Abschnitt 2

13 München und Mailand.


In Bayern herrschte eine ungewöhnliche Thätigkeit, wieder eine neue Armee in das Feld zu stellen. Mit welchen Opfern dies geschah, läßt sich leicht vorstellen. In unbegreiflich kurzer Zeit stand eine große Anzahl gut ausgerüsteter und exercirter Truppen auf den Beinen. In der Nähe von München wurde ein großes Lager bezogen, um sie im Felddienst einzuüben. Hier ereignete es sich, daß ein furchtbarer Orkan losbrach, der das ganze Lager zerstörte und die Zelte sammt einer Menge anderer Geräthschaften auf der Ebene weithin forttrieb und herumschleuderte. Viele betrachteten dieses Ereigniß als eine Vorbedeutung des Ungemachs, welchem diese Armee auf’s Neue entgegenzugehen bestimmt sei. Doch sollten diese deutschen Söhne nicht noch einmal für napoleonische Eroberungen sich verbluten, vielmehr ihre Waffen gegen ihn kehren. Freilich getraute man sich damals kaum, das recht zu denken, aber in den meisten Herzen regte sich das empörte Gefühl über die Rücksichtslosigkeit, mit der in den napoleonischen Kriegen die deutschen Bundestruppen hingeopfert und behandelt wurden. Das Maß der verletzten Menschenrechte war voll und das Streben, das unwürdige Joch abzuschütteln, immer fühlbarer.


Napoleon hatte schon im Dezember die Armee verlassen, einige Zeit darauf auch Murat. Prinz Eugen, der seines ritterlichen Charakters wegen am längsten das Vertrauen der Truppen sich bewahrte, hielt die traurigen Reste der unglücklichen Armee noch zusammen, bis Napoleon im Frühjahre mit einer neuen Armee wieder in Deutschland vorrückte. Sein Genie und die Macht, die er noch in Händen hatte, thaten Wunder. In kürzester Zeit konnte er wieder eine neue Armee in’s Feld führen, aber es waren nicht mehr die alten Soldaten, an deren Fersen der Sieg fesselt war. Ihrem Laufe war schon das Ziel gesteckt, ehe sie Preußens damalige Grenzen erreichten. Deutschland hatte sich ermannt und rief Napoleon das ernste Wort entgegen: „Bis hieher und nicht weiter.“

Prinz Eugen wurde gegen Ende des Frühjahres beordert, nach Italien zu gehen, um auch dort eine neue Armee zu organisiren. Alles handelte sich ja damals darum, Geld und Soldaten herbeizuschaffen, um den Krieg mit Nachdruck eröffnen zu können. Aber in Italien stieß man auf große Schwierigkeiten; der brauchbaren jungen Leute für den Kriegsdienst wurden immer weniger, man mußte zuletzt Verheirathete nehmen. Dies erregte, verbunden mit den übrigen großen Lasten und Erpressungen, eine sehr üble Stimmung. Die Italiener sahen finster darein und machten einstweilen die Faust im Sacke. Mit gewaltigen Zwangsmaßregeln gelang es wohl zuletzt, wieder eine Armee in’s Feld zu führen, aber sie taugte nicht viel, sie bestand aus Rekruten und Neulingen, die, wenn sie vor den Feind kamen, sich schlecht schlugen. Was Gelegenheit fand zu desertiren, lief davon, und die strengsten Maßregeln dagegen blieben erfolglos. Der gute Prinz Eugen hatte schweren Stand unter so mißlichen Verhältnissen. Die Italiener werden bei richtiger Behandlung im Verlaufe der Zeit auch gute Soldaten, sie haben unter napoleonischer Zucht Beweise hievon gegeben, aber sie brauchen länger, als irgend eine andere Nation, bis sie sich gewöhnen, Pulver zu riechen und Kugeln pfeifen zu hören.

Zufällig war ich nicht in München, als der Prinz auf seiner Durchreise nach Mailand einen Tag dort verweilte, aber schon nach einigen Wochen brachte mir ein durchreisender Courier den Befehl, mich mit allen Zeichnungen, die ich aus Rußland gerettet, in Mailand einzufinden. Um Zeit zu gewinnen und eine begonnene Skizze der Schlacht bei Borodino zu vollenden, schrieb ich nach Mailand und erbat mir Reisegeld, das ich auch umgehend erhielt. Gegen Mitte Juli verließ ich mit Frau und Kind München. Um schnell zu reisen, hatte man damals kein anderes Beförderungsmittel als Extrapost. Da man am Hofe des Vicekönigs gewohnt war, jede Ordre schnell und pünktlich vollzogen zu sehen, fuhr ich Tag und Nacht und kam am dritten Tage in Mailand an. Die Freude meiner Frau machte sich in einem Strome von Thränen Luft, als wir nach einer sechzehnmonatlichen Abwesenheit, in der so viel Wichtiges vorgefallen und auch ihr Vater gestorben war, an einem heitern Morgen bei der Porta Orientale einzogen.

Ich begab mich unverweilt zu meinem Gebieter nach Monza. Er empfing mich in Gegenwart seiner reizenden Gemahlin mit den Worten: „Voilà le déserteur!“ aber er war gewohnt, nicht lange zu grollen. Meine Zeichnungen sah er bis zum letzten Blättchen mit großer Aufmerksamkeit und Interesse durch und freute sich, daß ich so vieles gesammelt und alles gerettet habe. Er empfahl mir, diese Sachen ein wenig zu ordnen, Einiges, was sehr flüchtig entworfen war, besser auszuführen und alles sorgfältig zu bewahren, bis er weiter disponiren würde. Sein lebendiger Geist fand mitten unter dem Drange wichtiger Geschäfte Zeit, seine Aufmerksamkeit auch diesen Dingen zuzuwenden. Hier sah ich den Prinzen zum letzten Male in Italien, er ging bald darnach zur Armee ab, um einen erfolglosen Feldzug gegen Oesterreich zu eröffnen. Erst zwei Jahre später sah ich ihn in München wieder.

Die Uebergangsperiode vom Jahre 1813 bis 1815 versetzte die meisten Menschen in eine recht unbehagliche Stimmung, welche beinahe in ganz Europa und ganz besonders in Italien fühlbar war. Mit immer düstereren Wolken umhüllte sich der politische Horizont und wie einem schweren Gewitter eine lästige Schwüle vorangeht, so drückte dieser Zustand auf die Gemüther und hemmte die freie Bewegung des geistigen und materiellen Lebens. Man fühlte, daß ein großer Mann nicht allein zu Grunde geht, sondern daß er in seinem Falle Tausende mit sich fortreißt. Mit banger Erwartung sah man der Entwicklung der furchtbarsten Katastrophe der neueren Zeit und dem Gange der Kriegsereignisse entgegen, aber in einem Punkte liefen alle Wünsche, alle Hoffnungen zusammen: in der Sehnsucht nach dauerndem Frieden. Der Krieg war unerträglich geworden, man wollte eine Aenderung um jeden Preis.

Für mich war die Zeit vom Sommer 1813 bis zum Jahre 1814 eine sehr trübe. Ich betrachte sie für mein Künstlerleben als eine fast ganz verlorene. Nicht, daß ich müßig gewesen wäre, aber es war weder ein Gedeihen, noch ein Fortschreiten in dem, was ich schuf, es war ein künstlerisches Vegetiren, was sonst gar nicht in meiner Art lag. Ich lebte still und zurückgezogen in meiner Familie, die sich im November um ein Töchterlein vermehrte und wartete ruhig den Gang der Ereignisse ab.

Zu Anfang des Jahres 1814 verdüsterte sich die Stimmung in Mailand. Die italienisch-französische Armee wurde durch die österreichische unter dem Feldmarschall Bellegarde langsam zurückgedrängt bis gegen Mantua. Mailand war gänzlich von Truppen entblößt, was gerechte Besorgnisse erregte. Man errichtete deßhalb eine Art Nationalgarde zur Wahrung der innern Sicherheit. Sie wurde guardia civica genannt und bestand aus Besitzenden (possedenti), Staatsdienern und solchen Individuen, deren Interesse an den Staat gekettet ist. Dieses Corps trug (mit Ausnahme der Officiere) keine Uniform; man erhielt eine Vorladung zugesandt, durch die man auf ein corpo di guardia beschieden wurde. Dort erschien man in beliebiger Kleidung, erhielt Ober- und Untergewehr nebst Patrontasche und bezog die Wache. Auch ich erhielt zu verschiedenen Malen eine solche Vorladung, stellte mich aber nicht ein; zuletzt wurde ich dringend aufgefordert, vor dem Generalstabe zu erscheinen. Dieser Vorladung leistete ich Folge. Man befragte mich um die Gründe, weßhalb ich mich nicht zu diesem Dienste einfinde. Ich erklärte, daß ich in den gegenwärtigen, mißlichen Verhältnissen in Mailand eine ganz neutrale Stellung zu beobachten wünsche. Ich würde mich ruhig verhalten, keiner Partei anschließen, und auf keinen Fall einen Waffendienst verrichten. Man machte nun auf italienische Art eine Menge schöner Worte und stellte die Sache in das vortheilhafteste Licht, aber ich beharrte auf meiner ersten Erklärung, motivirte diese jedoch etwas mehr und sagte: „Ich bin Künstler; meine Verbindlichkeiten gegen den Vicekönig legen mir die Pflicht auf, diesen im Kriege und auf Reisen zu begleiten. Ich stehe unmittelbar unter seinen Befehlen und unter keinem andern Commandanten. Sobald er mich rufen läßt, werde ich meinen Verbindlichkeiten nachkommen. Sowie ich mich aber zu militärischen Diensten hergebe, muß ich mich unter einen andern Commandanten stellen. Das verträgt sich nicht mit meinem Dienst.“ Ich fügte noch hinzu, wenn hier ein Zwang stattfinden sollte, so müßte ich um einen Paß nach Bayern bitten. Dorthin wollte ich mich dann begeben und die weitern Ereignisse abwarten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers