Abschnitt 2

04 Nach Italien.


Ueberhaupt beschlich mich in meinen neuen Verhältnissen, so ehrenvoll und glückverheißend sie auch sein mochten, öfters ein unheimliches Gefühl: sie waren mir zu fremd, der Uebergang zu rasch erfolgt. Mein Begleiter hatte mich bei seiner Menschenkenntniß längst durchschaut und bemerkt, was in mir vorging. „Sie sind ein ausgezeichneter junger Mann,“ unterbrach er unser Schweigen, „wohlgesittet, talentvoll, gesund, in der Blüthe Ihrer Jahre gehen Sie einer schönen Zukunft entgegen; aber der Zustand, in welchem Sie sich jetzt befinden, kann kein bleibender sein, Sie werden vielmehr manche schöne Ansicht über die Welt und die Menschen aufgeben und gegen eine andere in der großen Welt, in welche Sie jetzt treten, gangbarere vertauschen müssen. Ich begreife, daß Sie dabei manches vermissen werden, aber Sie müssen sich eben in das neue Leben finden, wenn Sie aus Ihrer jetzigen Stellung den gehörigen Vortheil ziehen wollen.“ Unter solchen Gesprächen kamen wir erst bei völliger Dunkelheit nach Hause.


Nie konnte ich diesen Moment vergessen; es war wirklich der Uebergang in ein ganz anderes minder glückliches Leben. In wenigen Stunden ist man von Villach an der italienischen Grenze, und mit den Schritten über die kleine Brücke bei Pontebba waren die Würfel über mein ganzes künftiges Leben gefallen. Ich hätte das, was mir in jener Stunde dieser praktische Weltmann sagte, besser beherzigen sollen, allein ich hing zu fest an meinen Idealen!

Gegen Mitte November reiste alles von Villach ab; zwei jüngere Adjutanten des Vicekönigs waren beauftragt, mich in ihrem Wagen mitzunehmen und mich auf das nahe gelegene Schlachtfeld bei Tarvis zu begleiten, welches ich zu zeichnen beauftragt war, wozu jedoch einige Stunden genügten. Das Wetter fing an, ungünstig zu werden. Meine beiden Begleiter eilten nach Pontebba voraus, mich führte von Tarvis dorthin ein alter Bauer. Ich hatte noch mehrere Gulden österreichisches Papiergeld in meiner Brieftasche gefunden. Dieses Geld schenkte ich ihm, weil er der letzte Deutsche war, der mich führte. Der Alte war ganz verblüfft und küßte mir Rock und Hände aus Dankbarkeit.

Pontebba ist der merkwürdigste Uebergang über eine Grenze, welche mir je vorgekommen ist. Ein und derselbe Ort ist durch einen kleinen Fluß getrennt: Auf der einen Seite ist alles deutsch, Sprache, Sitten, Gebräuche, Bauart, selbst der Menschenschlag, sobald man aber die kleine Brücke überschritten hat, herrscht der vollendetste Gegensatz: alles italienisch. Man erzählte uns, daß es hier Leute gebe, welche da geboren und alt geworden seien, ohne je diese Brücke überschritten zu haben.

Wir soupirten in einer Osteria auf der italienischen Seite; eine ausgetretene, steinerne, schmutzige Treppe führte in einen ziemlich großen Vorplatz mit hohen Fensterbögen, die aber keine Gläser mehr hatten. Dies war der Salon des Hauses, in welchem wir speisten. Ein kalter Gebirgswind blies durch die Fenster, der Regen goß in Strömen herab, ein Reisigfeuer wurde in einem großen Kamine angezündet; wir suchten uns an ihm zu wärmen, aber es war vergebliche Mühe; frierend setzten wir uns zu Tische und frierend standen wir wieder auf. Auch das Essen war ächt italienisch und wollte mir gar nicht schmecken. Ich fühlte mich entsetzlich unbehaglich und konnte aus meinem Erstaunen über einen so grellen Contrast gar nicht herauskommen.

Wir reisten die Nacht hindurch auf einer Straße, die noch immer zwischen den schroffsten Felsenmassen durchführte. So sehr mich auch die Gebirge anzogen, so war ich damals froh, als wir endlich wieder etwas ins Freie kamen und uns dem venetianischen Gebiete näherten, denn die Regenzeit trat ein. Der Regen fällt hier oft wochenlang ununterbrochen in Strömen, und wirklich reisten wir im schlechtesten Wetter bis Mailand.

Recht komisch kam mir das italienische Volk vor: seine wunderlichen Fetzen von Mänteln und alles Erdenkliche, was es bei schlechtem Wetter umhängt; seine Wagen und Pferde mit dem schlechten Gebändel von Geschirren, Hausgeräthe und Wohnungen, alles däuchte mir wohl sehr malerisch, aber auch recht schmutzig und unappetitlich. Das Oede der Campagna mit den vielen unschönen, entlaubten Maulbeerbäumen, die vielen leeren, zum Theil halbzerfallenen Landhäuser, oft ohne Fenster, die verödeten, gänzlich vernachlässigten Gärten in der venetianischen terra ferma erregten in mir recht unangenehme Eindrücke. Ich hatte noch nichts von den Reizen des Landes gesehen, von dem ich so viel gehört, alles widerte mich an, selbst die Postillons, obwohl sie schneller fahren als die deutschen, ärgerten mich, weil sie so roh und lieblos mit ihren Pferden umgingen.

Die alte interessante Stadt Verona passirten wir zur Nachtzeit, und erst am Gardasee, an dem wir bei Anbruch des Tages ankamen, erhielt ich zum erstenmale einen angenehmen Eindruck. Dieser wurde noch erhöht, da ich im Posthause zu Desenzano zwei bayerische Offiziere traf, welche als Couriere nach Mailand reisten. Aus Freude über diese Begegnung machten sie mir das Anerbieten, in ihrem Wagen Platz zu nehmen, was ich mir nicht zweimal sagen ließ.

Von Desenzano ging es, ohne Aufenthalt und ohne daß etwas Bemerkenswerthes vorgefallen wäre, bis Mailand, wo wir am 18. November anlangten.

Da war ich nun an dem Orte meiner künftigen Bestimmung, in dem großen heitern Mailand und in einer neuen, mir ganz fremden Welt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers