Abschnitt 2

12 Rückreise.


Es ging nur mühsam vorwärts, der Weg war schlecht, das Wetter abscheulich und mit den Pferden, die nicht ziehen wollten, hatten wir fortwährend uns herumzubalgen. Die Warnungen vor Gefahren mehrten sich indessen stündlich; die Straße war nicht ganz frei von französischen Soldaten, von vereinzelten Leuten, armen Marodeurs, die ihre Corps verloren hatten und herumirrten, ohne recht zu wissen, wohin? Unter anderm begegneten wir einem Grenadier der italienischen Garde mit ganz verbrannter Nase. Sein Bart hatte Feuer gefangen und die Nase war zunächst das Opfer. Der arme Mensch sprach uns in schlechtem Französisch an und fühlte sich unendlich beglückt, als ich ihm in seiner Muttersprache antwortete. Er wurde sehr gesprächig und ermangelte nicht, uns mit schauerlichen Geschichten reichlich zu versorgen. Ich gab ihm ein Glas Schnaps und eilte weiter.


Unter großen Mühseligkeiten verging so der erste Tag unserer Rückreise, ohne besonders frohe Aussichten für die Zukunft. Vor Einbruch der Nacht bekamen wir auch noch in Wirklichkeit die Kosaken zu Gesichte. Links von der Straße zeigten sie sich in der Ferne auf einem sanft ansteigenden Hügel in nicht geringer Anzahl an dem Saum eines Waldes und in der ihnen eigenen Unruhe. Wir hielten einen Augenblick, entschlossen uns aber, vorwärts zu gehen und wo möglich rechts von der Straße abzulenken, um jenen aus dem Gesichte zu kommen. In einem etwas abgelegenen kleinen Thal machten wir Halt, um die Nacht zuzubringen und abzuwarten, welche Aussichten uns der folgende Morgen eröffne. Der bisher so lästige Sturm legte sich, prachtvoll stieg der Vollmond herauf und warf einen Hoffnungsstrahl in meine Seele. Ich wurde zu allen Zeiten von Naturschönheiten, besonders durch den gestirnten Himmel, leicht veranlaßt, die Plackereien des Alltagslebens zu vergessen. So ging es mir auch an diesem Abend. Auf einem Wiesengrunde, durch den ein kleiner Bach floß, welcher uns und den Pferden das nöthige Trinkwasser bot, und unter dem Sternenzelte schlief ich nach kur zem Rückblicke auf die heutigen Ereignisse sanft und ruhig ein. Feuer hatten wir aus Furcht vor Entdeckung keines angezündet und begnügten uns mit kalter Küche. Pelze und Mäntel schützten gegen den Nachtfrost.

Ebenso sehr als der Anblick des aufgehenden Vollmondes mir innere Ruhe gebracht, erfreute mich am Morgen ein prachtvoller Sonnenaufgang. Es dauerte jedoch nicht lange, so überzog sich der Horizont wieder mit finstern Wolken, der Sturm raste aufs neue und peitschte uns kalten Regen in das Gesicht, was einen widerlichen Contrast bildete zu der heitern Mondnacht, die uns in so wohlthätiger Stille eines erquickenden Schlafes genießen ließ.

Wir suchten von unserem Lagerplatze aus wieder die große Straße auf und zogen nicht lange auf dieser fort, als wir neuerdings von umherschweifenden, theilweise leichtverwundeten Soldaten Nachrichten bekamen, die geeignet waren, uns gegründete Besorgnisse für unsere Weiterfahrt einzuflößen. Sie hatten sich mit den Kosaken gerauft und durchgeschlagen, weil sie noch Munition besaßen. Gegen Mittag erscholl vor uns Kanonendonner, der aber nicht sehr lange anhielt. Es schien, daß eine größere französische Truppenabtheilung in der Nähe mit dem Feinde kämpfte. Indessen ging das alles seitwärts von der Straße vor sich zu unserer Linken. Der Kanonenrauch stieg hinter Waldungen empor, so daß wir nichts näher unterscheiden konnten. Nur so viel wußten wir, daß wir uns in etwas bedenklicher Lage befanden. Uebrigens wurde nach Verlauf einer Stunde alles stille, die Straße frei vom Feinde und wir zogen ruhig weiter, ohne auf besondere Hindernisse zu stoßen. Für den Nachmittag erwartete uns ein Abenteuer ganz besonderer Art.

Wir gelangten an eine Vertiefung der Straße, in der ein wahrscheinlich für ein Spital bestimmter Fourgon stecken geblieben war; er war verlassen, die Pferde ausgespannt und weit und breit kein Mensch zu sehen. Verschiedene Gegenstände, darunter eine Kiste, die mindestens einen Centner guten schwarzen Thee enthielt, lagen zerstreut auf der kothigen Straße herum. Die Kiste war aufgesprengt und man sah, daß schon andere vor uns einen Theil des Inhaltes weggenommen hatten. Auch wir verproviantirten uns hier reichlich mit Thee, der uns sehr zu statten kam, denn später wurde er ausschließlich unser erwärmendes Getränk in den kalten Nächten. Bald darauf blieben wir mit unserem eigenen Wagen stecken, die Straße ging steil bergan und war ganz grundlos, so daß die Räder zu tief einschnitten und alle Anstrengungen, unser Fuhrwerk flott zu machen, erfolglos blieben. In dieser peinlichen Lage kam ein Dragoneroffizier der kaiserlichen Garde mit zwei Mann gegen uns hergeritten, hielt still und sah uns mit höhnischer Miene zu, wie wir uns abmühten, unser Fuhrwerk in Gang zu bringen. Endlich ritt er heran und fragte nach woher und wohin und bemerkte, nachdem ich ihm die nöthige Auskunft ertheilt: „Wenn Sie von Moskau kommen, so werden Sie wohl hübsch Proviant und andere schöne Sachen bei sich führen.“ Auf meine Entgegnung, daß ich nur den allernöthigsten Bedarf für die Reise bei mir hätte, fragte er, mit lüsternen Augen den Inhalt des Wagens musternd: „Haben Sie Wein?“ – „Nein.“ – „Aber guten Schnaps müssen Sie haben?“ – „Ja.“ – „Nun, wenn Sie meinen Leuten einen guten Trunk geben, will ich Ihnen helfen, Ihr Fuhrwerk wieder in Gang zu bringen, aber Sie könnten nichts Besseres thun, als den Wagen stehen zu lassen, denn weit werden Sie ihn doch nicht bringen!“ Ich nahm eine große Flasche Schnaps, gab sie den Dragonern, welche es sich tüchtig schmecken ließen und dann auf einen Wink des Offiziers demselben die Flasche reichten. Auch dieser trank, behielt aber die Flasche und ritt mit den Worten: „Das bringe ich meinem Capitain!“ langsam weiter. Die Dragoner, zwei große, starke Männer, halfen uns wirklich den Wagen wieder in Gang bringen, und wir fuhren langsam weiter, kamen aber nicht weit, als das ledige Pferd eines der Dragoner an unserem Wagen vorbeilief. Mein Kutscher, keck und aufmerksam wie die meisten Polen, rief mit sehr lauter Stimme in französischer Sprache: „Herr, schießen Sie hinaus, dahinten sind Räuber!“ Mit zwei Pistolen in der Hand sprang ich aus dem Wagen und fand einen Dragoner, der sich abmühte, einen rückwärts aufgepackten Brodsack herunterzubringen, aber er hatte sich zwischen das Packbrett und den Wagenkasten gesperrt, wodurch eine unregelmäßige Bewegung entstand. Diese und sein lediges Pferd hatten den Dieb verrathen. Der Dragoner, in welchem das Ehrgefühl noch nicht abgestorben war, ließ augenblicklich von seinem Vorhaben ab und entschuldigte sich damit, daß er sagte, sein Lieutenant habe ihm befohlen, so zu handeln. Ich bemerkte, daß ein anderer Sack mit Brod auf der Straße lag, ich wollte ihn aufheben, aber der Dragoner bat, ihm diesen zu lassen; es sei sein eigenes Brod, welches sein Pferd verloren habe. Es verhielt sich auch so! Diese Leute hatten Brod und doch wollten sie mir das meinige rauben; so wären wir auf vierzehn Tage ohne Brod gewesen.

Etwas später stieß ich noch auf eine kleine Abtheilung Infanterie und erfuhr, daß ein Zusammenstoß mit den Russen stattgefunden und daß die meisten ihrer Leute gefangen worden seien. Ein Offizier schien sichtbar von Furcht ergriffen; er machte eine klägliche Schilderung und bot alles auf, mich von der Unmöglichkeit des Weiterkommens zu überzeugen. Ich erwi derte, es setze der Rückweg nach Moskau mich denselben Gefahren aus, als das Vorwärtsgehen. So wurde ich zwei Tage lang mit ununterbrochenen Warnungen und kläglichen Berichten geplagt und aufgehalten, aber ich ließ mich durch nichts irre machen, verfolgte meinen Weg und wurde diesen Abend durch nichts weiter belästigt. Mit Einbruch der Nacht gelangten wir in ein verlassenes und verwüstetes Dorf. Es war schon dunkel, als wir an einer noch ziemlich erhaltenen Scheuer hielten. Mein Kutscher sah sich nun um ein Unterkommen für die Pferde um und kam mit großer Freude, mir zu sagen, daß wir heute besonders glücklich seien; er hatte eine geräumige Lokalität für uns und die Pferde und auch Stroh gefunden, was etwas sehr Seltenes war, allein in dem Augenblicke, als er mit den Pferden eintreten wollte, scheuten diese und schnaubten, von sichtbarer Furcht ergriffen. Bei dem ersten Schritte vorwärts stolperte mein Diener und trat auf Leichen. Der ganze Raum war mit Todten angefüllt, die über einander gehäuft lagen. So hatte der Instinkt der Thiere diesen Uebelstand eher bemerkt, als der Mensch.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers