Abschnitt 1

02 München.


Zu Ende Juli 1807 beredete mich mein Freund Johann Lorenz Rugendas 1) zu einer Fußreise nach München, wo er auf der Dult 2)) mit den Bilderhändlern Geschäfte machen wollte. Gern ging ich auf seinen Vorschlag ein und bei schönem Wetter unter traulichen Gesprächen legten wir in anderthalb Tagen unsern Weg zurück.


Zu München kam ich in eine ganz neue Welt, welche ich mehr in meinem Innern geahnt als gesucht hatte. Bisher fehlte mir noch jede Gelegenheit, mit einem wahren Kunsttreiben bekannt zu werden. Besonders waren mir die großen Vorbilder der alten Meister fremd geblieben, und es rief in mir die glühendste Begeisterung wach, diese in der königlichen Gallerie in so großer Anzahl vereinigt zu finden. Ich war wie berauscht von all dem, was ich hier sah. Besonders zogen mich die Werke der Niederländer an, und die Eindrücke, welche sie auf mich machten, waren so mächtig, daß ich überall an Wege auf der Rückreise Bilder von Potter, Dujardin, Van der Velde, Wouvermann u.s.w. zu sehen glaubte und Vergleiche anstellte, welcher von diesen Meistern wohl der Natur am nächsten gekommen. Es war eine schö ne Begeisterung, welche nur der begreifen kann, der die Kunst innig liebt und im Herzen trägt.

In der Gallerie lernte ich einige Künstler kennen, welche sich für mich zu interessiren schienen; ich erkundigte mich bei ihnen um die Lebensverhältnisse in München und erfuhr zufällig, daß in der Nähe der Gallerie ein Sommerhäuschen billig zu miethen sei, das für einen Künstler, welcher bescheidene Ansprüche mache, nicht ungeeignet wäre. Augenblicklich verfügte ich mich dahin und miethete es um den Preis von vier Gulden monatlich. In größter Eile lief ich hierauf in das Gasthaus zum „Goldenen Kreuz“, wo wir wohnten, rannte auf Rugendas zu, welcher in zahlreicher Gesellschaft an der Table d’hôte speiste, mit den Worten: „Ich ziehe nach München und reise jetzt sogleich nach Augsburg, um meine Sachen in Ordnung zu bringen und recht bald wieder hier sein zu können.“ Rugendas sah mich groß an, lachte und erwiderte: „Da sieht man wieder den Brausekopf! Hat denn das so entsetzliche Eile? Warten Sie nur bis morgen, ich habe heute noch einige Geschäfte zu besorgen, morgen gehe ich mit.“ „Nein, nein,“ entgegnete ich, „ich muß fort, ich habe keine Ruhe mehr, ich kann hier nicht mehr schlafen!“ In seiner großen Herzensgüte ließ Rugendas sich endlich herbei, noch an demselben Abende in einer schönen Sommer-Mondnacht vier Stunden Weges zurückzulegen und in Dachau mit einem recht schlechten Nachtquartier vorlieb zu nehmen. Als des andern Tages die goldene Scheibe der Sonne majestätisch am Horizonte heraufstieg, hatten wir schon eine bedeutende Strecke zurückgelegt und waren bis Mittag in Augsburg angelangt.

Ich aß und wollte mich sodann ein wenig schlafen legen, um von der Reise auszuruhen, schlief aber von 1 Uhr bis 9 Uhr Abends, nahm wieder etwas Speise zu mir und schlief wieder bis 11 Uhr des andern Morgens. Nicht blos die Ermüdung der eiligen Fußreise, sondern alles, was in München, wo ich mehrere Tage nach einander fast gar nicht ruhte, mit mir vorgegangen, hatte mich so abgespannt, daß die Natur so ungestüm ihre Rechte forderte.

Von Augsburg kam ich aber nicht so schnell fort, als ich gewollt, ich sah mich genöthigt, einige angefangene Arbeiten zu vollenden, um mit Ehren von einem Orte scheiden zu können, wo ich soviel Liebe genossen und so heitere Tage verlebt hatte. Jedoch machte ich mich so rasch los, als ich konnte und eilte nach München.

Hier war mein erstes Trachten, die Erlaubniß zu erhalten, in der Gallerie copiren zu dürfen. Ich packte das Beste von meinen Arbeiten zusammen und verfügte mich nach Schleißheim zu dem alten Galleriedirektor von Mannlich, 3) von dem ich etwas kalt aufge nommen ward, aber doch die gewünschte Erlaubniß erhielt. Mit mehr Wärme interessirte sich für mich und meine Arbeiten der damalige Gallerie-Inspektor Dillis; 4) einigen von meinen Radirungen schenkte er ganz besondere Aufmerksamkeit. Dillis war ein Mann mit viel natürlichem Gefühle, er glühte für die Kunst und war in seinen Ansichten vielseitig. Er stammte von einem Förster ab, und obwohl er sich dem geistlichen Stande gewidmet hatte, trat doch in seinem Benehmen etwas Naturwüchsiges hervor, das ihm vom Jäger geblieben und ihn sehr gut kleidete.

Ich machte mich sogleich aus Werk, nahm meine Staffelei und Geräthschaften selbst unter den Arm und stieg mit einem ganz eigenen Gefühle die Treppe hinauf, welche mich in das Heiligthum der Kunst führte. Oben an der Treppe begegnete ich einem anderen Inspektor, dem alten Brulliot. 5) Er fragte mich voll Treuherzigkeit in seiner Niederländer-Mundart: „Na, was wollen Sie denn zuerst copiren?“ Ich erwiderte ganz naiv: „Ich denke, Wouvermann.“ Der gute, alte Herr prallte ordentlich bei diesem Worte zurück und rief: „Pah, Wouvermanns! Sie haben viel Courage!“ Ich ließ mir aber den Muth nicht nehmen, suchte mir ein Bild, aus welchem ich eine Gruppe von zwei Pferden und einer Figur wählte und setzte mich an die Arbeit.

Ich begann auf ganz andere Art, als die anderen Künstler, welche theils zum Studium, theils um aus dem Copiren einen Erwerbszweig zu machen, hier malten. Man sah mir kopfschüttelnd zu, jeder wußte etwas anderes zu tadeln oder zu rathen, alle aber kamen darin überein, daß es eine Unmöglichkeit sei, einen Wouvermann alla prima zu copiren; ich aber malte getrost nach meiner Art und Weise weiter. Endlich wandte ich mich an Dillis, welcher fast täglich durch die Gallerie die Runde machte und da und dort guten Rath ertheilte, wo er glaubte, daß dem betreffenden Künstler zu rathen oder zu helfen sei.

„Herr Inspektor!“ redete ich ihn an, „helfen Sie mir doch aus der Noth! Mir wird der Kopf ganz wirre, jeder sagt mir etwas anderes, am Ende wird mir doch bange, alles verkehrt anzugreifen!“ – „Lassen Sie die Leute reden,“ erwiderte er, „und machen Sie so fort; das Ding wird gut, Sie haben den Meister verstanden, und wenn es gut wird, ist es ganz gleich, wie Sie es gemacht haben, und hätten Sie es auch mit dem Besenstiele statt mit dem Pinsel gemacht; wenn Sie es zudem prima herauskriegen, ist es besser, als wenn Sie so lange daran herumfieseln, 6) es kommt mehr Geist hinein!“

Das waren tröstliche Worte. Ob der Satz aber ganz richtig, will ich nicht behaupten; ganz gleichgültig ist es nicht, wie man eine Sache angreift und mit welchen Mitteln man seinen Zweck erreicht. Dillis aber er kannte recht wohl, daß ich bei meinem ernsten Streben bald von selbst auf die rechte Methode kommen werde, zumal ich mir bisher durch eigenes Suchen mühevoll das aneignen mußte, was ich gelernt hatte und mir dabei allerlei Kunstgriffe und Handvortheile erworben hatte, von denen Andere, welche das Malen systematisch erlernt, gar nichts ahnen. Deßhalb erreichte ich damals, was ich wollte, auch auf verkehrtem Wege. In der Gallerie war ich immer der Erste, der kam und der Letzte, der ging. So geschah es eines Abends, als es schon anfing, etwas zu dämmern und ich immer noch an der Staffelei saß, daß ich hinter mir einen Mann mit einem mir widerlichen Gesichte bemerkte, welcher länger verweilte, als sonst gewöhnlich blos Neugierige zu thun pflegen. Zuletzt nahm er gar einen Stuhl, setzte sich hinter mich und schaute mir zu, nahm sodann das Wort und fragte mich: „Verkaufen Sie das Ding?“ Ich schaute ihn groß an und sagte: „Ich habe es zu meinem Studium gemacht, um etwas dabei zu lernen und an Verkaufen bisher noch gar nicht gedacht.“ – „Ich will es aber kaufen,“ sagte er, „wenn es Ihnen feil ist. Was verlangen Sie denn dafür?“ – „Lassen Sie es doch erst fertig werden,“ bemerkte ich, er aber entgegnete: „Machen wir den Handel ab, sagen Sie, was Sie begehren.“ Ich dachte bei mir selbst, wenn das so geht, daß ich die Sachen, welche ich zu meinem Studium mache, verkaufen kann, so ist in München gut durchkommen, und verlangte einen Dukaten. Der Mann zog seine Börse, suchte eine Weile und legte einen schönen Dukaten auf die Staffelei mit den trockenen Worten: „Das Bildchen ist mein“ – und ging.




1) Johann Lorenz Rugendas (der Vater des durch seine Reisen bekannten Johann Moriz Rugendas, geb. 20. März 1802 zu Augsburg, gest. 29. Mai 1858 zu Weilheim), geb. 1775 zu Augsburg gest. das. 1826 als Prof. der Kunstschule und Direktor der Zeichnungsschule.
2) Dult = Jahrmarkt, Messe, Fest; schon bei Ulfila. Goth. duld; alth.: tuld; mhd.: dult. Vgl. Schmeller 1872, I. 502. 603.
3) Johann Christian von Mannlich, Maler und Galleriedirektor, geb. 1740 zu Straßburg, gest. 3. Januar 1822 zu München. Vgl. Nagler, Künstler-Lexicon 1839, VIII. 243. XVI. 258 ff. und Liliencron’s Allg. Deutsche Biographie 1884, XX. 207.
4) Jos. Georg von Dillis, geb. 26. Februar 1759 zu Grüngiebing (Landgericht Haag), nachmals Centralgallerie-Direktor zu München, gest. 28. September 1841. Vgl. Andresen, Die deutschen Maler-Radirer des XIX. Jahrhunderts. Leipzig 1870, IV. 137–200 und Marggraff in Liliencron’s Allg. Deutsche Biographie 1877, V. 226 ff.
5) Franz Brulliot, geb. 1739 zu Mannheim, Professor an der Düsseldorfer Akademie und Inspektor seit 1805 in gleicher Stellung zu München, starb 1827. Vgl. W. Schmidt in Liliencron’s Allg. Deutsche Biographie 1876, III. 419.
6) Fieseln, d.h. kleine Bewegung machen mit dem Munde oder den Zähnen; nagen. Schmeller, Bayer. Wörterbuch 1872, I. 767.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers