Abschnitt 1

11 Moskau.


Tags darauf setzten wir unsern Marsch nach Moskau ungestört fort. Der Weg führte durch ein Hügelland, mitunter recht romantische Gegenden, an hübschen Landhäusern vorbei. Die zunehmende Kultur deutete darauf hin, daß wir uns der Hauptstadt näherten. Am 14. September Abends lag sie vor unsern Augen.


Ungefähr eine kleine deutsche Meile vor Moskau kamen wir auf einer eigenthümlich geformten, nach rückwärts mit Schluchten und schlechten hölzernen Häusern umgebenen, beträchtlichen Anhöhe an. Diese bestieg der Prinz mit seinem Gefolge. Wer kann den Eindruck schildern, als die ganze ungeheure Czarenstadt mit ihren unzähligen Thürmen, Kirchen und vergoldeten Kuppeln vor unsern Blicken sich ausbreitete! Der Himmel that sich, nachdem er den ganzen Tag mit grauen Wolken bedeckt gewesen, am Abende auf und die goldenen Kuppeln und das große Kreuz, das den Kreml zierte, warfen die Strahlen der Abendsonne zurück, die das Zauberbild verklärte. Endlich lag das lang ersehnte Ziel vor uns! mir pochte das Herz bei dem Gedanken: „Morgen schon werden wir dort einziehen!“

Unwillkürlich fielen mir die Kreuzfahrer ein, so oder ähnlich, dachte ich, muß es diesen zu Muthe gewesen sein.

Zwar stieg schon am äußersten Ostende der Stadt, das der Saum eines Waldes bedeckte, eine ungeheure Rauchsäule himmelhoch empor; aber man tröstete sich damit, daß es wahrscheinlich ein Magazin sei, das der Feind in Brand gesteckt. Daß wir das Grab von Napoleons Herrlichkeit vor uns sehen und Moskau bald als Aschenhaufen verlassen müßten, daran dachte Niemand.

Die Avantgarde des 4. Armeecorps hatte indessen die Moskwa theilweise überschritten und stellte sich auf beiden Ufern dieses Flusses auf. Die Artillerie und Cavallerie wurde weiter gegen die Stadt vorgeschoben. Diese Aufstellung, die wir von unserer Anhöhe herab weithin wahrnehmen konnten und zu der die immense Stadt einen herrlichen Hintergrund bildete, gewährte einen sehr schönen Anblick. Es war das letzte Mal, daß ich diese Truppen in militärischer Ordnung als einen geregelten Körper aufgestellt sah.

Ueber die Moskwa führte auf unserem Standorte keine Brücke, da aber der Fluß bei der anhaltend trockenen Witterung wenig Tiefe hatte, so durchritten wir ihn ohne Anstand.

Einer der größten Bewunderer Napoleons, der alte Leibarzt Assalini, sagte, als wir so dahinritten: „Seht doch dieses milde Wetter, welches wir jetzt wieder haben, die Elemente selbst begünstigen den großen Mann und sind uns eine schöne Vorbedeutung!“ – „Ja,“ dachte ich, „wenn dieses Wetter ihm nur nicht zur Falle wird, der Winter kann kommen, ehe man daran denkt!“

Der Prinz bezog in einem elenden Dorfe, etwa eine Stunde vor der Stadt, sein Quartier und wartete, bis vom Kaiser der Befehl zum Einzuge in Moskau kam.

Der 15. September war der Tag, an dem wir die unheilvolle Stadt betraten. Frühzeitig setzte sich alles, voll Erwartung, so gut geordnet als möglich, in Bewegung. Ohne Widerstand zogen wir in Moskau ein. Aber welch ein Einzug war das! Es kam mir vor, als wenn gute Schauspieler vor einem ganz leeren Hause spielen müßten! Die Straßen standen menschenleer und verödet, die Häuser wie ausgestorben, eine wahrhaft unheimliche Stille herrschte in der Stadt, nur unterbrochen vom Tritt der Pferde; die Trommeln und Trompeten widerhallten in den öden Straßen: Offiziere und Soldaten sahen einander fragend, kopfschüttelnd und mit bedenklichen Mienen an. Welch ein Contrast zu den pomphaften Einzügen derselben Armee in den Hauptstädten Deutschlands, Italiens, Spaniens? Zahllose Neugierige füllten dort die Straßen und bewunderten die Fremdlinge, selbst das schöne Geschlecht war nicht selten dabei vertreten. Aber dieser Einzug in verödete Mauern war etwas völlig Neues. Jetzt fielen jedem die Schuppen von den Augen: man schauderte vor der Consequenz zurück, mit der die Russen den fanatischen Plan des Feldzugs durchgeführt. Man verlegte sich aufs Schimpfen, sprach viel von Barbarismus, aber die Franzosen hatten die Russen nie für etwas anderes, als Barbaren gehalten. Wie konnte man sich also wundern, daß sie zu solchen Mitteln griffen!

In Wien oder Berlin freilich wäre eine solche Maßregel nicht durchzuführen gewesen, das war nur bei einer Bevölkerung möglich, in der die Religion noch tief wurzelt und die eben deßhalb mit festen Banden an den Thron gekettet ist.

Es klingt vielleicht sonderbar, wenn ich gestehe, daß diese Oede der Stadt mich gar nicht erschütterte, sie überraschte mich nicht, ich hatte nichts anderes erwartet! Als stiller Beobachter folgte ich bis hieher dem merkwürdigen Heereszuge; ich hatte alles, was ich sah und hörte, ernstem Nachdenken unterworfen, oft scheinbar unbedeutende Dinge zusammengestellt, und so kam es, daß ich vieles voraussah, was andern entging, oder was sie nicht sehen wollten. Meine Jugend kam mir hiebei gut zu statten; was mir an Erfahrung mangelte, ersetzte eine große lebendige Geistesfrische, ich sah mit unbefangenem Auge und darum helle.

Langsam und still bewegte sich der Zug der Trup pen durch die unendlich langen Straßen, bis wir in die schöne S. Petersburger-Straße gelangten, wo der Prinz im schönen Palaste des Fürsten Momonoff abstieg. Das einzige, was die Aufmerksamkeit der Truppen erregte und von ihren trüben Gedanken ablenkte, war die wunderliche und fremdartige Bauart der Stadt; aber trotzdem hängte sich das bittere Gefühl, in einen verlassenen Ort einzuziehen und die schönsten Hoffnungen vernichtet zu sehen, einem jeden wie Blei an die Füße und hemmte den Flug der Begeisterung.

Der Palast, den Prinz Eugen bezogen, war wahrhaft prachtvoll eingerichtet, eine Menge werthvoller Luxusgegenstände, welche leicht wegzubringen gewesen wären, fanden sich in den Zimmern vor, es hatte fast das Ansehen, als sei es mit Absicht geschehen.

Eine Eigenthümlichkeit in den Straßenanlagen Moskaus war es, daß zwischen den schönsten Palästen sich oft ganz unansehnliche hölzerne Bauten befanden. Sie waren meistens nur ein Erdgeschoß hoch und hatten einen umzäunten, mit einem großen Thore versehenen Hofraum. In einem dieser Häuser nahe bei dem Palaste Momonoff logirte ich mich mit meinen Pferden ein. Schon hatte ich angefangen, mich für einen längern Aufenthalt ein wenig einzurichten, als mein Diener athemlos gelaufen kam und mir meldete, er habe nicht weit von hier in einer Seitenstraße ein sehr schönes Haus aufgefunden, in welchem die Be wohner anwesend seien und das noch von Niemanden besetzt sei; ich möchte mich beeilen, dort Quartier zu nehmen. Unverzüglich ging ich dorthin und fand eine sehr schöne Wohnung. Es war ein aus Stein erbautes, geräumiges Haus mit einem großen Hofraum und einer Stallung für acht Pferde. Das Innere entsprach dem Aeußern. Die Zimmer waren sehr schön eingerichtet und zeugten von Wohlhabenheit. Am Eingange empfing mich ein sehr großer Mann mit langem, sehr schönem Vollbarte und ganz schwarzem Rock, der bis auf die Knöchel herabfiel. Ich wußte nicht recht, was ich aus ihm machen sollte. Sein ganzes Aussehen wie sein Benehmen hatte etwas Würdiges und Vertrauenerregendes. Ich war versucht, ihn für einen Priester zu halten. Außer ihm und einigen Dienern sah ich keine Bewohner, nur ein paar junge, hübsche Mädchen huschten wie scheue Rehe von einem Gemache ins andere, wenn sie mich von ferne erblickten.

Man führte mich in ein sehr gut eingerichtetes Gemach; eine ganze Garnitur Flaschen mit verschiedenen Getränken wurde auf einem Pfeilertische aufgestellt und mir bedeutet, mich derselben nach Belieben zu bedienen. Ebenso gut war die Versorgung mit Speisen, auch bekam ich einen eigenen Diener. Dieser stand, wenn er eine Schüssel bei Tische aufgetragen, in ungemein demüthiger Stellung mit über einander gekreuzten Armen an der Thüre, eilte aber rasch her bei, wenn ich die leiseste Andeutung machte, etwas zu wollen, oder rückte rasch den Stuhl hinweg, wenn ich aufzustehen im Begriffe war.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers