Abschnitt 2

05 Mailand.


Ich wußte im ersten Augenblicke nicht recht, was ich aus diesem Geschöpfe machen sollte; die ganze Erscheinung war mir zu neu, ich hatte noch nie ein ähnliches Wesen gesehen. Es lag beinahe etwas Wildes darin und doch fesselte sie mich. Ich fühlte mich eigenthümlich ergriffen, als flüsterte mir ein guter Geist in die Ohren: Mach, daß du weiter kommst, hier ist Gefahr. Obwohl noch sehr jung, so war doch schon manche Erfahrung an mir vorübergegangen, wie leicht es sei, seine Freiheit zu verlieren; kein Wunder, daß ich etwas Mißtrauen gegen mich selbst faßte. Großen Eindruck hatte sie auf mich gemacht, das konnte ich mir nicht verbergen, und es wollte mir fast vorkommen, als sei mein Erscheinen auch ihr nicht gleichgültig, was mir Bedenken erregte. Hätte ich nach dieser ersten Begegnung mich langsam von den Besuchen in dieser Familie zurückgezogen, so wäre es nichts als eine reizende Erscheinung gewesen, wie sie uns im Leben öfter vorkommen und Auge und Herz erfreuen, aber ich fand keinen genügenden Grund, diesem Hause, in welchem ich so freundlich aufgenommen worden, plötzlich den Rücken zu kehren und setzte meine Besuche fort, benahm mich sehr unbefangen und vermied sorgfältig alles, um keine größere Annäherung herbeizuführen. Indessen hielt ich es der Mühe werth, diesen wunderlichen Charakter etwas näher zu betrachten und fand im Laufe der Zeit eine so große Verschiedenheit der Neigungen und Individualitäten zwischen uns, daß manches Bedenken schwand. Es schien mir nicht denkbar, daß in dem Herzen dieses Wesens eine tiefere Neigung zu mir Platz finden könnte.


Dieser kleine Wildfang von einem Mädchen hieß Magdalena und war 17 Jahre alt. Viele Freier hatten sich um ihre Hand beworben und bewarben sich noch, als ich sie kennen lernte, aber keinem gelang es, ihr eine ernste Neigung einzuflößen; ich war daher um so weniger versucht, die Zahl ihrer Anbeter zu vermehren, ich kam und ging, wie einer, der nichts sucht, nichts will und nichts bietet. Sie tändelte, scherzte, lachte, ließ sich kleine schuldlose Attentionen gefallen und belustigte sich über ihre Courmacher, aber alles was ich sah und hörte, bewegte sich in den Grenzen des Anstandes. Große Lebensfrische und Heiterkeit zeigte sich in allem, was sie that, und eine angeborne Naivetät und kleine Coquetterie kleidete sie gut und machte sie für jeden Mann, der sich ihr näherte, reizend und anziehend; aber neben diesen Eigenschaften nahmen häusliche Tugend, fromme Sitte und fest begründete Begriffe von Treue und Redlichkeit Platz. In ihrem Frohsinn überließ sie sich öfters dem Muthwillen. Sie wußte, daß sie sich selbst trauen durfte; ihr starkes Herz schützte sie bis daher vor Gefahren, welche oft sentimentalen schwärmerischen Mädchen drohen.

Durch mehrere Monate hielt sich dieses Verhältniß in den Grenzen des gewöhnlichen, geselligen Verkehrs, aber ihr Umgang interessirte mich schon der Originalität wegen. Es war ihr jedoch sicherlich nicht entgangen, daß ich Interesse für sie hatte; das weibliche Geschlecht hat hierin, wenn es erlaubt ist sich so auszudrücken, einen feinen Instinkt, in das Herz eines Mannes zu blicken. Zuweilen gab es kleine Differenzen zwischen uns, herbeigeführt durch die große Verschiedenheit der Charaktere und Meinungen. Der Hauptunterschied lag jedoch besonders darin, daß die Heiterkeit bei ihr sich immer nach außen kund gab und daß der Ernst und eine gewisse Tiefe des Gefühls ihr selbst kaum recht bewußt in dem Grunde eines trefflichen Herzens lag, und daß bei mir der ganz umgekehrte Fall obwaltete.

Von früher Jugend in einem gewissen Wohlstande aufgewachsen, von guten, rechtschaffenen Eltern und Geschwistern und Allen, die sie kannten, geliebt und geachtet, von der Natur mit körperlichen Reizen und schönen Anlagen ausgestattet und in der vollsten Blü the der Jugend und Gesundheit, wie sollte da der Ernst zum Vorscheine kommen? Wie ganz anders war es mit mir! Bis zum neunten Jahre lebte auch ich in leidlich guten Verhältnissen, von da an aber wuchs ich in Armuth und Entbehrungen auf, alles, was ich erstrebt und erreicht hatte, konnte ich nur durch die größten Anstrengungen erringen. Ich mußte sehr frühzeitig mich in andere Menschen und in alle Lebensverhältnisse fügen lernen, was meinem ganzen Charakter, äußerlich wenigstens, etwas sehr Ernstes, Nachdenkendes gab. Ich hatte einen kräftigen Willen und große Selbstbeherrschung und zeigte mich selten schwach. Was ich wollte und für gut erkannte, wurde ausgeführt. Kein Vergnügen konnte mich von meinem Berufe, von einer Arbeit, oder überhaupt von einem mir vorgesteckten Ziele abhalten. Diese meine Eigenschaften, welche bisweilen in etwas Eckichtes übergingen, bereiteten meiner neuen Freundin in der Folge viele bittere Stunden und Tage und zuletzt auch mir selbst. Uebrigens waren sie mehr angeeignet als angeboren. Mit großer Lebensfrische in meinem Innern und gesund an Leib und Seele, schlug ein warmes, gefühlvolles Herz in meiner Brust, ein Herz voll Liebe zur Menschheit, voll Empfindung für alles Schöne und Gute, voll Freude an der Natur und der ganzen Schöpfung. In den gegenwärtigen Verhältnissen kehrte ich aus Grundsatz mehr die Schatten- als die Licht seiten meines Charakters heraus. Ich hatte im Verlaufe der Zeit bemerkt, daß ich vor vielen Andern bevorzugt und sehr vermißt wurde, wenn ich mich lange nicht zeigte; da ich aber niemals zu den eitlen Gecken zählte, die da glauben, wenn junge Mädchen sie freundlich anblicken, hätten sie schon ihr Herz erobert, so ließ ich mich in nichts beirren. Ich blieb derselbe vor wie nach und dachte bei mir selbst: Wenn sie mich erst ganz kennt, wird sie am Ende froh sein, wenn ihr dieser trockene deutsche Michel vom Halse bleibt. Aber ich hatte mich total verrechnet.

Wäre ich in alle Verführungskünste eingeweiht gewesen, so hätte ich keine bessere Rolle spielen können, um eine Neigung, wenn sie im Herzen eines Geschöpfes, wie dieses war, einmal Platz genommen hat, in eine glühende Leidenschaft zu verwandeln. Diese Absicht lag aber von mir ferne, ich wollte ehrlich sein und keine Erwartungen in ihr erregen, welche ich nicht zu erfüllen gesonnen war. Noch hatte ich mein dreiundzwanzigstes Jahr nicht zurückgelegt, liebte die Unabhängigkeit über alles und strebte gewaltig ins Weite und in die Welt hinaus. Krieg war die Losung der Zeit und eine solche Zeit des Heldenthums steht fast immer im Widerspruch mit dem Herde des häuslichen Glückes. Meiner Denkart nach ohnehin mehr als halb Soldat, hatte ich mich ja auch verbindlich gemacht, meinen Gebieter, den edlen Prinzen Eugen, dem ich schon sehr anhänglich geworden war, überall zu begleiten und unter diesen Verhältnissen konnte es mir nicht in den Sinn kommen, jetzt schon ein ernstes Band für das ganze Leben zu knüpfen. Je unbefangener und natürlicher ich mich jedoch gab, desto mehr schien sie angezogen. Ein zufälliges Ereigniß ließ mich auch bald klar sehen: die Stunde kam, wo dieses stolze Mädchenherz sich beugen sollte.

Gegen Ende des Faschings ließ ich mich bewegen, einem Balle beizuwohnen; es war der erste in meinem Leben. Er wurde von Kaufleuten sehr schön angeordnet. Magdalena befand sich auch mit ihrem Bruder und Verwandten unter den Geladenen. Ich sagte ungern zu, denn schon von frühester Jugend hegte ich eine wahre Abneigung gegen das Tanzen und alle Tanzplätze; die Menschen kamen mir da wie verrückt vor. Somit war ich natürlich ein müßiger, langweiliger Zuschauer; meine junge Freundin hingegen tanzte sehr gern und vorzüglich gut und graziös und bildete den Glanzpunkt bei diesem Feste. Mehrere Stunden hielt ich so aus, zog mich aber später in ein Seitenzimmer zurück, wo sich eine Bibliothek befand und saß an einem Kamine bei einer älteren Dame, welche sich viele aber ziemlich vergebliche Mühe gab, mich zu unterhalten; inzwischen zerbiß ich meine Handschuhe mit den Zähnen aus Unmuth in hundert kleine Fetzen. Ich wurde gesucht und man versprach nicht mehr zu tanzen; aber bald kamen die Versucher und baten aufs Neue um die Rückkehr in den Saal; in Kurzem war sie in einen ganzen Schwarm Tanzlustiger eingehüllt und in den Saal mitfortgezogen. Nun riß meine Geduld; mir kam das ganze Treiben ein wenig bacchantisch vor. Ich schlich mich in aller Stille davon. Als sie mich vermißte und ich nicht beim Souper erschien, wurde sie unwohl, man mußte sie nach Hause bringen und man meldete mir am folgenden Tag, daß sie krank sei und zu Bette liege.

Dieses Verhältniß hatte bis jetzt keinen nachtheiligen Einfluß auf mein Kunsttreiben und meine übrige Lebensweise gehabt. Seit ich meine neue Wohnung bezogen hatte, fing ich an, auf einer schmalen, 9 Fuß langen Leinwand ein Bild von der Schlacht bei Raab zu entwerfen, mit all dem Feuer, mit welchem man bei noch frischer Erinnerung an das Erlebte bisweilen etwas gleichsam hinzaubert. Mir war, indem ich daran malte, als befände ich mich in Mitte der Schlacht: ich glaubte die Kanonen und das Kleingewehr krachen zu hören, sah die Adjutanten hin- und herfliegen und das ganze Getümmel vor mir. Eine solche Begeisterung, mit der ein Künstler schafft, ist ein recht guter Gegensatz, um sich manches andere störend einwirkende Gefühl aus dem Sinne zu schlagen. Meiner Ansicht nach sollte der Entwurf nur als Skizze eines größern Bildes dienen, als ihn aber Prinz Eugen sah, sprach er den Wunsch aus, daß ich den Versuch machen möchte, die Leinwand anzustücken und die Skizze zu vollenden. Er meinte, daß bei einem zweiten Bilde das Geistige, das er hier sah, verloren gehen könnte. Ich kam seinem Wunsche zu seiner vollsten Zufriedenheit entgegen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers