Abschnitt 4

11 Moskau.


Der Straßen und aller Oertlichkeiten unkundig, durchirrte ich volle fünf Stunden Moskau, ohne einen Ausweg zu finden. Ich gerieth in ganz verschüttete Straßen, in denen zusammengestürzte Mauern, verkohltes Gebälk den Weg versperrte und ich mich gezwungen sah, umzuwenden. Es war zum Verzweifeln! Das Schlimmste war, daß ich nicht wußte, wohin der Prinz gekommen sei und welche Richtung ich auch nur annäherungsweise einzuschlagen habe, um ihn zu finden. So mußte ich nur trachten, meinen Weg nach jenen vom Brande noch verschonten Stadttheilen zu nehmen.


Beinahe die ganze Nacht hindurch begegnete mir kein menschliches Wesen: der größte Theil der Armee hatte Moskau verlassen; endlich als der Tag zu grauen anfing, stieß ich auf vereinzelte Marodeurs, die sich in den Straßen herumtrieben, sie gehörten zu der italienischen Armee, ich konnte aber keine Auskunft über das Hauptquartier von ihnen erhalten. Ich folgte ihrer Spur und traf eine Patrouille. Durch diese erfuhr ich, daß ich mich nicht weit von einer Barrière befinde, welche italienische Garden besetzt hielten. Gegen 8 Uhr Morgens kam ich bei dieser, dem heiß ersehnten Ziele, an und erfuhr dort, daß der Prinz mit Napoleon sich aus der unheimlichen Stadt nach Petrowsky, einem zwei Stunden entfernten Lustschlosse, begeben habe. Den Weg dorthin fand ich leicht, da die Straße mit Truppen belebt war.

Von einem ganz eigenen Gefühle ergriffen, holte ich tief Athem, als ich mich wieder im Freien befand und die Stadt hinter mir wußte. Später schrieb ich in mein Tagebuch: „An diese Nacht will ich denken, so lange ich lebe!“

Gerne hätte ich in Moskau meinen Wagen auf der Straße stehen lassen und wäre mit den Pferden allein weiter geritten, aber wohin mit meinem Gepäcke? Besonders lagen mir meine Zeichnungen und Portefeuilles am Herzen, die ich um keinen Preis zurücklassen wollte. Auch bedurfte ich des Wagens ja für meine Rückreise.

Der Gefahr, ein Raub der Flammen zu werden und in Moskau in Dampf, Rauch und glühendem Aschen regen zu ersticken, war ich also glücklich entgangen. Von Petrowsky aus konnte man das großartige Schauspiel des Brandes ruhig betrachten. Es war in der That ein schauerlich-schönes Bild, ein wahres Feuermeer. Man glaubte, kein Haus in der Stadt werde stehen bleiben; soweit das Auge reichte, wirbelten himmelhohe, von brennenden Stoffen genährte, rothgelbe Rauchsäulen empor. Es war, als wollte die Erde sich in Feuer auflösen. Mit jedem Tage wurde die Lage der Armee bedenklicher und trostloser. Schon fehlte es an Fourage für die Pferde, und es war vorauszusehen, daß es bald an allem fehlen würde, was zum Unterhalte einer Armee nothwendig ist.

Die gänzliche Rathlosigkeit vermehrte noch das Peinliche dieser Lage. Man trieb sich in einem stumpfen Hinbrüten herum. Ich aber wußte, was ich wollte; mein Entschluß, baldigst die Rückreise anzutreten, stand fest, obwohl auch er mir keinen frohen Blick in die Zukunft eröffnete. Leider fehlte mir noch die Bewilligung des Prinzen und jeder Tag Verzögerung erschwerte die Ausführung, aber in den letzten Tagen drängten sich so gräßliche Ereignisse auf einander, daß meine Angelegenheit nicht zur Sprache kommen konnte.

Von dem ersten Schrecken des Brandes erholte man sich in Petrowsky ein wenig, lebte in größerer Gesellschaft beisammen und konnte doch ruhig schla fen. Es bemeistert sich gleich wieder ein gewisser Leichtsinn des Soldaten, wenn er nach schlimmen Zeiten einige gute Tage erlebt. Das ist besonders bei dem Franzosen der Fall.

In Petrowsky befand sich ein schöner Park: dieser stand voll von Equipagen der Generäle und hohen Offiziere, einer Unzahl Pferde und der dazu gehörigen Dienerschaft. Für einige Tage hatte es noch das Aussehen eines napoleonischen Hauptquartiers aus glücklicheren Zeiten, es war das letzte Mal! Dem Leben dort gab recht viele Abwechslung die Menge von Gegenständen aller Art, welche aus dem brennenden Moskau herzugeschleppt worden waren. Es wurden alle möglichen Geschäfte und Handelschaften gemacht und die kostbarsten Dinge oft gegen werthlose vertauscht, je nach den Bedürfnissen. Komisch sahen die Bivouaks der Soldaten aus, sie bildeten ein Mittelding zwischen Lager und Jahrmarkt. In der Nähe des Kaisers ging es immer noch anständig her, doch in den entfernteren Lagern soll es gräßlich ausgesehen haben. Die Soldaten litten schon bedeutend Mangel an Nahrung, verwilderten, verfielen in eine gänzliche Demoralisation und zerstörten, was sie nicht brauchen konnten.

Nach dem 20. September kehrte der Kaiser in den Kreml zurück; der Brand hatte besonders in jenem Stadttheile nachgelassen. Bald darauf folgten auch wir nach Moskau. Sonderbarer Weise war um das Palais Momonoff, welches der Prinz bewohnt hatte, rund herum alles niedergebrannt, dieses aber war völlig unversehrt. Das Haus, in dem ich gewohnt, fand ich als Schutthaufen wieder; es machte auf mich einen betrübenden Eindruck, besonders dachte ich mit schmerzlichem Gefühle der Bewohner, die sich mir so liebreich erwiesen und von denen ich nichts mehr sah noch hörte.

Hier in Moskau entschied sich endlich mein Schicksal; ich erhielt Urlaub, 50 Louisd’or Reisegeld und eine Marschroute auf Quartier und Verpflegung. Ungesäumt rüstete ich mich nun zur Abreise. Es war das Werk meines Freundes de Saive, der den Prinzen günstig für mich zu gewinnen wußte, obwohl er nicht gerne einwilligte.

Das Erste war, daß ich den alten Thierarzt aufsuchte, mit dem ich von München bis Bayreuth reiste. Ich fragte ihn, ob er den Muth habe, mit mir diese Rückreise zu unternehmen. „Mit Ihnen gehe ich bis an das Ende der Welt!“ war seine Antwort. Sodann engagirte ich einen jungen Polen als Diener, der russisch, deutsch und französisch sprach. Zwei gute Reisepferde, welche ich noch besaß, wurden eingefahren. Das Einpacken nahm wenig Zeit in Anspruch, denn im Kriege ist man immer marschfertig.

Mit Proviant versah ich mich nach Möglichkeit: vor allem versorgte ich mich mit Brod, Schinken, geräuchertem Fleische, Käse, Reis u.s.w. Auch mit Getränken, Rum und verschiedenem Branntwein wurde ich versorgt. Einen guten Pelz und andere kleine Fahrnisse hatte ich schon früher gegen billigen Preis erstanden. Ich bezahlte alles. Mit reinen Händen verließ ich Moskau, obwohl es mir nicht an Gelegenheit fehlte, Schätze zu sammeln.

Deutsche Kaufleute, welche in Moskau wohnten und, ich weiß nicht wie, von mir und meiner Rückreise etwas in Erfahrung gebracht, suchten mich auf und drückten den Wunsch aus, mit mir zu reisen. Sie baten dringend, nur noch einen Tag zuzuwarten, bis sie ihre Sachen gepackt und geordnet hätten. Sehr ungern sagte ich zu, es drängte mich, bald weiter zu kommen. Auch war mir nicht sonderlich um eine Reisegesellschaft zu thun, ich knüpfte mein Glück nie gerne an das Anderer und bestand Gefahren gern allein. Indessen gab ich hier nach, weil sie gar so dringend baten.

Den Abend vor der Abreise brachte ich in Gesellschaft dieser Leute in ihrer Wohnung zu. Es waren zwei artige Familien mit Frauen und Kindern. Bei einem kleinen Souper und einem guten Glas Punsch trank man sich für die Reise zu, sprach viel und wurde zuletzt fast heiter. Die Damen zeigten sich recht liebenswürdig, aber der Muth hielt nicht vier undzwanzig Stunden aus.

Der Abschied wurde mir nicht so leicht, als ich anfangs geglaubt, besonders von meinem treuen Freunde de Saive und von so manchen andern wackern Kameraden. Dem Prinzen Eugen war ich stets sehr anhänglich und die Trennung fiel mir auch deßhalb schwer. Der Gedanke: „Was soll aus diesen Leuten werden? Wann, wo und wie werden wir uns wiedersehen?“ hatte etwas sehr Ernstes. Die fünf jungen Leute aus dem königl. bayerischen Marstalle, die mit mir aus München abgegangen, kamen an meinen Wagen, als ich eben im Wegfahren begriffen war; sie wollten alle mit mir gehen, aber ich konnte und durfte sie nicht mitnehmen. Sie küßten mir die Hände und weinten bitterlich, baten mich, dem Oberststallmeister, ihren Vorgesetzten, Eltern und Freunden ihre Ergebenheit und Dankbarkeit auszudrücken. Sie machten mir zuletzt das Herz noch sehr schwer. Von ihnen kam keiner mehr in sein Vaterland zurück. Endlich hatte ich mich muthig von allem losgerissen und den Tag meiner Abreise unabänderlich festgesetzt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers