Abschnitt 3

11 Moskau.


Unter allen diesen entmuthigenden Verhältnissen behielten meine Nerven immer noch eine gewisse Spannkraft. Nachdem ich drei bis vier Tage alles hier Vorgegangene vor meinem Geiste vorüberziehen ließ, ging ich in einer Nacht, in Nachdenken versunken, lange Zeit in meinem Zimmer auf und ab, setzte mich dann auf die Fensterbrüstung mit über einander geschlagenen Armen und ließ die Füße zum Fenster hinaushängen. In dieser Stellung blickte ich lange Zeit in die Flammen hinein, die allmählig dem Quartiere, in dem wir wohnten, immer näher kamen. Der Brand hatte in dieser Nacht eine wahrhaft furchtbare Ausdehnung erreicht, soweit das Auge sah, erblickte man nichts als Flammen, als wollte die Welt in Feuer sich auflösen. Vor mir, eine kleine Viertelstunde entfernt, lag eine prachtvolle Kirche mit einer großen und vier kleineren Kuppeln und vergoldeten Dächern. Während ich sie vor Augen hatte und bedachte, daß auch dieser Tempel in wenigen Stunden von den gierigen Flammen verzehrt sein werde, erfaßte mich darüber ein wahres Herzeleid und der Entschluß reifte in mir, nicht länger Zeuge dieser Greuel zu sein. Noch einmal rekapitulirte ich von dem Augenblick an, wo ich München verließ, bis zu dieser verhängnißvollen Nacht alles Gesehene und Erlebte.


„Was machst du noch hier?“ begann ich zu mir selbst, „du bist ein Glied eines Körpers, der sich in einem abschreckenden Zustande befindet, von dem es besser wäre, die Welt zöge einen Schleier über ihn und ließe ihn in ewige Vergessenheit versinken, anstatt ihn durch bildliche Darstellung der Nachwelt zu überliefern. Was kannst du hier noch nützen? Du hast deiner Ehre, deiner Pflicht Genüge geleistet, reiße dich los, der Zeitpunkt ist da, zu sagen: Bis hieher und nicht weiter!“ So wurde es mir klar, daß meines Bleibens bei der Armee nicht mehr sei; das und nicht die Furcht vor neuen Beschwerden und Gefahren, welche die Armee erwarteten, brachte mich zu dem Vorsatze, um jeden Preis heimzukehren. Die Gründe, die mich dazu veranlaßten, waren moralischer Natur, sonst hätte ich nie den Muth gehabt, allein die Heimkehr durch ein feindliches Land zu unternehmen, noch die Kraft, mit solch eiserner Consequenz diesen Vorsatz auszuführen.

Ich überdachte die Möglichkeit der Ausführung, sowie die Hindernisse, Gefahren und Beschwerden, welche mir in den Weg treten würden. Nicht leichtsinnig that ich diesen Schritt, er war reiflich erwogen.

Als mir bei Borodino der Stallmeister Allemagna begegnete und nicht begreifen wollte, daß ein Künstler und freier Mann wie ich ein solches Leben mitmachen möge, gab ich wenig Gewicht auf seine Worte, aber jetzt legte ich den Künstler in die Wagschale und fühlte, daß ich auch dann, wenn die Sonne des Hofes mich nicht mehr beschiene, etwas in der Welt sein oder werden könne. Militärische Verpflichtung hatte ich nicht; mein Engagement bei Prinz Eugen war an keine bestimmte Zeit gebunden. Ich beschloß, wenn ich keinen Urlaub bekäme, meine Stellung ganz aufzugeben. Dem Wegkommen stand daher meiner Ansicht nach wenig im Wege, desto mehr aber dem Heimkommen.

Daß ich in dieser Nacht wenig geschlafen, ist leicht begreiflich. Schon früh begab ich mich am folgenden Morgen in das Palais Momonoff. Unterwegs begegnete mir mein erprobter Freund de Saive. Mit seinen großen schwarzen Augen blickte er mich fest an und fragte: „Was geht in Ihnen vor, ich bemerke nicht die Ruhe, die ich sonst an Ihnen gewöhnt bin.“ – „In der That, ich habe etwas Ernstes vor,“ lautete meine Antwort. „Ich glaube es zu errathen, Sie gehen,“ erwiderte er, „das sieht Ihnen ähnlich; aufrichtig gesagt, ich würde dasselbe thun, wenn die Soldatenehre es gestattete. Aber ich bitte keine Uebereilung! Wie wollen Sie es anfangen, um loszukommen? Der Prinz wird ungerne oder gar nicht einwilligen!“– „Das kann an meinem Entschlusse nichts ändern,“ entgegnete ich, „er steht fest und ist reiflich erwogen. Ich habe meiner Ehre Genüge gethan, ich habe in den Schlachten ge zeigt, daß ich Muth besitze, ich habe alle Beschwerden des Krieges ohne Murren erduldet, aber vor diesem wüsten Treiben hier graut mir, und bei dem, was kommen wird, bedarf es keines Malers. Im nächsten Frühjahre, wenn anders die Armee noch in Rußland ist, bin ich bereit, wieder zu kommen. Der Prinz ist nicht unbillig, vielleicht entläßt er mich in Gnaden, was ich sehnlichst wünsche.“ – „Kommen Sie mit in das Palais,“ sagte de Saive, „wir wollen dort mit einander reiflich überlegen, wie die Sache anzugreifen ist; ich werde Sie sehr vermissen, wenn Sie uns verlassen, aber ich kann Ihren Entschluß nicht mißbilligen, doch graut mir vor dessen Ausführung und den damit verbundenen Gefahren. Die Kosaken streifen schon allenthalben im Rücken der Armee, es gehen täglich betrübende Rapporte darüber ein, und ich gestehe, ich möchte lieber von einer Kugel tödtlich getroffen werden, als diesen Barbaren in die Hände fallen.“ Unter solchen Reden gelangten wir in das Palais Momonoff, und hier beschlossen wir, daß de Saive den ersten günstigen Augenblick benützen solle, den Prinzen für meinen Entschluß zu stimmen. Der Tag verging, wie die vorhergehenden, unter den Schrecknissen des Brandes, der nun unserem Stadtviertel immer näher rückte. Oftmals drehte sich der Wind, und man schöpfte dann Hoffnung, dieser oder jener Stadttheil werde verschont bleiben, aber vergebens, das rasende Element tobte fort und brach immer aufs neue wieder aus.

Abends erließ der Prinz den Befehl: alle Wagen sollten bepackt und eingespannt, alle Reitpferde gesattelt werden, die Dienerschaft dabei stehen und alles im Hofe des Palais Momonoff und vor demselben auf der Straße die weiteren Befehle abwarten, um auf das erste Zeichen Moskau verlassen zu können. So standen wir in gespannter Erwartung von Abends 8 Uhr bis Mitternacht in recht widerwärtiger Lage: der Wind trieb Rauch und glühende Asche durch die Straße, die Pferde wurden darob unruhig und wollten nicht mehr stehen, besonders die meinigen, welche ich erst Tags zuvor zum erstenmale eingespannt hatte. Ich fand mich deßhalb veranlaßt, mit meiner Equipage in mein nahe gelegenes Quartier zu gehen, gab einem zuverlässigen Menschen den Auftrag, mich in Kenntniß zu setzen, wenn Befehl zum Ausmarsch käme, ließ den Diener bei der Equipage im Hofe stehen und begab mich auf mein Zimmer. Von der verflossenen Nacht sehr ermüdet, setzte ich mich auf den Divan und schlief gegen meine Absicht ein, denn es sah alles ringsum sehr bedrohlich aus.

Ich hatte es mir zur Aufgabe gemacht, den Russen, der mich in meinem Quartiere bediente, freundlich zu behandeln. So gab ich ihm die Reste der Speisen, welche mir aufgetragen wurden. Anfangs kostete es Mühe, ihn zu bewegen, diese anzunehmen, er gab mir zu verstehen, daß er Prügel bekäme, zuletzt aber wurde er zutraulich und bewies große Anhänglichkeit an mich. Diesem Russen verdanke ich mein Leben. Ohne ihn wäre ich in der unglücklichen Nacht verbrannt. Ich schlief so fest, daß ich von dem ungeheuren Lärmen und Geschrei, das im Hause entstand, weil es vom Feuer ergriffen war, nichts hörte. Gegen 3 Uhr Morgens stürzte mein russischer Diener wie ein Verzweifelter in mein Zimmer. Das Haus stand bereits in hellen Flammen; ich erstickte fast, als ich die Treppe hinabeilte. Mit wildem Brausen wölbte sich eine Feuersäule über dem Hofe und überschüttete mich mit glühenden Funken. Mein eigener Diener war indessen mit meiner Equipage davon gefahren; dieser christliche Venetianer hätte mich ganz getrost verbrennen lassen.

Noch ganz von Schrecken betäubt, lief ich in den Straßen herum. Mein erster Weg führte mich in das Palais Momonoff, es war leer. Der Prinz und sein Gefolge hatten also Moskau verlassen. Wohin nun? Gedankenlos durchirrte ich einige Straßen, als ich plötzlich meinen Wagen erblickte. Mein sauberer Diener war eben im Begriffe, die Pferde auszuspannen, mit denen er den Wagen nicht weiter fortbringen konnte. Zornentbrannt rannte ich mit bloßem Degen auf ihn zu und würde ihm denselben auch durch den Leib ge rannt haben, hätte er nicht eiligst die Flucht ergriffen.

Da stand ich nun ganz allein mitten in dem brennenden Moskau und balgte mich mit zwei Pferden herum, die durch das Feuer, das ungewohnte Einspannen in einen Wagen, besonders aber durch die rohe Behandlung meines Dieners ganz scheu und wild geworden waren. Endlich fiel mir ein, eines der Pferde zu satteln und wie ein Reitpferd zu zäumen, setzte mich auf und brachte mit Hilfe der Sporen und der Faust die Pferde etwas zum Gehorsam, aber noch lange zerrte das eine rechts, das andere links oder versuchte umzukehren.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers