Nach Graubündten und Kufenthalt in Monza

1810.


Mein treuer Freund de Saive, welcher mein ganzes Vertrauen besaß, hegte schon längst Besorgniß, meine Bekanntschaft möchte in der Folge nachtheiligen Einfluß auf meine damalige Stellung üben. Er suchte mich daher in andere Luft und andere Verhältnisse zu bringen, als er mich veranlaßte, mit ihm eine Reise über den reizenden Comersee und in die benachbarten Gebirge zu machen.


Wir fuhren am 3. Mai in der Frühe mit Postpferden von Mailand ab, bei etwas trübem Wetter. Als aber die erste Station im Rücken lag, wurde es heiter; wir kamen nun aus der höchst langweiligen Ebene Mailands in ein anmuthiges Hügelland und gegen 10 Uhr nach Como.

Diese Stadt gewährt mit dem reizenden See und den umliegenden Gebirgen einen äußerst lieblichen Anblick. Wir restaurirten uns in einer guten Osteria am Ufer des Sees, mietheten dann einen hübschen Nachen mit zwei Schiffern zur unumschränkten Verfügung auf so lange, als es uns belieben würde. Der See war sehr bewegt und mit Wonne ließ ich mich von seinen Wellen schaukeln. Mit Entzücken ergötzten wir uns an den herrlichen Ufern mit den vielen Villen, fuhren um die Spitze von Torno zu der interessanten Villa Pliniana, besahen den höchst romantischen Garten, in dem sich ein starker Wasserfall hinter hohen, finstern Cypressen über Felsen herabergießt, machten einige Zeichnungen und setzten dann unsere Reise weiter fort. Nach Verlauf einer Stunde bot sich ein prächtiger Anblick: ein kleines Vorgebirge, das sich ziemlich weit in den See hinaus erstreckt. Auf seiner äußersten Spitze steht ein altes Lusthaus, das sehr einfach in seiner Form war, aber aus einer guten Zeit stammte. Eine große, steinerne Treppe führte über die Felsen hinauf, die wie Mauern aus dem See emporragen und auf deren Spitzen einige Statuen gut angebracht sind. Welch eine genußreiche Aussicht! Man befindet sich mitten im breiten See, die Formen der Berge werden immer größer und schöner. Ein Gebirge erhebt sich über dem andern. Das nächstliegende gegen Westen ganz dunkel, fast schauerlich, da ein Gewitter im Anzuge ist, weiter hinauf werden die Berge grauer, dann immer lichter, bis sie in der Ferne in einen zarten blauen Ton sich verlieren. Wendet man den Blick gegen Osten, so ist alles von der Abendsonne wie mit einer rothgelben Gluth überzogen. Die nahen Berge zeigen ein tiefes Grün, die fernern glänzen in feinem röthlichen Ton. Ueber die Flä che des Sees sendet die Sonne ihre letzten goldenen Strahlen. Gerne wäre ich auf der Höhe sitzen geblieben, bis die Dunkelheit ganz hereingebrochen, aber unsere Schiffer warteten schon lange mit Ungeduld unten in einer kleinen Bucht und so mußten wir von diesem herrlichen Anblick nur zu frühe scheiden.

Auf die Angabe unserer Schiffer, in Termezzina ein gutes Wirthshaus zu finden, beschlossen wir, dort zu landen und unser Nachtquartier aufzuschlagen, und thaten wohl daran.

Vor einbrechender Nacht machten wir noch einen Spaziergang und bestiegen eine kleine Anhöhe, die abermals einen reizenden Ausblick auf den See bot, der sich hier in zwei Arme theilt, in den Comersee im engern Sinne und den Lago di Lecco. Hier saßen wir, bis die Nacht das entzückende Panorama mit ihren Schatten umflorte. Allgemach kam ein Stern nach dem andern zum Vorschein, dunkle Gewitterwolken hingen sich an die Berge und die Blitze spiegelten ihre Zickzacke in der Fläche des Sees.

Auf diesem Abendspaziergange entfaltete sich vor mir das Herz meines Freundes immer mehr. Nie hätte ich geglaubt, unter der Uniform und bei Hofe einen so zartfühlenden Menschen zu finden, so voll Wärme und Empfindung für die Schönheit der Natur, so voll Eifer, Edles und Gutes zu thun und in sich aufzunehmen. An diesem Abende lernte ich ihn recht schätzen und lieben, und wahrhaft einsehen, von welchem Werthe der Umgang mit ihm für mich sei.

In der Nacht entlud sich das Gewitter, und es folgte ein herrlicher Morgen. Der See aber war so bewegt, daß er tobte und schäumte und die Schiffer gar nicht fahren wollten. Da wir aber darauf bestanden, so schickten sie sich in Gottes Namen, wenn auch mit Herzklopsen dazu an. Wir beide hatten die Italiener wegen ihrer Feigheit etwas auf dem Zuge und belustigten uns an ihrer Furcht. Ich trieb den Muthwillen so weit, daß ich mich entkleidete bis auf die Beinkleider, mich an dem Schnabel unseres Fahrzeuges niederlegte und von den häufig in das Schiff hineinschlagenden Wellen übergießen ließ. Die Schiffer meinten, solche Passagiere hätten sie noch nie gefahren, das wären ganz absonderliche Liebhabereien! Da unsere Schiffer sich sehr anstrengen mußten, ließen wir an einer schönen Stelle landen, badeten uns im See, trockneten unsere theilweise naßgewordenen Kleider, besuchten noch mehrere schöne Punkte und nahmen ein frugales Mittagsmahl ein; als der See etwas ruhiger geworden war, fuhren wir weiter und gelangten noch denselben Tag nach Chiavenna.

Am folgenden Morgen ging es zu Fuß weiter bei herrlichem Wetter, ohne ein eigentliches Ziel vor Augen zu haben, durch ein wildromantisches Thal rechts des Splügen. Mit Wohlbehagen schlenderten wir dahin, setzten uns zuweilen, zeichneten und stiegen von einer Anhöhe zur andern, bis wir auf eine von hohen Bergen umschlossene Ebene gelangten, in deren Mitte ein hübsches Dorf lag. Hier beschlossen wir einige Tage uns niederzulassen und an der stärkenden Bergluft zu laben. Wir waren auf schweizerischem Gebiete. Unsere Erscheinung hatte dort Aufsehen und Verdacht erregt, weil man uns an so verschiedenen Orten zeichnen gesehen, als wären wir Spione. Deßhalb zogen wir vor, früher als uns lieb war, den Rückweg einzuschlagen, fuhren über den See zurück, landeten aber diesmal in Lecco und begaben uns von da ohne Aufenthalt nach Monza, wo der Hof schon die schöne Villa seit einigen Tagen bezogen hatte. Mein Freund de Saive verzichtete mir zu Liebe auf seine Zimmer in dem Palaste und miethete in einem Privathause eine recht idyllische Wohnung, in der wir sechs Monate sehr glückliche, frohe Tage mit einander verlebten. Das Haus hatte entfernt von allem Geräusche des Hofes und der Stadt eine stille, friedliche Lage; wir bewohnten vier Zimmer mit der Aussicht auf Monte Brianza. Eine Rebenlaube mit Gewächsen von vorzüglich edler Gattung führte nach einem Garten, durch den sich ein Flüßchen hinzog, das uns zum Bade diente, auch hatten wir einen schönen Stall, kurz alles, was bei mäßigen Ansprüchen zur Bequemlichkeit dient.

Ich ließ ungesäumt mein begonnenes Bild, die Schlacht bei Raab, von Mailand bringen, arbeitete fleißig und mit gesammeltem Geiste daran und vollendete es bis gegen Ende September.

Mitunter machten wir schöne Excursionen zu Pferd, wozu auch der dortige Park sehr einladend ist, und de Saive unterließ nichts, mir den Aufenthalt dort angenehm zu machen und mich von Mailand fern zu halten. Ganz aber wollte es doch nicht gelingen. Zeitweise erhielt ich Nachricht über das Befinden meiner – wie soll ich sie nennen? – Freundin, Geliebten. Man ist in diesem Falle verlegen um den Namen, den man der Sache geben soll. Noch war kein Wort von Liebe gesprochen und dennoch bestand schon ein Bund der Herzen, dessen Auflösung mir keine leichte Sache schien. Ich gestehe, daß ich es nicht vermochte, diesem Hause gänzlich den Rücken zu kehren; es ging gegen mein Gefühl. Ich ritt daher bisweilen nach Mailand, um nach ihr zu sehen. Damals besaß ich ein vortreffliches Pferd türkischer Race; eine wilde Bestie, ein Ausreißer, der fast immer, wenn er in die Hitze kam, durchging. Das genirte mich aber gar nicht. Es sympathisirte vielmehr mit meinem Temperamente. Denn wenn wir beide uns ausgetobt hatten, ging alles vortrefflich, und austoben mußte ich mich zeitweise, dies war mir Bedürfniß. Gewöhnlich machte ich den Weg von zehn italienischen Miglien von Monza bis Mailand in Dreiviertelstunden, oft auch noch schneller.

Magdalena war zu Anfang des Sommers immer noch krank. Ich konnte ihr die größte Theilnahme nicht versagen. Die sie früher immer umschwebende Heiterkeit war verschwunden. Das ging mir nahe. Aber immer stand mein Vorsatz noch fest, mich nicht zu binden. Nach ein paar Monaten genas sie wieder und erhielt ihr früheres, blühendes Aussehen.

So schleppte sich dieses Verhältniß fort, bis der Herbst kam. Aber es fing doch an, mir selbst in der angenehmen Stellung, in welcher ich zu Monza lebte, trübe Stunden zu bereiten. Ich fühlte, daß ich sie liebte und durfte es ihr nicht einmal zeigen. Meine wahrhaft peinliche Lage übte auf meine Gesundheit und meine ganze Stimmung nachtheiligen Einfluß. In Jahresfrist wechselte ich in Mailand dreimal die Wohnung, suchte überall Ruhe und fand sie nirgends. Sie war aus meinem Herzen entschwunden!

Der Monat September ging zu Ende. Ich stellte mein vollendetes Bild dem Prinzen vor, welcher darüber seine Zufriedenheit und große Freude äußerte. Ich erhielt eine angemessene Belohnung und zugleich die Weisung, mir schleunigst eine Uniform anzuschaffen, um den Prinzen auf einer Reise nach Ancona zu begleiten.

Bei dieser Gelegenheit, als ich mein Bild vorstellte, sah ich zum erstenmale die schöne Gemahlin des Prinzen. Anfangs war ich ganz allein mit ihm, bald aber ging er fort und holte selbst seine Gemahlin. Sie erschien in einfachem, aber reich mit Spitzen verziertem weißen und nach damaliger Mode eng anliegenden Negligé. Ein Kind trug sie auf dem Arme, ein anderes, die Prinzessin Eugenie (spätere Königin von Schweden) führte sie an der Hand. Diese hohe herrliche Gestalt mit ihren engelschönen Kindern dünkte mir wie eine Erscheinung aus höhern Regionen, ihr Anblick fesselte mich wie eine Zauberei; sie hatte keine Dame bei sich und so genoß ich das Glück, mit dem edlen Paare, das Napoleon selbst in einem Briefe an Josephine die Zierde der Menschheit nannte, geraume Zeit allein zu sein. Die Großen der Erde haben Augenblicke, wo es ihnen wohl thut, das lästige Ceremoniell abzuwerfen. Dieser Augenblick blieb mir unvergeßlich.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers