Abschnitt 4

01 Jugendjahre.


Durch ein ganz unerwartetes Ereigniß wurde ich plötzlich aus dem bisherigen Asyle im Katharinenkloster und meinem stillen Kunsttreiben daselbst für einige Zeit herausgerissen.


An einem sehr schönen Herbstmorgen nahm ich meine Mappe unter den Arm und ging hinaus in das Freie, um nach der Natur zu zeichnen, kehrte aber bald wieder zurück, da ich keinen passenden Gegenstand fand; es war mir, als sollte ich nun einmal heute nicht Landschaften zeichnen.

Als ich gegen 10 Uhr Vormittags an der Stadtmauer ankam, welch’ wunderliche Scene stellte sich mir hier dar! Die altersgrauen, schweren Stadtthore waren fest verschlossen, auf der Brücke standen viele Menschen beisammen, welche in die Stadt wollten, und mitten darunter der Postkarren, der die Briefpost brachte. Der Postillon lag dicht am Thore, mit dem Gesichte auf der Erde, schaute bei einer Spalte hinein und rief unaufhörlich: „So laßt doch das Felleisen hinein, macht auf, das Felleisen ist da, ich muß hinein.“ Umsonst, das Thor war und blieb verschlossen.

Ich machte mich schnell daran, diese komische Scene zu zeichnen, mich unterhielt der ganze Auftritt; die Umstehenden aber starrten einander verlegen an, Einer fragte den Andern, was das zu bedeuten habe, keiner wußte einen auch nur scheinbaren Grund anzugeben. Nachdem ich mit meiner Zeichnung fertig war, ging ich weiter und nahm meinen Weg um die Stadt herum, um zu sehen, wie es mit den übrigen Thoren beschaffen sei. Alle waren verschlossen. Bei dem Spittlerthor aber klärte sich das Räthsel auf.

Eine Abtheilung der bayerischen Armee war aus dem Fränkischen vor Nürnbergs Mauern angekommen und wollte in die Stadt einziehen; allein diese damals noch freie löbliche Reichsstadt suchte, fest an ihren alten Rechten und Gebräuchen haltend, ihre Neutralität zu behaupten und verweigerte hartnäckig den Eintritt in ihre Mauern.

Dieses bayerische Corps bestand aus Infanterie, Cavallerie und Artillerie. Es hatte die Bestimmung, nach Bayern zurückzugehen, um sich mit der französischen Armee zu vereinigen, denn Bayern hatte sich inzwischen mit Napoleon zum Krieg gegen Oesterreich verbündet, was jedoch damals noch unbekannt war.

Ein Theil der Cavallerie hielt dicht vor dem Thore und war abgesessen; auch der commandirende General mit seinem Stabe kam von Fürth her dort an; da gab es viel zu sehen, was mich höchlich interessirte. Es waren die ersten bayerischen Truppen, welche ich in Masse sah. Sie machten mir einen sehr günstigen Eindruck, waren gut und zweckmäßig uniformirt, hatten eine schöne militärische Haltung, sahen wohl genährt aus und waren lustig und guter Dinge. So sehr ich sonst gewohnt war, gleich mit dem Papiere bei der Hand zu sein, um zu zeichnen, konnte ich hier vor lauter Reiz der Neuheit nichts machen; ich trieb mich den ganzen Nachmittag unermüdlich herum, während mit der Stadt über den Einlaß der Truppen fortwährend hin und her parlamentirt wurde. Endlich nahte der Abend heran und dem Commandirenden riß die Geduld; er ließ auf den Wall einige Geschütze aufführen und drohte, das Thor einzuschießen, wenn nicht geöffnet würde. Ich hielt mich dicht neben den Kanonen, das Herz pochte mir vor Begierde, es bald krachen zu hören. Es sollte aber nicht so weit kommen; um noch einmal Vorstellungen zu machen, erschienen in der alterthümlichen schwarzen Kleidung drei Magistratspersonen vor dem Generale, der sie ruhig anhörte, seine Taschenuhr herauszog und sagte: „Ich gebe Ihnen noch zehn Minuten Bedenkzeit; lassen Sie diese Frist verstreichen, so brauche ich Gewalt.“ Die Herren entfernten sich und wenige Minuten darauf knarrten die alten Thorflügel und theilten sich schwerfällig auseinander. Die Truppen zogen friedlich ein, ich mit ihnen, denn ich mußte überall dabei sein, meine Neugierde war unersättlich. Der Abend brach herein, bis alle Truppen eingezogen waren. Die Infanterie und Artillerie lagerte auf den Straßen und freien Plätzen; besser gesorgt war für die Cavallerie. Es liegt in der Stadt ein schöner großer Platz an den Ufern der Pegnitz, die Schütt genannt. Große, ehrwürdige Linden breiteten ihre Aeste weit über denselben aus. Der sehr reinliche Boden besteht theils aus Sand, theils aus Gras; ganz für ein schönes Cavallerie-Lager gemacht. Hier bivouakirten die Chevauxlegers und hieher richtete ich vor allem meine Schritte.

Eine Cavallerie, welche ein Lager bezieht, gewährt immer einen interessanten und malerischen Anblick. Der Infanterist stellt, wenn er vom Marsche ermüdet auf dem Lagerplatze ankommt, sein Gewehr in Pyramiden bei Seite und fällt, falls er recht ermüdet ist, oft da nieder, wo er gerade steht, seinen Tornister als Kopfkissen benutzend. Ganz anders verhält es sich mit der Cavallerie. Auf diese harrt immer noch ein Stück Arbeit, wenn sie an Ort und Stelle angekommen ist. Schon die Lagerstätte ist nicht gleichgültig; man bedarf eines passenden Platzes, um die Pferde in Reihen gut stellen zu können; auch soll womöglich Wasser in der Nähe sein. Ist man am Platze und abgesessen, so werden Pfähle geschlagen und durch einen langen Strick mit einander verbunden, um die Pferde anzubinden; es wird abgezäumt und abgesattelt, die Pferde mit wollenen Decken bedeckt, Sattel und Zaum ordentlich zurecht gelegt, ebenso Waffen und Helme, um sie leicht und schnell wieder bei der Hand zu haben, wenn man ihrer bedarf. Ist der Mann recht brav, so putzt er noch sein Pferd ein wenig; dann wird zur Fütterung geblasen und nach dem Habersacke gegriffen, nach dem die Pferde lange schon nach rechts und links sehnsüchtig schauen. Unartige Pferde gibt es auch hie und da, selbst bei der besten Zucht. Sie beißen nach dem Nachbarn, besonders aus Futterneid; dieser erwidert mit Schlagen, es gibt Lärm, und so herrscht reges Leben, das dann endet, wenn alle Pferde gefüttert und getränkt sind. Jetzt erst kann die Mannschaft an sich selbst denken. All das aber geschieht mit Munterkeit, wenn der Marsch nicht außergewöhnlich lange und anstrengend war. Der Cavallerist hat ja nichts während des Marsches zu tragen, er wird vielmehr getragen, während den Infanteristen sein schweres Gepäck oft beinahe zu Boden drückt, wenn der Marsch lange dauert.

Ich sah in späteren Jahren so vielfältig und oft unter den verschiedenartigsten Verhältnissen, bei Regen, Sturm, Hitze und Kälte, bei Tag und Nacht das Beziehen eines Cavallerielagers und immer interessirte es mich; damals aber gewahrte ich es zum erstenmale und zwar von seiner allerschönsten Seite. Der Platz war so günstig, als man ihn nur wünschen konnte, das Wetter herrlich, Mann und Roß von keinem langen Marsche ermüdet, die Leute mit Speise und Trank wohl verpflegt, so daß es zuletzt wahrhaft lustig herging. Um das Ganze vollkommen reizend zu machen, spendete der Vollmond magische Lichtblicke zwischen den dichtbelaubten, alten Linden hindurch auf einzelne Gruppen. Sein blaues Licht bildete einen wundervollen Contrast mit der gelbrothen Beleuchtung der Lagerfeuer, um welche die Soldaten versammelt waren und ihre Suppe kochten; oft war das Laub der Bäume oben vom Monde, unten vom Feuer beleuchtet. Es reihte sich Bild an Bild, ich war bis zur Begeisterung entzückt von allem, was ich hier sah. Gerne hätte ich recht vieles gezeichnet, aber ach! wie arm fühlte ich mich in solchen Augenblicken. Die Zeit rennt so schnell dahin! Die Gegenstände, die wir festhalten möchten, fliehen mit ihr wie Traumbilder vorüber, und am Ende müssen wir uns mit einigen armseligen, unvollkommenen Bleistiftstrichen begnügen, welche um so weniger befriedigen, je mehr wir von dem Gegenstande, welchen wir festhalten wollen, begeistert sind.

Nachdem ich mich recht im ganzen Lager umgesehen, näherte ich mich einem Feuer, das ziemlich hell brannte und von einem zahlreichen Kreise von Soldaten umlagert war, welche aus voller Kehle muntere Lieder sangen. Ein hoher Stabsoffizier, ein Mann von etwa 50 Jahren mit einem interessanten militärischen Kopfe, ruhte am Boden unter einem Baume, in einem grünen Pelzrocke, eine Mütze auf dem Haupte. Ueber den Füßen lag ein grauer, schön drapirter Mantel. Er war mit der Tabakspfeife im Munde eingeschlafen. Zunächst bei ihm stand ein schöner, großer Mann, ein Rittmeister in voller Uniform, den Helm auf dem Kopfe, die Feldbinde sehr breit über den Oberrock gebunden. Er hatte die linke Hand auf den Säbel gestützt und einen Fuß auf ein großes Scheit Holz gestemmt, welches im Feuer lag. Der Stabstrompeter mit seinem Instrumente unter dem Arme saß ebenfalls auf einigen großen Stücken Holz, den Rücken an ein großes Bierfaß gelehnt, aus welchem der Gerstensaft reichlich quoll; er sang tapfer mit und schlug den Takt mit Hand und Fuß dazu. Ein alter Wachtmeister machte den Mundschenk, der Rundtrunk ging fleißig herum, jüngere Soldaten lagen schön gruppirt am Boden: es war ein vollendet schönes Bild und in seiner ganzen Wirkung prächtig anzusehen. Ich blieb bei diesem Anblick wie gefesselt stehen, nahm Papier und Bleistift zur Hand und zeichnete noch, als die Geisterstunde schon lange vorüber war.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers