Abschnitt 4

13 München und Mailand.


Prina war schon längst eine allgemein verhaßte Persönlichkeit. Man beschuldigte ihn, daß er durch sein seltsames Talent, immer neue Finanzquellen zu entdecken und aus dem Volke Geld zu pressen, sich bei Napoleon in hohe Gunst gesetzt habe. Der Italiener aber liebt das Geld über alles; wer ihm dieses nimmt, greift in sein Herz! In der That waren auch in der letzten Zeit der napoleonischen Herrschaft die Lasten unerträglich gewesen, war doch der Sinn aller Reden und Dekrete Napoleons seit dem russischen Feldzuge nur: „Schaffet mir Geld und Soldaten!“ In Mailand mußte sein Organ, der Finanzminister, welcher ihm nur zu gute Dienste geleistet hatte, dafür büßen. Man sagte sich auch über Prina’s Privatleben wenig Gutes. Zu seinem Unglücke war er von Geburt Piemontese; diese waren 1814 noch nicht so beliebt in Mailand wie 1859.


Noch am 20. April trat eine provisorische Regierung aus Männern zusammen, deren Namen bei dem Volke einen guten Klang hatten. Es wurden zwei Plakate an allen Straßenecken angeschlagen. Das eine rief alle gutgesinnten Bürger auf, unter die Waffen mit einer weiß und rothen Cokarde zu treten und zur Herstellung der Ordnung beizutragen; durch das zweite wurden die Abgaben auf Tabak, Salz und Stempelpapier aufgehoben.

Ein wahrhaft komisches Aussehen hatte die Stadt am 21. April. Mit dem Oberhaupte der Douanen, dem Finanzminister, verschwanden alle Douaniers. Der Eingangszoll für Lebensmittel fiel damit weg und nun zeigte sich die Industrie des Italieners. Mailand wurde mit Waaren und Viktualien aller Art, die sich aufbewahren lassen, auf Jahre hin versehen; die Verzehrungssteuern waren sehr bedeutend gewesen und nun beeilte sich alles, möglichst viel Produkte hereinzubringen. Alle Straßen standen voll Karren und Leu ten, die beschäftigt waren, jene Produkte abzuladen. Eine große Rolle spielten hiebei Käse, Wein und Branntwein, Oel, Speck u.s.w.

Ein anderer Gegenstand brachte auch Leben in die Straßen; unzählige Menschen entwickelten eine rastlose Thätigkeit, um jedes Andenken an die napoleonische Herrschaft zu vertilgen. Alle Wappen an den öffentlichen Gebäuden, an Lotterie- und Tabaksläden und sonstigen privilegirten Lokalen wurden herabgerissen und mit Lust zerstört. An den Straßenecken sah man Tüncher stehen, die emsig beschäftigt waren, Aufschriften verschwinden zu machen, die irgend eine Beziehung auf die napoleonische Herrschaft und ihre Glorie hatten. Immer belustigte sich hiebei ein großer Haufen Volkes und machte Witze und Bemerkungen zu diesen Arbeiten. Dann kam wieder ein langer Zug, der jubelnd durch die Straßen drang, vor ihm her Leute, die, statt den Fahnen, an langen Stangen gelb und schwarze Tücher und Bänder trugen. Sie zogen auf den Platz vor der Residenz, wo das wenige Militär, das noch in Mailand anwesend war, aufgestellt wurde und verhöhnten dasselbe. Neben diesen burlesken Auftritten gab es auch ernsthafte Versuche, zu plündern. Diesen wurde jedoch jedesmal durch die guardia civica Einhalt gethan. Die Errichtung derselben erwies sich in den bedenklichen Tagen der Aufregung sehr brauchbar, und mancher Exceß wurde durch sie verhütet.

Einige Tage trieb sich das Volk in dem Bewußtsein seiner plötzlich errungenen Freiheit gleich einem Pferde, das dem Stalle entronnen und ohne Zaum und Zügel herumjagt. Endlich legte sich der Tumult theils von selbst, theils durch kluge Maßregeln der provisorischen Regierung. Der Italiener kalkulirt gerne; man kam zum Nachdenken und fragte sich: „Was soll denn aus solchen Vorgängen werden?“ Der ordentliche und fleißige Bürger (und deren gab es in Mailand viele) sehnte sich aufrichtig nach dem Einrücken der Oesterreicher; allein diese zögerten zu lange, Besitz von Mailand zu nehmen und gaben dadurch selbst den ersten Anlaß zu den Unabhängigkeitsbestrebungen, die fortwucherten und Oesterreich so viel Unheil bereitet haben.

Nur zu bald wurde im Volke eine Stimme laut: „Wozu brauchen wir denn die Oesterreicher? Wir haben uns selbst frei gemacht, wir wollen ein selbständiges, unabhängiges Volk sein!“ Es gab eine Partei, die nicht säumte, diese Stimmung auszubeuten. Ueber einigen Wachtzimmern der guardia civica las man die Worte: „Independenza o morte!“

Endlich hielten die österreichischen Truppen einen feierlichen Einzug in Mailand, aber der Empfang war kalt. Nach weniger als Jahresfrist wurde eine weitverzweigte Verschwörung entdeckt, die viele Verhaftun gen von angesehenen Persönlichkeiten zur Folge hatte. Darunter befand sich auch General Lecci, ein Mann, der im Kriege in Spanien und Rußland unter Napoleons Fahnen sich bemerkbar gemacht hatte. Mit dieser Verschwörung begann das unheilvolle Treiben der Carbonari.

Ruhe und Ordnung wurde indessen von den Oesterreichern hergestellt und äußerlich ging alles bald seinen geregelten Gang. Mailand hatte wieder sein Feiertagskleid angezogen. Man war vergnügt und guter Dinge, weil man nunmehr nach dem Sturze Napoleons auf einen dauernden Frieden hoffte. Der Adel, der sich durch die mißlichen Verhältnisse in letzter Zeit gedrückt gefühlt, entwickelte nach und nach wieder mehr Luxus. Der Corso belebte sich mit Equipagen, schönen Damen und der Unzahl von Tagedieben und Pflastertretern, an denen Mailand zu allen Zeiten so reich war, und die in den Kaffeehäusern, halb sitzend, halb liegend, ihr dolce far niente pflegten. Der Mittelstand fand wieder mehr Beschäftigung und Absatz seiner Produkte. Der fleißige Landmann freilich war, wie zu allen Zeiten, in Italien schlecht daran, aber dieser kümmerte sich nicht viel darum. Ihm konnte man nichts nehmen, denn er hatte nichts; im Schweiße seines Angesichts aß und ißt er sein Brod und muß für die reichen Grundherren sich plagen. Es war ihm darum ziemlich gleichgiltig, ob die Franzosen oder Oesterreicher regierten, er bleibt ja doch in Italien immer das Lastthier. Der einzige Gewinn, den er von der Aenderung der Dinge zu hoffen hatte, war, daß jetzt der Bedarf an Soldaten weniger werde; immerhin ein Gewinn, denn der Italiener zieht nicht gerne in den Krieg.

Die Wendung der Dinge und die zurückgekehrte Heiterkeit in Mailand hatte auch auf mich günstigen Einfluß. Mehrere reiche Mailänder, darunter ein Graf Anoni, Alalari, Cigognia und andere Adelige mehr wandten sich an mich, um Werke von mir zu haben. Man war um so begieriger darnach, als man wußte, daß ich, solange Prinz Eugen in Mailand als Vicekönig residirte, für niemand Andern arbeiten durfte. Es liegt eben in der Natur des Menschen, daß das, was ihm schwer wird zu erhalten, mehr Reiz auf ihn ausübt, als das, was er mit leichter Mühe erwerben kann. Das äußert sich voran bei Kunstsachen, und manche Künstler verstehen es vortrefflich, durch eine gewisse Charlatanerie sich rar zu machen, und ihren Werken dadurch einen erhöhten Werth in den Augen der Liebhaber zu verschaffen. Mir lag das mein ganzes Leben hindurch ferne: ich trieb die Kunst aus Liebe und war nur zu wenig Speculant.

Von nun an hatte ich alle Hände voll zu thun, um alle Aufträge auszuführen, die an mich gelangten, denn da seit dem Sturze Napoleons der Bezug meines Gehaltes aufgehört hatte und ich über meine künftige Stellung zu dem Prinzen Eugen ganz im Ungewissen war, so trug ich kein Bedenken, wenigstens vor der Hand, die erhaltenen Aufträge auszuführen. Bald wurde ich auch mit der militärischen Aristokratie der österreichischen Besatzung bekannt: Feldmarschall-Lieutenant Sommariva, der General der Cavallerie, Graf Klenau, Graf Hadick und Andere wollten von mir gemalt sein. Besonders auszeichnend begegnete mir Graf Klenau. Ich war viel an seiner Tafel. Da er sich in einer hohen Stellung befand, so machte ich durch ihn sehr interessante Bekanntschaften. Er war für die Kunst sehr eingenommen und ein Mann von feiner Bildung und wahrhaft ritterlichem Charakter, ein Cavalier im besten Sinne des Wortes.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers