Abschnitt 1

13 München und Mailand.


„Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei, und wäre er in Ketten geboren,“ sagt der unsterbliche Schiller. Aber wer ist denn so frei, daß er sich seiner Freiheit rühmen und von ganzem Herzen darüber freuen kann? Auf jeden Fall ist derjenige der freieste Mann, der die wenigsten Bedürfnisse hat, nichts von Andern braucht und sich nicht von seinen eigenen Leidenschaften tyrannisiren läßt. In diesem stolzen Bewußtsein meiner Freiheit verlebte ich meine Jugendjahre bis zum Eintritte in das Mannesalter.


Ich befand mich in einem ungemein glücklichen Zustande. Alle die großen Mühseligkeiten, die ich von früher Zeit an zu bekämpfen hatte, um mich in der Kunst emporzuarbeiten, däuchten mir Kinderspiele; nie und nirgends verlor ich den Muth. Eine große Heiterkeit des Geistes gesellte sich zu blühender Gesundheit und körperlicher Kraft, die mir alles, was ich unternahm, leicht machte. Das Fundament von dem Allem aber war, daß ich schon in frühester Jugend gelernt hatte, mich an die härtesten Entbehrungen zu gewöhnen. Darauf beruhte die innere Zufriedenheit mit meinem Schicksale. Ich hatte eben keine Bedürfnisse, wenn ich keine wollte, und schüttelte sie mit Leichtigkeit ab, wenn sie mir irgend hindernd in den Weg traten. Am allerwenigsten berührten mich die Schleppereien, mit denen sich die Menschen im gewöhnlichen Leben belasten und sich ihr Vorwärtskommen selbst erschweren. Ich ließ sie unbeachtet liegen und wanderte mit leichtem Bündel meinem Ziele zu.

Diese heitere, schöne Zeit meiner Jugend, sie ist leider nur allzu schnell entschwunden, wie ein Traumbild an mir vorübergezogen, aber schöne Erinnerungen hat sie mir zurückgelassen, Erinnerungen an ein reiches, glückliches Leben, ein Leben voll Beschwerden und Kämpfen zwar, aber auch voll Freuden, voll großer Erfahrungen. Süß ist im Alter der Rückblick auf eine so glücklich durchlebte Epoche.

Nach zurückgelegtem 26. Jahre wählte ich mir eine Lebensgefährtin, und vorbei war es nun mit meiner Freiheit, mit jener Freiheit im schönen Sinne des Wortes, die den Menschen über alle ungünstigen Einflüsse von außen erhebt. Mit diesem Schritte übernimmt der Mann Pflichten höherer Art; er gehört nicht mehr sich allein an, die Sorge für ein zweites, drittes und noch mehr Wesen raubt ihm die Freiheit, seine Bedürfnisse nach Belieben zu beschränken. Daran knüpft sich eine unberechenbare Folge von Nachtheilen, die, wenn er die Sorge als Familienoberhaupt nicht aus den Augen verlieren will, auch seinem künstlerischen Wirken hemmend in den Weg treten. Diese Nachtheile ließen nun in Folge ungewöhnlicher Ereignisse in der That nicht lange auf sich warten.

Bei der Wahl meiner Gattin war ich zwar glücklich, ich fand an ihr eine treue, ergebene Lebensgefährtin mit dem reinsten Herzen und einem wahrhaft kindlichen Gemüth. Sie liebte mich mit Innigkeit und Zartgefühl; ihr ganzes Wesen war echte weibliche Tugend und zarte Sitte, aber eben das ist es, was dem Manne, wenn er nicht unedel handeln will, zarte Rücksichten auferlegt und Fesseln bereitet. Es gibt keine größere Macht als die Liebe, welche sich auf gegenseitige Achtung gründet.

Bis zu meiner Rückkehr aus Rußland fühlte ich eigentlich noch gar nicht recht, daß ich verheirathet war. Durch die Ereignisse mit fortgerissen führte ich ein unstätes Leben und hatte noch gar nicht Zeit, ernstlich daran zu denken, meinen eigenen Herd zu gründen. Drei Jahre hindurch war ich mit dem Soldatenleben auf das engste verwoben. Ich führte zwar nicht das Schwert in der Hand, aber ich theilte mit den Soldaten alle Beschwerden des Krieges sammt dessen Gefahren. Dieses bewegte Leben übte großen Reiz auf mich. Mein heißes Blut wollte sich austoben, und mein unruhiger Geist fand seine Nahrung dabei. Jetzt aber war die Zeit gekommen, den Degen mit Pinsel und Palette zu vertauschen und an ein ernstes Studium zu denken. Ich hatte mir in den Feldzügen von 1809 und 1812 Schätze von Motiven für Bilder gesammelt, die mehr als ein Menschenalter erforderten, wenn ich auch nur das Bedeutendste davon ausführen wollte; aber für die ausübende Kunst hatte ich in jenen Jahren viele Zeit verloren. Ich war daher jetzt ernstlich darauf bedacht, mich an die Staffelei zu setzen und meinen Haushalt möglichst einfach einzurichten, denn daß vorerst für längere Zeit meines Bleibens in München nicht sei, war wohl zu vermuthen.

Der Uebergang von dem Leben, das ich so lange Zeit geführt, zurück in die engen Schranken des Alltäglichen war nicht so leicht, als ich mir anfänglich gedacht hatte. Recht süß war es zwar, an der Seite einer liebenden Gattin zu leben, die in meiner Abwesenheit mir einen kräftigen Knaben geboren, aber die Stubenluft wollte mir nicht behagen, es kam mir alles so enge vor. Acht Monate lang hatte ich mich in freier Luft bewegt, Wind und Wetter und allen klimatischen Einflüssen ausgesetzt; von Ende Juni bis Ende November hatte ich kaum mehr in einem Bette geschlafen, und nun schien mir alles, was mich umgab, so weichlich, mitunter kleinlich, und eine Menge Dinge, auf die man im gewöhnlichen Leben so oft einen großen Werth legt, kamen mir so entbehrlich, wo nicht abgeschmackt vor, daß ich es sehr lächerlich fand, wie sich die Menschen mit so vielem belasten können. Es brauchte lange Zeit, bis ich mich wieder in ein bequemeres Leben gewöhnt hatte, jedoch eine entschiedene Abneigung gegen alles Weichliche ist mir bis in mein hohes Alter geblieben. Uebrigens hatte mich dies so geraume Zeit geführte Leben so gekräftigt, daß ich bei meiner Ankunft in München ganz blühend aussah und Jedermann, der mir begegnete, sich darüber wunderte.

Mit ganz besonderem Wohlbehagen setzte ich mich nun an meine Staffelei und entwarf ein paar Bilder, von denen aber nur eines zur Ausführung kam; denn bald wurde diese Arbeit unterbrochen durch den Auftrag, ein Reiterportrait des Prinzen Karl von Bayern zu malen. Dieser stand damals in der Blüthe des Jünglingsalters, war ein guter Reiter und zu Pferd eine schöne Erscheinung. Mit großer Freude ging ich an die Ausführung dieses Bildes. Diesem folgte ein zweites Reiterportrait des in der Schlacht bei Borodino verwundeten und zu Moshaisk gestorbenen Barons Karl von Zweibrücken. Nicht ohne Wehmuth ging ich an diese Arbeit: ich hatte eine große Anhänglichkeit an diesen meinen frühern Beschützer, der seine Heldenlaufbahn so frühe enden mußte.

Eine größere Arbeit konnte ich ungewiß über meine künftige Stellung und die Dauer meines Aufenthaltes in München nicht unternehmen: es fehlte mir zudem ein passendes Atelier und die nöthige Ruhe.

Unterdessen trafen die erschütterndsten Berichte über den unglücklichen Rückzug der Armee in München ein. Eine Trauerpost folgte der andern. Das verhängnißvolle 29. Bulletin legte ein offenes Bekenntniß vom gänzlichen Untergange der Armee ab. Es bildete einen furchtbaren Contrast zu den früheren napoleonischen Bulletins voll Bombast und Prahlerei.

Allmählig kamen die traurigen Zeugen des Unterganges zum Vorscheine: Offiziere der verschiedensten Grade und Waffengattungen kehrten in bejammernswerthestem Zustande nach München zurück und gegen das Frühjahr 1813 erreichten 1400 Bayern, vom Generale Graf Rechberg geführt, die Grenzen ihres Vaterlandes: der Rest der 30000 Mann herrlicher Truppen, die vor einem Jahre ausgezogen. Welch ein Schmerz für das treffliche Herz des guten Königs Max, welch ein Herzeleid für das ganze Land!

All dem Jammer, welcher jetzt kund wurde, konnte ich ruhig zusehen. Aber ich war stets tief ergriffen, so oft neue Trauerposten zu uns gelangten; viele mir sehr werthe Freunde hatte ich bei der Armee zurückgelassen, deren Schicksal mir nicht gleichgiltig sein konnte, und obwohl das Schlimmste, was ich hörte, mich nicht überraschte, stimmte es mich oft recht traurig, alle meine schlimmen Vermuthungen verwirklicht zu sehen. Niemand konnte sich vorstellen, wie sich das durch den verunglückten Feldzug entstandene Chaos entwickeln werde. Das aber stand bei mir fest, daß ich im Jahre 1813 nicht wieder nach Rußland werde reisen müssen, um mich bei der Armee einzufinden. Diese Ansicht war schon beinahe Ueberzeugung gewesen, als ich Moskau verließ. Was ich übrigens zu thun habe, wußte ich selbst nicht, und so verstrich das Frühjahr und ein Theil des Sommers mit unbedeutenden Arbeiten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers