ich ließ von dem Augenblicke an im Schritte fah ren. Wir kamen aber erst auf der nächsten Post zusammen. Die Freude des unerwarteten Wiedersehens läßt sich nicht beschreiben. Von da fuhren wir zusammen nach Wilna. Hier verlebte ich die drei glücklichsten Tage meiner Reise, sie verstrichen nur allzuschnell. Wie vieles hatten wir uns zu erzählen! Wie manche Erinnerung an vergangene, frohe Stunden tauchten in diesen Ruhetagen wieder auf! Aber auch mancher trübe Blick in die Zukunft und auf das Schicksal der Armee warf einen finstern Schatten in unsere gegenseitigen Mittheilungen.

De Saive war von dem Prinzen Eugen in Geschäften nach Wilna gesandt, und hatte noch dort zu verbleiben, als ich meine Reise nach drei Tagen fortsetzte. 1)

Wilna ist eine sehr ansehnliche Stadt, und es herrschte dort das lebendigste Treiben, ein großer Zusammenfluß von Truppen aller Art. Für Geld konnte man sich alle erdenklichen Bedürfnisse verschaffen. Ich verbesserte einiges an meiner Kleidung und kaufte mir einen neuen Hut, in dem alten konnte ich mich vor keinem Menschen mehr zeigen.

Die Fortsetzung der Reise mit Extrapost schien mir für den weiten Weg, den ich noch vor mir hatte, zu theuer. Ich befürchtete, mit meiner Baarschaft nicht auszureichen, und schloß daher mit einem Juden einen Vertrag, uns für den Preis von 40 Thalern nach Kö nigsberg zu fahren. Diese Leute treiben dort alle Gewerbe und besonders auch die Lohnkutscherei; er hatte fünf Pferde nebeneinander gespannt, und wir kamen wacker vorwärts. Uebrigens war dieser Jude ein Kerl voller Ränke und Schwänke, wie die meisten Leute dieser Art; man hätte glauben können, er sei bei einem italienischen Vetturino in die Lehre gegangen. Zum Glück hatte ich gelernt, mit solchen Leuten zu verkehren, und ein paarmal gab es selbst, da es nicht anders ging, Prügel, dann kamen wir wieder recht gut mit einander aus; es handelte sich dabei um pekuniäre Dinge und Prellereien.

Meinen polnischen Diener hatte ich in Wilna zurückgelassen; er fand auch bald einen andern Herrn, mit dem er nach Paris kam; drei Jahre später besuchte er mich in München.

Am 28. Oktober verließen wir Wilna, erreichten zu Kowno den Niemen und fuhren an dem rechten Ufer dieses Grenzflusses fort bis Tilsit. Hier verließen wir Rußland. Nie werde ich das angenehme Gefühl vergessen, das ich empfand, als ich den russischen Grenzsäulen Lebewohl sagte.

Ueber diese Tour von Wilna bis Tilsit läßt sich wenig Bemerkenswerthes sagen, obwohl wir von Wilna bis Tilsit acht Tage unterwegs waren. Wir fanden meistens schlechtes Quartier und schlechte Straßen, nur das Wetter war noch sehr schön. Auf dieser Route traf ich zu meiner Freude wieder mit den Equipagen des Kronprinzen von Württemberg zusammen.

Am 5. November kamen wir in Tilsit an. Mit dem ersten Tritte auf das linke Ufer des Niemen begrüßten wir die deutsche Heimath mit einer Freude und einem Jubel, welche nur der begreift, welcher lange unter fremden Völkern gelebt hat. Das sind nur Renegaten, die sich unter fremden Nationen gar so sehr behaglich fühlen.




1) Die beiden Freunde begegneten sich von da an nie mehr, standen aber fortwährend in regstem Briefwechsel. De Saive ließ sich in Belgien, seiner Heimath, als Landwirth nieder und erlebte, umgeben von edlen Kindern, ein hohes Alter in Glück und Ehre; zuletzt meldeten sich die überstandenen Strapazen: er wurde schwer leidend und erblindete fast gänzlich. Der Kunst und seiner Kirche hing er mit voller Jugendkraft bis zu seiner Todesstunde an.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers