Abschnitt 1

12 Rückreise.


Zeitlich begab ich mich am 24. September, der bei stürmischem, naßkaltem und höchst unfreundlichem Wetter uns keine Annehmlichkeiten für den Anfang der Reise verkündete, zur festgesetzten Stunde in die Wohnung meiner Reisegesellschaft. Hier war alles noch mit Aufpacken beschäftigt. Es war ein Laufen und Durcheinanderrennen von Männern, Frauen und Kindern. Ein jedes trug sein Möglichstes dazu bei, die beiden Wagen recht zu belasten. Meine Geduld mußte eine harte Probe bestehen, bis sich endlich der schwerfällige Zug langsam in Bewegung setzte. Ich prophezeite diesen guten Leuten, daß sie in dieser Jahreszeit, bei den schlechten grundlosen Wegen, auf diese Weise nicht weit kommen und sich bald in die Nothwendigkeit versetzt sehen werden, entweder umzukehren oder die Hälfte ihres Gepäckes auf die Straße zu werfen. Das wollte ihnen freilich nicht recht gefallen. Die ganze Expedition schien mir überhaupt unter den obwaltenden Verhältnissen zu Unbehilfliches zu haben, als daß ich ihr einen glücklichen Erfolg zutrauen konnte.


Als wir endlich durch die mehr als zur Hälfte verbrannten und verwüsteten Straßen dieser ungeheuren Stadt langsam dahinzogen, beschäftigten sehr ernste Gedanken meine lebhafte Phantasie; ich hatte zwar reiflich überlegt, was ich jetzt unternahm, aber wenn der Augenblick der Entscheidung da ist, pocht doch so manches Gefühl an unser Herz, das früher geschwiegen hat. Ich ließ so wackere Freunde und viele Bekannte hier zurück, hatte durch so lange Zeit Freude und Leid, Noth und Mangel und alle Beschwerden des Krieges mit ihnen getheilt. Das aber bindet die Menschen viel fester zusammen, als das Glück, durch das der Mensch leicht zur Selbstsucht sich verführen läßt. Bis jetzt gehörte ich einer großen Gesellschaft an; von dieser bekam ich Schutz und soweit möglich Nahrung und Hilfe in der Noth. Fast jeder Soldat der italienischen Garden kannte mich, weil sie mich den ganzen Feldzug immer im Gefolge des Prinzen Eugen und so oft in ihren Lagern, auf den Schlachtfeldern, kurz überall zeichnen gesehen. Von dem Augenblicke an, wo ich Moskau verließ, stand ich ganz auf mich allein beschränkt in einem unermeßlich großen, mir ganz fremden Lande. Ein ungeheurer Raum trennte mich von meinem Vaterlande; unzählige Hindernisse und Gefahren, welche mir in den Weg treten konnten, machten es sehr ungewiß, ob ich auch das erwünschte Ziel erreichen würde. Bisher aber hatte ich in meinem ganzen Leben keine Ursache gehabt, an meinem Glücke zu verzweifeln, und so sagte ich zu mir: „In Gottes Namen! Was da kommen will, das komme; ich will das Beste hoffen und auf das Schlimmste mich gefaßt halten!“ Unter solchen Gedanken verließ ich, wenn auch tief bewegt, doch festen Muthes Moskau.

An der äußersten Barrière der Stadt erhielten wir schon die ersten warnenden und abschreckenden Berichte: versprengte württembergische Soldaten, die den Kosaken mit Noth entronnen, sangen uns ein klägliches Lied und warnten, weiter zu gehen, aber so fatal auch ihr Bericht klang, der Ton der schwäbischen Sprache berührte mein Ohr doch angenehm. Ich erfuhr von ihnen, daß sie die Equipagen des Kronprinzen von Württemberg begleitet hätten. Diese wären zwar für den Augenblick glücklich durch, aber Gott wisse, auf wie lange! Ich grüßte sie freundlich als Landsleute und zog weiter. Kaum waren wir eine Viertelstunde gefahren, so hielt mein Diener an, stieg vom Bocke, öffnete den Kutschenschlag und warf mir einen entsetzlich schmutzigen Sack, den er von der Straße aus dem Kothe aufgehoben, vor die Füße. Ich zankte ihn aus, daß er mir einen solchen Schmutz in den Wagen mache. „O Herr,“ sagte er mit einer pfiffigen Miene, „dafür werden Sie mir noch Dank wissen; es ist Salz und wir haben keines bei uns.“ Dieser in der That wichtige Artikel wäre unbeachtet an der Straße liegen geblieben, doch ging ein vorderes Rad des Wagens darüber. Dadurch entdeckte der Kutscher dessen Inhalt, weil der Sack aufgedrückt wurde. Es verstrich auch kein Tag, wo ich nicht der Worte meines Burschen gedachte. Nur in ähnlichen Verhältnissen lernt man den wahren Werth der dem Menschen wichtigen Dinge schätzen.

Nach etwa einer kleinen halben Stunde fanden wir an der Straße einen französischen Chasseur zu Pferde mit dem Karabiner in der Hand als Wachtposten aufgestellt. Er bedeutete, daß wir uns bei dem in einem naheliegenden Gehölze weilenden General melden müßten. Dort brannte ein Feuer und etwas weiter zurück befand sich ein Cavalleriepiquet. Der General saß unter einem schlechten Bretterdache, ein armseliges Tischchen mit Schreibzeug und einigen Papieren vor sich und sah eben nicht aus, als ob er sich in der rosigsten Laune befände. Er schaute mich an und fragte trocken: „Wo wollen Sie hin?“ Nachdem ich ihm die nöthige Auskunft ertheilt, sagte er mit derselben trockenen Miene: „Wollen Sie von den Russen gefangen werden?“ Ich antwortete, daß ich gerade keine besondere Lust dazu fühle. „Nun,“ antwortete er, „ich habe Ihnen schon gesagt, daß Sie nicht durchkommen können: die Heerstraße ist allenthalben vom Feinde beunruhigt; täglich laufen die beklagenswerthesten Berichte hierüber ein.“ Ich entgegnete: „Haben Sie, mein General, entschiedene Befehle, Niemand mehr passiren zu lassen?“ – „Nein, aber ich er warte sie stündlich.“ – „Wenn dem so ist,“ sagte ich in bescheidenem Tone, „so bitte ich Sie, die Gefälligkeit zu haben, mir meine Marschroute zu visiren. Sie sehen, ich habe von meinem Gebieter die Erlaubniß, mich nach Bayern zurückzubegeben und will wenigstens den Versuch wagen, ob es möglich sei, durchzukommen.“ Der General schaute mich groß an, unterzeichnete meine Papiere und gab sie mir mit den Worten: „Bon voyage!“ Dabei warf er mir einen Blick zu, der mir vorkam, als wollte er sagen: „Du Narr!“

Einer der Männer aus meiner Reisegesellschaft, der sich zugleich mit mir zu dem Generale begeben, um seine Legitimation vorzulegen, hatte die ganze Unterredung mit angehört. Diese Leute hatten sich noch nicht von dem Schrecken erholt, den ihnen die Unterredung mit den Württembergern eingeflößt hatte, und nun nach dem, was sie gehört, war keine Rede mehr von Weiterreisen. Er eilte zu dem Wagen zurück. Hier gab es eine interessante Scene. Es herrschte allgemeines Entsetzen über die Hartnäckigkeit, mit der ich auf meinem Entschlusse beharrte. Alle Beredsamkeit wurde aufgeboten, mich zur Rückkehr zu bewegen. Die Frauen weinten und eine Zofe warf sich auf der kothigen Straße vor mir auf die Kniee nieder und bat flehentlich, umzukehren und mein junges Leben zu berücksichtigen. Das wäre mir beinahe zu Herzen gegangen, aber es war nicht Zeit für sentimentale Re gungen, ich blieb fest. Der Chasseur, unter dessen Augen diese Scene vor sich ging, sah diesem Auftritte verwundert zu und schmunzelte in seinen Bart. Endlich hatte ich mich losgerissen. Meine Gesellschaft steuerte wieder Moskau zu und ich zog unter Sturm und Regen auf der Straße der Schrecken meines Weges. Kaum hatten jene den Rückweg eingeschlagen, so wollten meine Pferde nicht weiter und versuchten, umzuwenden, bäumten und widersetzten sich, so daß wir unsere Noth hatten, vorwärts zu kommen. Der sehr heftige Sturm schlug uns gerade entgegen, was den Pferden sehr zuwider schien – zudem waren sie gewöhnt, stets in Gesellschaft zu gehen. Es hatte so das Aussehen, als ob die Pferde sogar mein Vorhaben mißbilligten. Ein abergläubischer Mensch hätte leicht in Versuchung kommen können, es als schlimme Vorbedeutung zu betrachten; in meinem Innern aber schien mir eine Stimme zuzurufen: „Mit Muth und Beharrlichkeit wirst du dein Ziel erreichen! Vertraue dem schützenden Engel, der bisher über dir gewacht hat!“

Der scheinbare Leichtsinn, mit dem ich unter den obwaltenden Umständen das vorgesteckte Ziel verfolgte, dürfte für manchen, der diese Erzählung liest, etwas Befremdendes haben, aber es war nicht so unbesonnen, als es aussah. Die Gerüchte über die Unsicherheit der Straße im Rücken der Armee erwiesen sich als allerdings nicht so unbegründet, aber ich lebte in der Ueberzeugung, daß sehr viele Uebertreibung mit unterlaufe, wenn ich bedachte, wie es sich im gewöhnlichen Leben selbst mit Gerüchten verhält, wie unsicher und entstellt sie werden, wenn sie einen weiten Weg von Mund zu Mund machen. Hier aber kam dazu, daß schon seit geraumer Zeit das bloße Wort „Kosak!“ für die Franzosen als ein wahres Schreckenswort galt. Bei ruhiger Prüfung war ich deßhalb schon berechtigt, an der Wahrheit eines großen Theiles jener Schreckensnachrichten zu zweifeln. Ich richtete darum keinen Blick mehr rückwärts und zog muthig und ergeben in mein Schicksal dahin.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers