Abschnitt 6

12 Rückreise.


Nachdem das Regiment vorübergezogen, setzten wir langsam und vorsichtig unsere Reise fort und kamen nach anderthalb Stunden an die Stelle, wo der Ueberfall der Kosaken stattgefunden. Zwei Todte lagen noch in ihrem Blute, auch verkündeten dort rauchende Trümmer von verbrannten Munitionswagen und verschiedenen Gegenständen deutlich, daß man sich vor kurzem raufte. Daß uns bei diesem Anblicke unheimlich zu Muthe wurde, kann ich nicht läugnen; aber sehr angenehm war uns, daß die Kosaken aus unserem Gesichtskreise verschwunden waren und wir sie auch den ganzen Tag nicht zu sehen bekamen. Sinnend und von ganz eigenen Gefühlen ergriffen, setzte ich getrost die Wanderung fort; ein guter Schutzgeist wachte über mir und begleitete mich auf meinem Wege! Immer gelangte ich an so gefährliche Stellen, wenn die Gefahr vorüber war; ein paar Stunden früher oder später hätten vielleicht die ganze Scene geändert. Ohne weiter belästigt zu werden, zogen wir ruhig dahin und kamen gegen Abend in die Nähe eines großen Stadels, der seitwärts an der Straße stand. Ich wäre vorübergefahren, hätte nicht ein gewaltiger Lärm darin meine Aufmerksamkeit erregt. Ich ließ halten, horchte und bemerkte, daß es hier Streit gab. Bald trafen auch wohlbekannte Töne an mein Ohr. Sie waren so stark, daß man sie eine Viertelstunde weit hätte vernehmen können. Ich erkannte deutlich den schwäbischen Accent, stieg aus und trat in den Stadel. Hier fand ich die Equipagen des Kronprinzen von Württemberg. Einige Soldaten von der leichten Cavallerie, welche sie begleiteten, waren uneins geworden und prügelten sich durch. Durch mein Erscheinen legte sich nach und nach das Gewitter. Auch meine Juden schrien mit und halfen nach Kräften, den Lärm zu steigern. Diese waren gestern, durch böse Gerüchte geängstigt, eine gute Strecke über Semlewo hinausgeeilt und so mit den Württembergern zusammengetroffen.


In diesem Stadel machte ich eine gute Bekanntschaft an einem königlichen Bereiter, der den Zug begleitete. Es war ein gebildeter Mann, in dessen Umgang ich später manche Stunde zubrachte. Bei diesem Transporte, mit welchem ich nun weiter reiste, befanden sich noch einige schöne Reitpferde, mehrere Equipagen und Wagen und einige reitende Jäger sammt der übrigen Dienerschaft. So angenehm mir nun auch diese größere Gesellschaft war, denn unsere Juden hatten sich auch angeschlossen, so flößte es mir doch bisweilen Bedenken ein, denn die Erfahrung hatte mich auf dieser Reise belehrt, daß fast immer größere Transporte von Kosaken überfallen wurden und ich glaubte weniger bemerkt zu werden, wenn ich ganz allein meines Weges weiter zog.

Am zehnten Tage unserer Reise heiterte sich der Himmel auf, die Luft wurde mild und wir hatten mit wenig Ausnahmen durch den ganzen Oktober das schönste Herbstwetter. Es kamen sogar Tage, an denen man den Ueberrock entbehrlich fand und an den Pelz gar nicht dachte. Ungehindert erreichten wir Abends ein kleines Dorf und fanden ein gutes Unterkommen. Ebenso verstrich der folgende Tag; ohne besondere Abenteuer wanderten wir in größerer Gesellschaft unserer Wege. Bei so schönem Wetter dachten wir gar nicht daran, eine Ortschaft aufzusuchen. An dem ersten geeigneten Platze machten wir Halt, schlugen unser Bivouak auf und saßen bei Essen und Trinken unter lebhaftem Gespräche in bestem Humor bis Mitternacht um das Feuer herum.

Am zwölften Tag der Reise traf mich ein großer Uebelstand; die Kraft der Pferde ließ bedeutend nach, auch mein Kutscher wurde schwierig. Wir hatten große Noth, weiter zu kommen und verloren so unsere Gesellschaft, der wir nicht folgen konnten. Die Nacht brachten wir in einem Walde zu. Tags darauf trafen wir wieder zufällig mit den Württembergern zusammen und verlebten einen angenehmen Abend auf einem Schlosse, das in einer lieblichen Gegend lag und uns bei schönem Sonnenuntergange mit einem herrlichen Anblicke erfreute. In solchen Augenblicken vergißt man gerne das überstandene Ungemach und schöpft neuen Muth.

Den vierzehnten Tag hatten wir mit unzähligen Widerwärtigkeiten zu kämpfen. Unsere Pferde waren so entkräftet, daß sie fast nicht mehr weiter konnten. Das Geschirr riß überall und zum Ueberflusse verfehlten wir noch die rechte Straße, verloren unsere Gesellschaft und erreichten nur mit Mühe Abends die Stadt Smolensk.

Hier hatten wir die größte Gefahr und die größten Beschwerden hinter uns, aber große Mühseligkeiten warteten noch auf uns. Mit welchen Anstrengungen hatten wir in vierzehn Tagen einen Weg von 130 Stunden zurückgelegt! Welcher Raum trennte uns noch von dem geliebten Vaterlande!

Uebrigens konnte bis Smolensk weder das Ungestüm der Witterung, noch irgend eine Beschwerde meine Gesundheit erschüttern; kräftig und vollkommen gesund kam ich dort an, Muth und Entschlossenheit hatten mich nicht einen Augenblick verlassen.

Während eines zweitägigen Aufenthaltes daselbst ließ ich mein Pferdegeschirr, so gut es ging, zusammenflicken, versah mich mit Fourage und etwas Nahrungsmitteln (viel war aber nicht zu finden). Pferden und Menschen bekam die kurze Ruhe sehr gut.

Smolensk war ziemlich belebt von französischen Soldaten, aber es schienen mir meistens Marodeurs und Leute aus den Spitälern, eine ansehnliche Garnison war nicht da, ich fand mich darum auch nicht veranlaßt, einen längeren Aufenthalt zu nehmen.

Mit ausgeruhten und gut gefütterten Pferden ging es nun am 10. Oktober bei prächtigem Wetter wieder recht ordentlich vorwärts; ich hatte die Straße gegen Minsk eingeschlagen und beabsichtigte, von dort über Grodno und Warschau zu gehen. Das wäre der nächste Weg gewesen, aber in Minsk stieß ich auf neue Hindernisse.

Auf den zwei ersten Tagmärschen von Smolensk nach Minsk ging es uns recht gut. Am ersten Tage bekamen wir ordentliches Quartier in einem hübschen Dorfe, am zweiten jedoch ein sehr schlechtes. Das aber achtet man nicht, wenn man daran gewöhnt ist, sich schon glücklich zu fühlen, ein Obdach zu finden, das uns einigermaßen Schutz vor Wind und Wetter bietet. Am 13. Oktober trafen wir auf unserem Marsche zwei Klöster bald nach einander. Das erste war ein Herrenkloster, das von außen sehr einladend aussah, wir suchten deßhalb dort Unterkommen zu finden, allein gleich beim Eingange trat uns ein Geistlicher entgegen, der Protest einlegte. In seiner ganzen Erscheinung lag Würde, so daß wir uns abweisen ließen. Etwas später kamen wir bei einem Frauenkloster an. Hier wurde uns kein Hinderniß in den Weg gelegt, in den Hof einzutreten, der mit einer Mauer umgeben war, aber kein Thor mehr hatte. Das Hauptgebäude war verschlossen und wir machten keine Bemühungen, die Klosterfrauen zu beunruhigen, sondern nahmen von einer Art Oekonomiegebäude, das im Hofe stand, Besitz. Diesem konnte man aber nur zu gut ansehen, daß wir nicht die ersten ungebetenen Gäste waren, welche darin gehaust hatten. Es sah verwüstet und schmutzig aus und hatte weder Fenster noch Thüren.

Hier begegnete uns in der Nacht ein sonderbares, fast komisches Abenteuer, obwohl es auf den ersten Anschein ernst genug ussah.

Da sich kein Stall vorfand, ließ ich die Pferde in einer Stube unterbringen, an der nicht viel zu verderben war. An diese stieß ein kleineres Gemach, in dem eine schlechte Bettstätte ohne Bett stand. Hier etablirten sich der Thierarzt und der Kutscher, die sich des kleinen Vorraths von Heu, den wir noch hatten, als Kopfkissen bedienten. Ich selbst schlief im Wagen, weil es mir im Gebäude zu schmutzig und die Nacht sehr schön und mild war. Plötzlich wurde ich durch ein gewaltiges Angstgeschrei und Pferdegepolter aufgeweckt. Ich konnte nichts Anderes denken, als daß meine Leute mißhandelt oder gar ermordet würden. Mit dem Säbel in der Hand sprang ich aus dem Wagen und entdeckte bei dem blassen Schein eines Lichtes, das aus einem Fenster des Klosters kam, daß eines meiner Pferde den Kutscher an den Haaren auf dem Boden herumzerrte. Dieses hatte das Heu gewittert, auf dem er mit dem Kopfe gelegen, und versucht, es unter demselben wegzufressen. Dabei hatte es sich mit den Zähnen so in dessen Haare verwickelt, daß es nicht mehr loskommen konnte, ein Auftritt, der sehr erklärlich ist, wenn man weiß, daß dieser Bursche ein sehr dichtes, lockiges Haar hatte, das sich bei dem Leben, das wir führten, auch keiner besonderen Pflege rühmen konnte. Mein Thierarzt eilte ihm wohl zu Hilfe, da aber das Pferd immer rückwärts ging und in der Angst zerrte und zerrte, auch die übrigen Pferde unruhig umhertrippelten, so konnte er allein nicht mehr fertig werden. Wir beide zusammen hatten Mühe, den Kutscher loszubringen. Auf solche Weise wurde unsere Nachtruhe, von der wir uns in der Klostereinsamkeit so gute Erwartungen gemacht, recht unangenehm unterbrochen. Der Kutscher selbst kam außer einigen Huftritten ohne erheblichen Schaden mit dem Schrecken davon. So ein Polack kann viel aushalten!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers