Abschnitt 3

02 München.


Ihre Freundin, welche wir hier einfach Marie 8) nennen wollen, war die Tochter eines Malers aus dem Fränkischen. Sie hatte nicht jene Weltbildung wie Sophie Reinhardt, aber feine Sitten und Anstand waren ihr deßhalb nicht fremd geblieben, und was eine gute Erziehung nicht gethan, hatte die Natur ersetzt; an Edelmuth und zartem Gefühle, sowie an weiblicher Tugend stand sie den Besten ihres Geschlechtes nicht nach. Sie besaß mehr körperliche Reize als ihre Freundin. Ein großes, offenes und feuriges Auge zeugte von einer großen Tiefe des Gemüthes und von Leidenschaftlichkeit, welche sich aber nie nach außen anders verrieth, als daß bei dem kleinsten Anlasse ihr Gesicht eine glühende Röthe überflog. Ihre schöne, freie Stirne umfloß das prachtvollste Haar, welches ich jemals sah; es war ein helles Braun mit vollkommenem Goldschimmer, fein wie Seide und so lang und dicht, daß sie sich wie in einen Mantel ganz darin einhüllen konnte. Sie war mir ebenso freundschaftlich zugethan, wie die Reinhardt, vielleicht etwas mehr, als für ihre eigene Ruhe gut war, was sich erst ein paar Jahre später kund gegeben hat.


Ich verlebte während meines damaligen Aufenthaltes in München den größten Theil meiner Abendstunden in dieser liebenswürdigen Gesellschaft, Stunden, welche mir bis an das Ende meiner Tage unvergeßlich und in dankbarer Erinnerung bleiben werden.

Durch meine Freundin Geiger wurde ich in dem Hause des Grafen Froberg-Montjoye, 9) in welchem sie Zutritt hatte und von der ganzen, zahlreichen Familie sehr gerne gesehen war, eingeführt. An diese neue Bekanntschaft aber knüpft sich eine ganze Reihe von Begebenheiten in meiner künstlerischen Laufbahn, ich möchte fast sagen, alle Fäden meines künftigen Geschickes laufen in diesem einen Punkte zusammen.

Bis zu diesem Augenblicke hatte ich mich durch Fleiß, Anstrengungen und gute Freunde mit vielem Glücke durch alle Hindernisse gearbeitet, die sich mir in den Weg gestellt. Hier aber fand ich nun einen wahren Mäcen, der mir den Weg zu einem leichtern und schnellern Emporkommen bahnte.

Froberg war aus dem Elsaß gebürtig und nannte sich nach seiner dortigen Besitzung Montjoye, ein Mann von großer, kräftiger Gestalt. In seinem Wesen lag etwas Imponirendes, in seiner Denkart etwas Ritterliches und Edles. Er brauste leicht auf, war aber bald wieder gut, denn er besaß das beste Herz der Welt. König Maximilian, der ihn schon im Elsaß kennen gelernt, war ihm sehr gewogen und sah ihn gerne um sich. Froberg bekleidete die Charge eines Obersten und Flügeladjutanten des Königs, er war auch ein guter, kühner Reiter.

In seinem Hause fand ich dieselbe liebevolle Aufnahme, welche mir bisher fast überall zu Theil geworden. Ich wurde darin ganz heimisch, fand fast immer bei Tische ein Couvert für mich, hütete mich aber wohl, hievon Mißbrauch zu machen. So ergab sich für mich die Gelegenheit, mit Leuten aus der höhern Gesellschaft und mit Adeligen in Berührung zu kommen, wodurch ich mich auch in diesen Kreisen bewegen lernte.

Beschäftigung als Künstler konnte mir Froberg nicht geben, sorgte aber dafür, daß ich diese anderswo fand. Er war nicht reich, hatte jedoch ein schönes Einkommen, führte ein anständiges Haus, besaß einen schönen Stall und viele Dienerschaft.

Vor allem machte er mich mit dem königl. Oberststallmeister Baron von Kesling 10) bekannt. Dieser Herr, welcher zu den bedeutendsten Persönlichkeiten des Hofes gehörte, war von großem Einflusse, da der König ihn ganz besonders liebte und ihm großes Vertrauen schenkte. Kesling, ein ganz feiner Hofmann von den liebenswürdigsten Manieren, war der beste Reiter seiner Zeit. Er hatte sich in der guten Schule von Versailles in der höhern Reitkunst ausgebildet, wobei ihm seine schöne, schlanke, ganz für einen Reiter gebaute Gestalt und seine Kenntnisse sehr zu Statten kamen.

Durch Froberg bei ihm aufs wärmste empfohlen, gelang es mir bald, dessen Gunst zu erwerben. Ich hatte schon einige Pferdekenntniß, was ihn freute, und erhielt von ihm bald die Erlaubniß, mir Pferde aus dem königl. Marstalle in den Nachmittagsstunden in die Reitschule bringen zu lassen und darnach zu studiren. Später wurde mir auch der Auftrag, einige derselben für den König zu malen, welcher diese Gemälde nachher dem Oberststallmeister zum Geschenke machte.

Zu meiner größten Freude bekam ich in der königl. Reitschule auch gründlichen Unterricht im Reiten, wobei ich mich sehr bald gut anließ und mir die Gunst meiner Lehrer erwarb, denn meine Leidenschaft für Pferde und Reiterei wuchs mit jedem Tage. Die Reitschule war damals unter Kesling und dem Vater Valentin Schreiner mit seinen zwei tüchtigen Söhnen ein vortreffliches Institut, vielleicht das erste in Deutschland. Später konnte sie sich nie mehr zu diesem Glanze erheben. Die Reitschule war nun nach der Gallerie für mich der wichtigste Ort; ich brachte viele Zeit dort zu und zeichnete fleißig, während geritten wurde.

Es wurde früher des Bildes erwähnt, welches ich 1807 in Augsburg für die Brüder Zweibrücken malte. Dieses Bild zeigte Baron Christian von Zweibrücken dem Könige Max, welcher Wohlgefallen daran fand, und Zweibrücken benützte sofort diese günstige Gelegenheit und bat den König, etwas für mich zu thun. „Gut,“ sagte dieser, „da ist eben eine Künstlerpension von 600 Gulden frei geworden, die will ich ihm geben!“ Zweibrücken eilte voll Freude zu mir, um mir hievon Mittheilung zu machen und zu gratuliren. Ich dankte ihm verbindlichst für diesen neuen Beweis seines Wohlwollens. Später kam auch der Galleriediener zu mir, welcher jenes Bild zum Könige gebracht und seine Aeußerung mit angehört, um seinen Glückswunsch abzustatten. Man sah es als eine abgemachte Sache an.

Es vergingen mehrere Monate, ohne daß ich weiter etwas von dieser Pension hörte. Eines Tages besuchte mich Zweibrücken in meinem kleinen Atelier, fragte, wie es gehe und ob ich schon im Bezug derselben wäre. Ich verneinte es. „Das ist sonderbar,“ bemerkte er, „ist denn keine Antwort auf Ihre Eingabe erfolgt?“ – „Welche Eingabe?“ – „Ja,“ sagte er mit einigem Erstaunen, „haben Sie denn keine Eingabe an den König gemacht, in der Sie ihn um eine Unterstützung bitten?“ – „Nein!“ – „Und warum denn nicht?“ – „Ich hielt es für eine abgemachte Sache, und eigentlich so recht beim Licht betrachtet, will es mir fast scheinen, als hätte ich den König ein wenig belügen müssen, denn ich bin ja nicht so arm, daß ich einer Unterstützung bedarf.“ – „O Künstler, Künstler! was seid ihr für unpraktische Leute! Gott weiß, wo inzwischen dieses Geld hingekommen ist, da sind vielleicht ein paar Dutzend Bittschriften bei Minister Montgelas eingegangen, und die Pension ist längst vergeben oder vertheilt.“ – „Trösten wir uns damit, daß es vielleicht ein Aermerer bekommen, als ich bin,“ antwortete ich. „Vielleicht auch ein viel Unwürdigerer, als Sie sind!“ In dieser Antwort lag eine Wahrheit. Eine lange Erfahrung hat gelehrt, daß aus einem großen Theile solcher Pensionäre, denen man auf diese Weise emporhelfen will, nichts wird, als privilegirte Müßiggänger. Selbst der herzensgute König Max kam in späteren Jahren dahin, daß er keine Künstlerpensionen, oder doch nur höchst selten, verlieh, wohl aber solchen Künstlern, welche Talent verriethen und etwas leisteten, ihre Werke abkaufte oder dieselben beschäftigte, was am Ende doch die beste Pflege der Kunst ist.




8) Später nennt unser Autor auch ihren Familiennamen. Maria (Margaretha) Geiger wurde als die Tochter des Malers Conrad Geiger (1751–1810) zu Schweinfurt geboren, war erst Schülerin ihres Vaters, nahm sich dann van der Werff zum Muster, bis sie in München Gelegenheit fand, auf der Gallerie auch andere Meister zu studiren. Im Jahre 1809 begab sie sich (mit Sophie Reinhardt) nach Wien zu einem reichen Oheim, starb aber daselbst schon am 4. Oktober desselben Jahres am Typhus. Vgl. Nagler 1837, V. 64. Wir werden dieser edlen, reinen und höchst liebenswürdigen Künstlerin im Laufe von Adam’s Autobiographie noch öfter begegnen.
9) Johann Nepomuk Simon Reichsgraf Froberg-Montjoye, königl. bayerischer Kämmerer, General-Major und General-Adjutant des Königs Max Joseph I., starb 7. Februar 1814.
10) Karl Ludwig Philipp, Freiherr Kesling von Bergen, geb. 26. August 1763, gest. 4. Januar 1843 zu München, königl. bayerischer Kämmerer, wirklicher Geheimerath und Oberststallmeister. Der edle, feingebildete Herr hatte auch Ludwig Schwanthalers Talent erkannt und ihm die Wege geebnet. – Sein nach Halbig’s Modell von F. von Miller gegossenes lebensgroßes Standbild befindet sich unter den Arkaden des südlichen (alten) Kirchhofes zu München.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers