Abschnitt 10

12 Rückreise.


In der Festung Graudenz, wo wir am 23. spät eintrafen, wollte ich Niemand mehr belästigen, sondern befahl dem Kutscher, mich in ein gutes Gasthaus zu führen, wurde aber in unfreundlichster Weise in drei Gasthöfen abgewiesen und erhielt endlich durch die bereitwillige Vermittelung der Kommandantschaft für mein Geld Quartier und gute Verpflegung. Nachdem ich ein sehr gutes Abendessen zu mir genommen, führte mich der Wirth nach dem im Hause befindlichen Casino, wo ich zahlreiche Gesellschaft fand, in der die Offiziere die Mehrzahl bildeten und tonangebend waren, wie das in allen Festungen zu jener militärischen Zeit der Fall war. Aller Augen, alle politischen Meinungen, Hoffnungen und Wünsche sind auf den Soldaten gerichtet, darum fühlt er sich auch mehr als zu jeder andern Zeit.


Anfangs wurde ich in dieser Gesellschaft ein wenig schief angesehen, bald aber trieb die Neugierde einige Offiziere, sich mit mir in ein Gespräch einzulassen, das große Aufmerksamkeit erregte. Es dauerte gar nicht lange so sah ich mich von einem zahlreichen Kreise von Offizieren umgeben, die auf alle andere Unterhaltung verzichteten und mit gespanntem Interesse auf meine Mittheilungen über die Ereignisse in Moskau, die Schlacht bei Borodino und den Zustand, in welchem ich die Armee verlassen, lauschten. Meine Mittheilungen erregten um so größere Eindrücke, als ich mit der mir angewöhnten Wahrheitsliebe und Einfachheit erzählte, was ich gesehen und erlebt. Man nahm mich in die Mitte, behandelte mich als Kameraden und wurde zutraulich. Ich mußte mit den Offizieren zechen, und Niemand scheute sich, seine wahren Gesinnungen kundzugeben. Hier hatte ich Gelegenheit, einen tiefen Blick in die preußischen Zustände zu thun. Die Offiziere brannten vor Begierde, die Schmach, welche seit 1806 auf der Armee lastete, abzuwaschen, und Niemand schien zu zweifeln, daß diese Zeit nicht mehr gar ferne sei.

Die Niederlage bei Jena ist geschichtlich und wenig darüber mehr zu sagen, als daß die größte Schuld auf die fällt, welche in ihrem Dünkel es wagten, mit einem so überlegenen Gegner wie Napoleon sich in einen so ungleichen Kampf einzulassen, anstatt Hand in Hand mit Oesterreich jenem Koloß an Deutschlands Grenzen entgegenzutreten. Der preußischen Armee fehlte es nicht an braven und tapferen Offizieren und Soldaten. Diese unterlagen dem Genie eines überlegenen Gegners, und eine solche Niederlage erträgt der Soldat in dem Gefühle seine Pflicht gethan zu haben. Seine Ehre ist dadurch nicht befleckt; er hat den Wechselfällen des Kriegsglückes und einem unvergleichlichen Gegner weichen müssen. Aber der Uebermuth der Franzosen, die Geringschätzung der preußischen Armee, die Verachtung, die sie gegen das ganze Volk an den Tag legten, war im höchsten Grade unpolitisch. Das mußte Erbitterung wachrufen und das verletzte Ehrgefühl des Soldaten auf das äußerste reizen.

Die ganze Nacht bis gegen Morgen saß ich unter den Offizieren bei einer Bowle Punsch; sie konnten sich nur schwer von mir trennen. Am Morgen verließ ich Graudenz mit einer Art Ueberzeugung, daß Napoleon verloren sei, wenn ihn das Mißgeschick traf, bis nach Preußen sich zurückziehen zu müssen. Gleich nach meiner Ankunft in München hatte ich den Muth, diese Ansicht in Gegenwart eines geachteten bayerischen Generals und eines königlichen Prinzen auszusprechen, wurde aber bald gewarnt, mit solchen Prophezeiungen etwas vorsichtiger zu sein.

In Bromberg war keine Brücke über die Weichsel und der Eisgang so stark, daß ich nur durch große Versprechungen es erreichen konnte, noch denselben Abend unter Lebensgefahr auf einer Fähre übergeschifft zu werden. Am nächsten Morgen wäre es nicht mehr möglich gewesen und wir hätten einen großen Umweg über Thorn machen müssen.

In Preußisch-Polen bekam ich Anwandlungen von kaltem Fieber, das sich aber nach einem Tage Aufenthalt glücklich wieder verlor. In diesem Landstriche zwischen Weichsel und Oder ist die Unreinlichkeit nach allen Richtungen hin in höchstem Grade zu Hause.

Am 2. Dezember kamen wir nach Glogau und – wunderlich genug! – kaum waren wir in die Stadt eingefahren als uns einer von unserer israelitischen Reisegesellschaft begegnete. Wir konnten auf keine Weise loskommen und mußten die frühere Einladung annehmen und bei ihnen wohnen, fanden auch eine sehr gute Aufnahme, verweilten drei Tage daselbst und wurden dem ganzen weiten Familienkreise vorgestellt. Auch der Hochzeit eines dieser Leute wohnten wir bei.

Von da steuerten wir ungesäumt Dresden zu. In Sorau an der sächsischen Grenze wurde uns die allenthalben mit Bereitwilligkeit geleistete Vorspann verweigert. Wir sahen uns genöthigt, durch ganz Sachsen Extrapost zu nehmen, was, abgesehen von den Kosten, ein elendes Reisen war, denn die Straßen und das Postwesen befanden sich damals in Sachsen in einem jämmerlichen Zustande. Am 8. Dezember kamen wir nach Dresden, verweilten dort nur ein paar Tage und eilten dann Bayern zu. Jetzt hatte sich auch der Winter mit großen Schneemassen und strenger Kälte eingestellt. Einige Posten von Dresden geriethen wir in einen zugeschneiten Hohlweg, in dem die Pferde so tief einsanken, daß nur noch Hals und Kopf zu sehen war. Wir mußten herausgeschaufelt werden, was viele Zeit und große Anstrengung kostete.

Nie werde ich das freudige Gefühl vergessen, als wir die bayerische Grenze erreichten und die ersten blau-weißen Wegsäulen zu Gesicht bekamen. Ich glaubte die Erde küssen zu müssen und beauftragte die Wirthsleute auf der ersten bayerischen Post, dem Postillon, der mich dahin brachte, auf meine Kosten Speise und Trank zu verabreichen.

In Hof, wo ich übernachtete, gab man mir, ohne daß ich es verlangte, wieder Vorspann, weil man aus meiner Marschroute sah, daß ich selbe überall erhalten, nur nicht in Sachsen.

Am 18. kamen wir nach Nürnberg, wo ich meinen Freunden, die durch meine glückliche Rückkehr unendlich freudig überrascht waren, drei Tage schenkte und fuhr dann mit Extrapost bei einer Kälte von 22 Graden in einer Tour, Tag und Nacht, bis München, wo ich am 22. Dezember Morgens eintraf.

Das erste lebende Wesen, das mir in meinem Hause begegnete, war mein Pudel, den ich auf der Heimreise zu Thorn verloren hatte; er stand eben auf der Treppe und protestirte gewaltig gegen meinen Eintritt. Ich war nämlich in einen großen Pelz gehüllt, was mich ihm für einige Augenblicke unkenntlich machte, um so lustiger war die Erkennungsscene.

Die Freude des Wiedersehens mit meiner Frau nach einer solchen Trennung zu schildern, wäre eine vergebliche Mühe. Wer sich in seinem Leben von einem Weibe so innig geliebt sah, wie ich es war, kann sich selbst eine Vorstellung davon machen; für Andere sind es nur leere Phrasen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers