Abschnitt 2

11 Moskau.


So ging alles gut und ich hoffte, hier nach so vielen Strapazen einiger Ruhe zu pflegen. Aber diese Herrlichkeit sollte nicht lange dauern. Denn schon im Laufe des ersten Tages begann es in einem entfernten Stadttheile zu brennen, und während der Nacht nahm das Feuer rasch und auf eine bedrohliche Weise zu. Mein Hauswirth (oder wer er sonst war) kam auf mein Zimmer und rang die Hände; er fragte mich, nach dem Feuer deutend, ob das die Russen oder Franzosen gethan. Ich konnte ihm natürlich darauf nicht antworten, aber ich war von dieser Scene tief ergriffen und das Weinen stand mir nahe. Ich legte mich auf einen guten Schlafdivan nieder und bald ergoß Morpheus seinen erquickenden Balsam über mich. Gestärkt erwachte ich nach sechs Stunden, als bereits der Morgen dämmerte und mir neue Schrecken zeigte.


Die Disciplin und Ordnung, welche bisher nur noch mühevoll eingehalten worden, ging rasch in Demoralisation über. Napoleon hatte zwar ein strenges Verbot gegen das Plündern erlassen, das sich aber gänzlich unausführbar erwies. Anfangs war es nur Gesindel: Marodeurs, Dienerschaft und die Masse von Leuten, die einer solchen Armee nachziehen, welche zugriffen, und da man viele Lebensmittel und Ge tränke fand, so fehlte es nicht an Excessen und Brutalitäten. Nach und nach ging das aber auch auf die Soldaten über und wurde allgemein. Wer wollte auch unter den obwaltenden Verhältnissen in dem brennenden, so weit ausgedehnten Moskau den Soldaten überwachen! Moskau war das Ziel seiner Hoffnungen, hier hatte er den Lohn für seine riesenhaften Anstrengungen erwartet, er fand ihn nicht und nahm sich ihn nun selbst, so gut er konnte. Man sah auf den Straßen die wunderlichsten Scenen. Anfangs suchte man nach brauchbaren Dingen, viele aber beluden sich wie Lastthiere mit Gegenständen, die sie voraussichtlich nicht mit sich fortschaffen konnten. Mein eigener Diener schleppte mit einem Kameraden eine Menge Colonialwaaren, Tücher, Luxusgegenstände aller Art zusammen. Dies alles lag im Hofe des Hauses, das ich bewohnte, aufgehäuft. Ich war ganz empört darüber, konnte aber nichts dagegen thun, wenn ich mich nicht von meinem eigenen Diener mißhandeln lassen wollte. Alles war betrunken und in der größten Aufregung.

Zu diesem wüsten Treiben gesellte sich das Toben und Brausen des rasch zunehmenden Feuermeers. Keine Feder, kein Pinsel sind im Stande, das tobende Element zu schildern. Der Ton, den es erregte, kann nur mit dem Brausen eines ungeheuren Wasserfalles verglichen werden, in dessen Nähe man ganz betäubt wird. Dazu denke man sich die verschiedenen Farben der Flammen, je nach den Stoffen, die sie verzehrten. Die wunderlich gestalteten und gefärbten himmelansteigenden Rauchsäulen, die öfters die Luft verdüsterten: das alles bot ein schauerlich-schönes Schauspiel. Winzig klein fühlt sich der Mensch, wenn die Elemente, sei es nun Luft, Wasser oder Feuer, in ihrer Wuth sich ihm zeigen.

Durch Löschen dem Feuer Einhalt zu thun, daran war nicht zu denken: es hatte zu schnell eine riesenhafte Ausdehnung bekommen und in kurzer Zeit ganze Stadtviertel in Asche gelegt. Wenn das Feuer auch auf einer Seite nachließ, so brach es auf einer andern desto wüthender los. Man konnte nur zu deutlich erkennen, daß der Brand planmäßig geleitet war.

Sinnend und bewundernd trieb ich mich in den Straßen umher, aber zu zeichnen war ich nicht im Stande; in der Schlacht und bei größter Gefahr verließ mich nie die nöthige Ruhe; aber hier wurde man von den Ereignissen überwältigt. Ein Eindruck verdrängte den andern, keinen konnte man lange festhalten. Später habe ich es oft bitter bereut, nicht wenigstens einige Striche gemacht zu haben: sie wären ganz unschätzbar gewesen.

Der Zufall führte mich in die Nähe des Bazars. Hier ging es wie auf einem großen Jahrmarkt zu, und wäre die Sache nicht gar zu ernst gewesen, man hätte Stoff zum Lachen gehabt. Alle nur erdenklichen Ge genstände des Handels und der Industrie wurden in der größten Eile herausgeschleppt und geworfen. Jeder suchte dem andern zuvorzukommen. Eine ungeheure Reihe von Wagenremisen, voll der schönsten neugefertigten Wagen und alle möglichen Produkte der Wagenfabrikation war ebenfalls Schauplatz des lebendigsten Treibens. Offiziere und Generäle versahen sich hier mit den schönsten neuen Wagen; selbst für das Haus des Prinzen Eugen wurden einige requirirt. Das Feuer war schon ganz in der Nähe der Remisen, und es war vorauszusehen, daß alles ein Raub der Flammen werde, was wohl ein Grund der Entschuldigung für diese Plünderung sein mochte.

Auf der Straße wurde ich von einem bekannten General aufgehalten mit den Worten: „Venez, Mr. Adam, il faut faire le voleur des tableaux!“ Er führte mich in ein Palais, in dem eine sehr schöne kleine Gallerie von mitunter werthvollen Bildern und auch plastische Werke sich befanden, über die ich mein Gutachten abgeben sollte. Ich blieb vor wie nach bei diesem Treiben bloß ein müßiger Zuschauer. Auch hier konnte ich es nicht über mich bringen, mir auch nur das Kleinste anzueignen, so verletzend für mein ganzes Zartgefühl war alles, was ich sah und was um mich her vorging. Ich wollte meine Hände rein halten von fremdem Gute, selbst da, wo vorauszusehen war, daß es ein Raub der Flammen wird; ob bloß aus Laune, Stolz oder übertriebener Gewissenhaftigkeit, kann ich nicht sagen, ich wurde von andern sogar deßhalb getadelt, aber das Treiben in Moskau widerstrebte meiner ganzen Natur. 1)

Mehrere Tage sah ich all diesen Dingen mit großer Beklommenheit und ernstem Nachdenken zu. Ich kann nicht läugnen, daß ich schon während dieses ganzen Krieges eine gewisse Achtung vor den Russen als Nation im ganzen gewonnen hatte. Einzelnheiten zählen hier nicht. Das Landvolk fand ich, soweit ich mit demselben in Berührung kam, gutmüthig, die Soldaten tapfer und die schreckliche Aufopferung von Moskau schien mir etwas Großes. Ganz entgegengesetzte Eindrücke machte auf mich Polen; alles, was ich dort sah und hörte, war nicht geeignet, mir Sympathie für die polnische Nation einzuflößen. Uebrigens kann hier natürlich nur von den Eindrücken die Rede sein, welche ich empfand, als wir dieses Land durchzogen, und diese reichen nicht hin, um ein competentes Urtheil über dasselbe zu fällen.

Bei der Armee, besonders unter den Offizieren, herrschte völlige Rathlosigkeit. „Was wird Napoleon jetzt beginnen? Was soll nun werden? Wo und wie den Winter zubringen?“ Das waren Fragen, die einer an den andern richtete. Man konnte darüber die confusesten Meinungen und Voraussetzungen hören, so daß einmal ein sonst leidlich verständiger Mann äu ßerte, die ganze Armee werde auf Schlitten nach Petersburg gehen. Und das war keine Ironie, sondern bitterer Ernst. Die Mehrzahl befand sich in einem Zustande von Apathie, in welchem man nicht wußte, was zu beginnen sei, und man ist zu glauben versucht, auch Napoleon sei lange unschlüssig gewesen. Wie hätte er sonst fünf Wochen in dem verbrannten Moskau bleiben und den Winter abwarten können?

Die prachtvolle, tapfere Armee hatte ich so oft in ihrem Glanze gesehen und auf ihrer Siegesbahn begleitet; sie in ihrem jetzigen Zustande der Auflösung und einem noch jammervolleren entgegeneilen zu sehen, erregte in mir tiefen Schmerz. Es ist wahr, wir Deutsche hatten als Nation keine Ursache, sie besonders zu lieben, aber es waren in ihrer Mitte viele brave Männer, die an größere, längst vergangene Zeiten erinnerten, denen die Welt ihre Bewunderung nicht versagen konnte. Es ist immer traurig, einen Mann, der einst groß und glücklich war, in einem elenden verkommenen Zustande zu erblicken, um wie viel mehr werden solche Eindrücke erhöht, wenn wir einen ganzen, großen Körper auf solche Weise zu Grunde gehen sehen!

Ich hatte mir stets ein redliches und gutgesinntes deutsches Herz bewahrt, aber die Politik bei Seite gesetzt und als Mensch dem Menschen gegenüber fühlte ich die regste Theilnahme mit der Armee. Es waren zudem nicht lauter Franzosen, Tausende deutscher Brüder mußten deren Loos theilen.




1) Nur ein Bild nahm Adam von Moskau fort, getrieben von religiöser Achtung: eine künstlerisch ganz unbedeutende Madonna, die er aber nicht den Flammen zur Beute lassen wollte. Dieses Bild ist noch im Besitze der Familie.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers