Abschnitt 3

13 München und Mailand.


Der Obrist des Generalstabes fragte mich, ob ich gesonnen sei, diese bestimmte Erklärung schriftlich zu geben. Ich bejahte es, erhielt Feder und Papier und schrieb sie nieder. Von diesem Augenblicke an ließ man mich in Ruhe; ich wurde auf keine Weise weiter belästigt und lebte zurückgezogen mit meiner Familie und bei meinen Arbeiten bis zum gänzlichen Sturze der napoleonischen Regierung.


Die üble Stimmung nahm in Mailand von Tag zu Tag zu. Wer diese Stadt des Luxus und der Ueppigkeit in ihrem Glanze gesehen hatte, auf den mußte sie in den ersten drei Monaten des Jahres 1814 einen höchst langweiligen, ja betrübenden Eindruck machen. Viele der bei der Regierung Angestellten waren durch die schlimmen Gerüchte, die von dem Mißgeschicke der französischen Waffen sich verbreiteten, eingeschüchtert und um ihre Existenz besorgt. Durch die Abwesenheit des Militärs, besonders der Garden, fehlte ein Hauptglanzpunkt der Stadt. Das Militär hatte ja sehr viel Geld in Umlauf gebracht, besonders die Nobelgarde. Diese bestand meistens aus Adeligen und Söhnen reicher possedenti; fast jeder dieser Leute hatte seine eigene Geliebte (mantenuta), und diese Geschöpfe, die ihr leicht erworbenes Geld auf Putz und Luxusgegenstände verwendeten und so wieder unter die Leute brachten, waren jetzt ebenfalls in ihrer Existenz bedroht und mit ihnen noch unzählige Menschen. So stockte alles, und der Mangel an Geldverkehr und öffentlichen Belustigungen war sehr drückend. Das Ganze glich einem Körper, der einem Siechthum entgegengeht.

So schleppte sich alles fort bis Mitte April. Die Nachricht hatte sich schon früher verbreitet, daß die Verbündeten in Paris eingezogen und Napoleon für sich und seine Nachkommen der Krone entsagt habe. Prinz Eugen, der von den Oesterreichern in Mantua eingeschlossen war, wurde durch den französischen Senat seiner Stelle als Vicekönig von Italien enthoben und erhielt den Befehl, die unter seinem Commando stehenden französischen Truppen nach Frankreich ungehindert zurückgehen zu lassen. Bald darnach führte der Divisionsgeneral d’Anthouard diese Truppen an den Stadtmauern Mailands vorbei, ohne die Stadt selbst zu betreten. Die Würfel waren gefallen und in dem für den Augenblick herrenlosen Mailand gährte es ernstlich. Am 20. April brach eine Revolution los, die einen sehr ernsten Charakter anzunehmen drohte und wobei der Finanzminister Prina ein Opfer der Volkswuth wurde.

Es verbreitete sich das Gerücht, daß der Senat von Mailand beabsichtige, Schritte zu thun, um im Namen der Nation bei den Verbündeten den Prinzen Eugen als König von Italien zu begehren. Wie sich die Sache in Wirklichkeit verhielt, vermag ich nicht zu sagen, aber richtig ist es, daß am 19. April Unterschriften gesammelt wurden, um sich eigenmächtigen Schritten des Senates in dieser Angelegenheit zu widersetzen, ein Theil des Adels stand hiebei an der Spitze; man trieb die Sache im Theater della Scala am Abende ganz offen. Tags darauf versammelte sich der Senat zu einer außerordentlichen Sitzung; vor dem Palaste des Senates hatte sich ein kleiner Haufen Menschen zusammengefunden, der sich anfangs damit begnügte, die Senatoren zu verspotten und mißliebige Töne aus zustoßen; im übrigen ließ er die Wagen ungehindert hineinfahren. Nach und nach aber wuchs dieser Haufe zu einer ungeheuern Menschenschaar an, die bald durch gehässige Gerüchte in wilde Aufregung kam. Man drang in den Palast und Sitzungssaal, insultirte die Senatoren und zwang den Präsidenten, die Sitzung aufzuheben. Bald folgten gröbere Excesse. Das Volk ging zur Plünderung und Zerstörung über, vor allem wurden die Papiere des Senats vernichtet, die Senatoren mußten von je zwei Officieren der guardia civica am Arme in ihre Wagen gebracht werden, um sie vor der Volkswuth zu schützen.

Mit Ungeduld harrte das Volk auf das unglückliche Schlachtopfer dieses Tages, welches man in der Sitzung anwesend glaubte: auf den Finanzminister Prina. Wie aus einem Munde schrien alle, daß die Luft zitterte: „Prina, Prina, fuori Prina!“ Es war ein fürchterliches Todesurtheil, das mir heute noch in den Ohren gellt. Prina war jedoch nicht anwesend. Um ihn zu suchen, drang der wüthende Haufe massenweise in den Palast und begann eine furchtbare Zerstörung: Möbel, Spiegel, Bilder, Büsten, Bodenteppiche, Gefäße, kurz, was irgend losgemacht werden konnte, wanderte zu den Fenstern hinaus. Man belustigte sich, alles zertrümmert zu sehen, und begnügte sich mehr mit der Zerstörung als mit dem Plündern. Was an Büchern, Schriften, Documenten vorhanden war, nahm denselben Weg auf die Straße. Das gab ein wahrhaft tragikomisches Bild. Der Palast des Senates stößt nämlich dicht an den mit üppigen Bäumen bewachsenen giardino publico, und da es ein regnerischer, windiger Tag war, so hingen alle Bäume voll Schriften und Papiere, die der Wind weit umher wehte und sein Spiel damit trieb. Auf solche Weise tobte das Volk fort, bis gegen 3 Uhr Nachmittags, wo das Haus ausgeleert dastand.

Ueber dieses tragische Ereigniß bin ich in der Lage, ganz authentische Nachrichten zu geben, da ich mein Atelier damals in dem ehemaligen Kloster zu St. Pietro celestino hatte, das dicht bei dem Senatsgebäude steht und mir somit die Gelegenheit geboten war, den ganzen Vorgang von seinem Anfang an zu beobachten.

Nach 3 Uhr ging der Strom gegen das Haus Prina’s; auch dieses Palais wurde durchsucht, ohne diesen finden zu können, und nun begann auch hier die Zerstörung mit noch ärgerer Wuth, als im Senatsgebäude. Das Haus glich von außen einem Ameisenhaufen; man ging so weit, daß die stärksten eisernen Fenstergitter wie schwacher Draht herausgerissen wurden. Es war Erstaunen erregend, was Menschenhände in so kurzer Zeit zerstören können. Bis gegen Abend blieb nichts mehr vorhanden, als die nackten Mauern.

Gegen 7 Uhr Abends soll man endlich Prina unter dem Dache gefunden haben; er hatte sich bis dorthin von Gemach zu Gemach geflüchtet, und mußte all das Schreckliche mit anhören. Im Triumphe wurde er in den ersten Stock heruntergeschleppt, der zahllosen Volksmenge auf dem Balkon zur Schau ausgestellt. Da ertönte der fürchterliche Ruf: „giù, giù, butta giù, questa canaglia!“ Das geschah auch, und er wurde nun mit Fußtritten und den Spitzen der Stöcke und Regenschirme empfangen.

Von einem Einschreiten gegen das wüthende Volk konnte gar keine Rede sein: Mailand war gänzlich von Truppen entblößt, einzelne Patrouillen wurden verhöhnt, wo sie sich zeigten; ein einziger Mann wurde respectirt: der würdige alte General Pino. Dieser ritt mit einigen Adjutanten und Officieren in den Straßen herum und suchte das Volk durch Vorstellungen und gute Worte zu besänftigen. Er kam auch zu jenem fürchterlichen Auftritte, und da Prina zu beichten begehrte, brachte er es dahin, daß jenem dieser letzte Trost gewährt wurde. Prina wurde dazu in das Lokal eines nahe gelegenen Mercante di vino gebracht. Man sagte, General Pino habe hiebei Versuche gemacht, das Volk zu beschwichtigen und von weiteren Mißhandlungen des schon halb zu Tod gequälten Prina abzuhalten. Deßhalb habe er einem Adjutanten insgeheim den Auftrag gegeben, Prina zu verbergen, und dieser habe ihn in ein leeres Faß gesteckt. Als aber Prina zu lange nicht zum Vorschein kam, fiel das Volk über den Adjutanten her, der sich nur dadurch retten konnte, daß er ihnen sein Schlachtopfer überließ.

In dem Weinhause hat der unglückliche Minister auf jammervolle Weise geendet. Man erzählte sich die abscheulichsten Dinge, mit welch’ satanischer Bosheit er langsam zu Tode gemartert worden sei; erst gegen 3 Uhr Morgens soll er verschieden sein. Auch sein Leichnam wurde noch mißhandelt und an Stricken bei Fackelschein durch die Straßen geschleppt. Eine Patrouille der guardia civica soll den Leichnam endlich aus den Händen des Pöbels mit guten Worten befreit haben.

Das Palais Prina’s wurde einige Zeit darauf dem Erdboden gleichgemacht; man wollte alles entfernen, das an dieses Ereigniß erinnern konnte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers