Abschnitt 2

02 München.


Auch ich packte zusammen und ging vergnügt über meine Handelschaft nach Hause. Unterwegs dachte ich bei mir selbst, wer denn der häßliche Kerl sein könnte, der wohl noch mehr bezahlt hätte als einen Dukaten. Der Mann hatte jedoch etwas Unheimliches für mich.


Oft knüpft sich an einen Zufall eine ganze Kette von Begebenheiten, welche von dem wichtigsten Einfluß für ein ganzes Leben sind, und es ist deßhalb gewiß keine unwichtige Aufgabe, ernstlich darauf bedacht zu sein, die günstigen Augenblicke, welche sich darbieten, erkennen zu lernen und zu benützen, den ungünstigen aber, soviel möglich, aus dem Wege zu gehen.

Eine solche an und für sich unscheinbare Begebenheit war die Handelschaft mit meinem ersten Bildchen in der Gallerie. Kaum war das Gerücht hievon ruchbar geworden, so entstand daselbst unter den Künstlern ein wahrer Lärm; bei Einigen, welche glaubten, ich sei durch einen schmutzigen Mäkler mißbraucht und könnte ferner auf ähnliche Weise übervortheilt werden, war es Theilnahme im besten Sinne, bei An deren schien aber eine Art Besorgniß vorzuherrschen, daß auf solche Weise die Preise herabgesetzt und die Copien entwerthet würden. Ich nahm mir von diesen Aeußerungen zu Herzen, was ich brauchen konnte, ging aber ruhigen Schrittes den Weg fort, den ich mir vorgezeichnet hatte.

Die Bekanntschaft, welche ich hier mit manchem wackern Künstler machte, kam mir sehr zu gut; ich lernte in kurzer Zeit vieles, besonders in Beziehung auf die technische Behandlung der Oelmalerei; mein Urtheil wurde durch den Austausch der Ansichten geschärft, ich lernte sehen und die Vorzüge dieses und jenes Meisters erkennen.

Es war damals ein recht reges Leben in der Gallerie, das man in unseren Tagen ganz vermißt was mitunter Ursache sein mag, daß man sich von den schönen Vorbildern der Alten zu weit entfernt. Man treibt sich häufig in einer zu naturalistischen Richtung herum und verfällt auf der andern Seite in das entgegengesetzte Extrem einer zu großen Strenge und Trockenheit, welche sich von der Naturwahrheit zu sehr entfernt. Unsere Alten wußten beides oft recht schön zu verbinden.

Unter den Leuten, welche sich hier zusammenfanden, waren auch zwei Künstlerinnen, beide nicht ohne Talent und sehr fleißig. Sie machten sich mit den übrigen Personen, welche hier waren, wenig zu schaffen und ihr ganzes Benehmen zeugte von Bildung und einer sehr guten Erziehung. Ich kannte sie nur vom Sehen und kam nie dazu, ein Wort mit ihnen zu sprechen, suchte auch keine Gelegenheit hiezu; ich wollte nicht unbescheiden erscheinen. Es lag auch in ihrem ganzen Benehmen etwas, das einem jungen Menschen, wie ich damals war, Respekt einflößen konnte und errathen ließ, daß sie jede Zudringlichkeit ferne von sich zu halten wissen.

Eines Morgens war ich wieder wie gewöhnlich sehr frühe in der Gallerie; es wurden erst nach und nach die grünen Vorhänge aufgezogen. Da erschien bald nach mir eine jener Damen, eine Badenserin mit Namen Sophie Reinhardt aus Karlsruhe.

Sie wünschte mir einen guten Morgen, sprach von gleichgültigen Dingen und ging mit mir durch die ganze Gallerie, was ich gewöhnlich that, ehe ich zu arbeiten begann. Wir kamen bis in den letzten Saal, da lenkte sie das Gespräch auf meine Handelschaft. Sie nahm mich auf eine Vertrauen erregende Weise in eine Art Verhör, aus welchem Grunde ich diese schöne Copie um solchen Spottpreis verkauft hätte und wie ich zu der Bekanntschaft mit diesem Menschen gekommen sei, warnte mich ernstlich und sagte: „Sie sind so jung und talentvoll und scheinen mir noch wenig mit dem Treiben in der großen Welt bekannt zu sein; hüten Sie sich vor diesem und ähnlichen Men schen, sie sind gefährlich für junge Leute. Es ist ein Mäkler, der mit allem Geschäfte treibt und er steht nicht in dem besten Rufe. Solche Menschen ziehen gerne junge Leute an sich, besonders wenn sie bemerken, daß diese talentvoll und unerfahren in ihren Manipulationen sind, strecken ihnen wohl auch etwas Geld vor, um ihnen ihre Arbeiten abdrücken zu können, und ehe man sich dessen versieht, ist man an sie gebunden. Schenken Sie mir Ihr Vertrauen und unterrichten Sie mich über Ihre Verhältnisse, ich besitze die Gunst der Königin Karoline und habe Zutritt bei ihr, vielleicht kann ich etwas für Sie thun.“ Es leuchtete aus allem hervor, daß sie vermuthete, ich hätte aus Geldverlegenheit meine Arbeit so wohlfeil hergegeben. Ich versicherte sie, daß ich das aus keinem andern Grunde that, als weil ich eben der ersten kleinen Copie, welche ich hier gemacht, keinen höhern Werth beigelegt hatte. Der Mann habe bezahlt, was ich begehrt, mehr könne man ihm nicht zumuthen. Was übrigens eine nähere Bekanntschaft mit diesem Menschen betreffe, werde ich mir ihre Warnungen gewiß zu Herzen nehmen; er habe mir vom ersten Augenblicke an, wo ich ihn gesehen, ohnehin keinen Vertrauen erregenden Eindruck gemacht. Ich dankte ihr so verbindlich, als ich konnte, für ihre Theilnahme und sagte, daß ich für das, was ich vielleicht für meine Arbeit zu wenig erhalten habe, mich jetzt schon reichlich dadurch entschädigt sehe, daß diese Veranlassung mir das Vergnügen, eine so achtbare Dame kennen zu lernen, verschafft habe.

In der That war von diesem Augenblick an die Bekanntschaft nicht allein mit dieser, sondern auch mit ihrer ebenso achtungswerthen Freundin gemacht, denn beide wohnten zusammen und lebten in einem wahrhaft schwesterlich schönen Verhältniß.

Bald entspann sich mit diesen beiden sehr gebildeten Wesen ein zartes, freundschaftliches Verhältniß, welches sich immer in den strengen Grenzen des Anstandes und der Sitte hielt und auf mein ganzes Leben, Thun und Treiben einen höchst günstigen Einfluß übte.

Nichts ist wohl geeigneter, auf die Entwickelung eines jungen Mannes in dem Alter, in welchem ich damals war, günstig einzuwirken, als gerade ein solcher Umgang.

Sichern Schrittes ging ich über den glatten Boden weg, auf welchem junge Leute in dieser gefährlichen Lebensperiode, besonders mit einem so heißen Blute, wie das meinige war, straucheln und auch oft so fallen, daß sie sich für ihr ganzes Leben nie mehr zu jener moralischen Kraft aufschwingen können, welche allein geeignet ist, den Menschen über alle Schicksale und Widerwärtigkeiten dieses unvollkommenen irdischen Daseins zu erheben.

Um das Verhältniß, in welchem ich zu diesen zwei Damen stand, etwas klar zu machen und meine Tugend nicht zu schwer in die Wagschale zu legen, dürfte es am Platze sein, die beiden Charaktere etwas zu bezeichnen.

Sophie Reinhardt 7) war die Tochter eines würdigen und sehr geachteten Staatsbeamten in Karlsruhe. Bei einem hellen Verstande hatte sie sehr viel Witz, welcher leicht in bittere Wahrheiten überging, die aber verständige Menschen nicht verletzen konnten, weil es wirklich Wahrheiten waren; auch wurden sie immer bald wieder durch ihr treffliches Gemüth und eine ihr eigenthümliche Ruhe ausgeglichen. Ohne gerade schön zu sein, hatte sie ein angenehmes Aeußere, ein gewisser ironischer Zug schwebte fast immer um ihren Mund und kleidete sie gut.

Mit diesen Eigenschaften, verbunden mit der großen Achtung, welche ich vor ihr hatte, verschaffte sie sich bald, und nicht zu meinem Nachtheil, einen bedeutenden Einfluß auf mich. Nicht umsonst hatte sie mich, als ich sie in der Gallerie zum erstenmale sprach, ersucht, ihr mein Vertrauen zu schenken, dieses wurde auch nach und nach so groß, daß ich ihr über die kleinste meiner Handlungen Rechenschaft ablegte.




7) Sophie Reinhardt, eine höchst anmuthende Erscheinung und vielseitig gebildete Künstlerin, deren Werke als Schöpfungen eines zarten, tiefen Gemüthes betrachtet werden müssen, wurde 1775 (1778), zu Karlsruhe geboren, bildete sich unter dem Galleriedirektor Becker, übte sich in vielen Copien und begann dann in eigenen Compositionen ihr reiches Talent zu üben. Im Jahre 1808 ging sie nach Oesterreich und Ungarn, bereiste 1810 Italien, kehrte hierauf nach Karlsruhe zurück, wo sie 1843 starb. In allen ihren Bildern ist feines Gefühl, wahre Einfachheit und Natur. Sie lieferte religiöse Darstellungen, historische Bilder (Konradin von Schwaben), besonders aus der badischen Geschichte (Markgräfin Anna von Baden, an Arme Speise vertheilend), Landschaften (Ruth), Scenen aus dem Gebiete der Romantik (Tasso’s Tod), des italienischen (Pifferari 1830) und deutschen Volkslebens, worunter besonders zwölf Radirungen zu Hebels alemannischen Gedichten erwähnt zu werden verdienen. Besonders glücklich bewegte sie sich im Kreise zarter Weiblichkeit. Vgl. Hormayr’s Archiv vom 17. Februar 1823, S. 116. Nagler 1842, XII. 397. Wurzbach 1873, XXV. 214. Seubert 1879, III. 127.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers