Abschnitt 7

12 Rückreise.


Der 14. Oktober war einer unserer ominösen Tage; wir verfehlten am frühen Morgen die Straße, kamen ganz von der rechten Richtung ab, wurden umgeworfen, jedoch ohne Schaden zu nehmen, und kamen gegen Mittag an eine kleine Ortschaft, wo wir Futter in Hülle und Fülle fanden. Wir glaubten nur zugreifen zu dürfen, und unsere Pferde ließen es sich vortrefflich schmecken. Aber bald wurden wir arg enttäuscht. Es erschien ein Haufe Bauern mit dem Gutsherrn an der Spitze, die sehr brutal thaten und vor Begierde brannten, uns durchzuprügeln. Der Gutsherr stellte mich zur Rede, warum ich die Hauptstraße verlassen habe, dort wären Magazine. Hier aber sei keine Militärstraße u. dgl. m. Es galt, zu einer Finte unsere Zuflucht zu nehmen. Ich that noch brutaler als die Bauern, schrie, sie würden wohl heute noch mehr hergeben müssen; ich hätte die Hauptstraße verlassen, weil in den Magazinen nicht Vorräthe genug wären, da ich einen Train von 60 Pferden bei mir hätte, die nachfolgten. Ich sei voraus geritten, um mich ein wenig umzusehen und Quartier zu bestellen. Dieß und der zuversichtliche Ton, in dem ich sprach, wirkte. Man verlegte sich auf das Unterhandeln; der Gutsherr ver sicherte mich, daß wir mit leichter Mühe vor Abends einen großen Edelhof erreichen könnten, wo ein weit besseres Unterkommen zu finden sei, als hier, und malte mir die Situation recht reizend aus. Anfangs spielte ich den Zweifler, nahm eine große, aus vier Blättern bestehende Karte von Rußland aus dem Wagen, breitete sie auf dem Boden aus und suchte nun lange darauf herum, zog überhaupt die Verhandlung möglichst in die Länge, damit meine Pferde sich an dem guten Futter recht gütlich thun konnten. Durch dieses sichere Benehmen kam es zuletzt so weit, daß man mir Geld anbot, wenn ich dafür sorgen wollte, daß meine Leute weiter ziehen. Das wies ich mit Indignation zurück, schrieb auf einen Zettel einige italienische Zeilen mit dem Bemerken, das könne man einem Sergeanten geben, wenn meine Leute kämen; es wären lauter Italiener, welchen sie sich sehr schwer verständlich machen könnten, da hätten diese aber die Weisung, weiterzuziehen. So kamen wir aus dieser Verlegenheit und zogen mit unsern sattgefütterten Pferden möglichst rasch von dannen und erreichten wirklich noch am Abende zu guter Stunde den uns bezeichneten Edelhof.


Herr und Frau gehörten der gebildeten Klasse an. Ich trat höflich ein, bedauerte, durch ein Versehen die Hauptstraße verfehlt zu haben und bat um Erlaubniß, bis zum nächsten Morgen ihre Gastfreundschaft an sprechen zu dürfen. Man hieß mich willkommen und behandelte mich auch wie einen nicht unwillkommenen Gast. Wir fanden recht gute Verpflegung. Ohne besondere Störung setzten wir am folgenden Tage unfern Weg weiter fort und erreichten am Abende ein hübsches Dorf, das abseits von der Straße lag. Mein Kutscher machte mich aufmerksam, daß es hier nicht ganz geheuer sei. Es schlichen sich allerlei Leute um den Wagen herum, die ihn aufmerksam musterten, auch hätte er einige verdächtige Reden gehört; ich möchte auf meiner Hut sein und lieber noch Jemand zu mir in den Wagen nehmen. Ich meinte dagegen, es werde nicht gerade so gefährlich sein, ermorden würden sie mich wohl nicht, und das Ausrauben denke ich schon zu verhüten. Zur Vorsicht aber legte ich doch meine zwei scharf geladenen Pistolen neben mich auf den Wagensitz. Mein Bursche hatte recht gesehen, in der Nacht verspürte ich Unruhe am Wagenkasten und ein Gemurmel von Stimmen. Ich rührte mich nicht, nahm aber meine Pistolen zur Hand und spannte beide, was man außen gut hören konnte. Auf das hin wurde alles ruhig; dann aber versuchte Jemand mit der Hand durch die vorgezogenen Ledervorhänge hereinzudringen. Diesem versetzte ich mit dem Laufe einer Pistole einen so derben Schlag, daß er seine Hand rasch zurückzog, Gleich darnach hörte ich Tritte von mehreren Leuten, die sich eilig entfernten. Und ich wurde nicht weiter belästigt.

Am folgenden Morgen fanden wir einen armen Juden, der uns für geringes Geld mehrere Stunden weit begleitete und auf die Militärstraße führte, die ich meiner Marschroute gemäß einschlagen mußte.

Den ganzen Weg von Moskau bis hieher hatte ich Gelegenheit zu bemerken, daß es immer mit Gefahr verbunden war, wenn man sich von der Militärstraße entfernte. Zwei Tage hindurch, seit wir von der Hauptstraße abgekommen, begegnete uns nicht ein einziger Soldat der französischen Armee, und wir hätten füglich können todtgeschlagen werden, ohne daß ein Hahn nach uns krähte. Jetzt bewahrheitete sich auch, was jener Gutsherr sagte, daß nämlich auf der Hauptstraße Magazine errichtet wären. Wir faßten Fourage und nun kam die Reihe, sich besser zu ernähren, auch an die armen Pferde, nur Schade, daß sie durch die großen Anstrengungen bis hieher schon beinahe zu Grunde gerichtet waren.

Ohne weitere besondere Ereignisse schleppten wir uns noch sechs Tage lang mühsam fort, bis wir endlich am 22. Oktober auf drei Stunden Entfernung von Minsk anlangten.

So waren nun unter unzähligen Mühseligkeiten und Gefahren volle vier Wochen verstrichen, um diesen Weg von 200 Stunden zurückzulegen. Wie bei einem solchen Marsche alles herunterkömmt, was der Mensch mit und an sich hat, ist leicht denkbar. Wahrhaft bejammernswerth war der Zustand unserer Pferde, es verursachte mir Herzweh, sie anzusehen. Die armen Thiere waren so heruntergekommen, daß sie sich kaum mühsam fortschleppen konnten; auf dem letzten Marsche nach Minsk brauchten wir einen vollen Tag, um eine Strecke zurückzulegen, die ein ordentlicher Fußgänger in drei Stunden leicht zu gehen vermag.

Eine herrliche Mondnacht folgte dem stürmischen Tag, an dem wir Moskau verließen. Den Gefahren jenes Tages glücklich entronnen, suchten wir uns damals ein stilles, heimliches Lagerplätzchen, in dem wir uns gleich Dieben, die das Auge der Menschen scheuen müssen, verborgen hielten, ohne es zu wagen, ein Feuer anzuzünden. In einer ebenso schönen Vollmondnacht, bei heiterstem Sternenhimmel bezogen wir vier Wochen später unser letztes Nachtquartier unter freiem Himmel, nur unter ganz andern Verhältnissen.

Wir langten nach Sonnenuntergang bei einem kleinen Gehölze an, in dessen Nähe auf einem hübschen Platze seitwärts der Straße ein munteres Feuer brannte, an welchem ich verschiedene Kochgeschirre bemerkte. Mehrere Menschen thaten sehr rührig, lustig, und schienen guter Dinge, so daß ich aufmerksam wurde und sagte: „Ich muß doch sehen, wer diese Leute sind, es scheint dort recht heiter zuzugehen.“ Mit diesen Worten stieg ich aus und ging auf das Feuer zu. Wie erstaunt war ich, als ich, näher gekommen, meine frühere israelitische Reisegesellschaft wiederfand. Diese Leute waren nicht minder überrascht und begrüßten mich mit einem wahren Jubel, als sie mich erkannten. „Nun, das soll ein froher Abend werden, hieß es, an den wir uns alle gerne erinnern.“ Einer derselben holte ein hübsches Kaffeegeschirr von ihrem Wagen, und vor allem wurde Kaffee gemacht, weil jene wußten, daß ich diesen gerne trinke. Zu dem Essen fügten auch wir von unsern Vorräten hinzu, später wurde auch noch Grogg bereitet. Eine große Heiterkeit ergoß sich über uns alle und machte den Abend zu einem wahren Feste. Man saß bis tief in die Nacht fröhlich beisammen.

Es ist immer ein angenehmes Gefühl, wenn man in so widriger Lage Menschen begegnet, die uns Anhänglichkeit bezeigen. Diese erwiesen mir jene Kaufleute, so oft ich ihnen begegnete, ohne daß ich dabei eine eigennützige Absicht bemerkte. Es mag ihnen wohlgethan haben, daß ich sie nie etwas von den Vorurtheilen fühlen ließ, die man im allgemeinen in der Gesellschaft gegen die Juden hegt. Dies kam mir gar nicht schwer an; ich habe jederzeit im Menschen nur den Menschen gesehen, ohne Rücksicht auf Religion, Vaterland, Stand, und habe mich auch immer leicht angeschlossen, sobald ich Herz und Gefühl bei Jemandem wahrnahm. Hiebei bin ich stets gut gefahren.

Tags nach diesem zufälligen Zusammentreffen mit den Juden, die mich dringend baten, ihnen das Versprechen zu geben, in Glogau, wenn ich dorthin kommen sollte, bei ihnen zu wohnen, langte ich wohlbehalten in der ansehnlichen Stadt Minsk an, es war am Abend des 23. Oktober.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers