Abschnitt 2

01 Jugendjahre.


Im Jahre 1800 bis 1801 häuften sich die französischen Heeresdurchzüge wieder bei uns. Da geschah es an einem Sonntage, an welchem ich von meiner alten Tante zum Mittagessen eingeladen war, daß mein Weg mich an der Hauptwache, welche damals die Franzosen besetzt hielten, vorüberführte. Ein Grenadier, der mir ganz besonders gefiel, stand auf dem Posten. Der kann nicht weggehen, dachte ich, den muß ich zeichnen. Mein Zeichnungsmaterial trug ich immer mit mir, diesmal auch die Wasserfarben. Ich setzte mich auf eine Bank, fing an zu zeichnen und war bald umringt von Zuschauern, welche große Freude an mir hatten und ihrem Kameraden winkten, stille zu halten. Als ich geendet hatte, wurde ihm die Zeichnung gezeigt; er betrachtete sie mit großem Wohlgefallen, nickte mir freundlich zu und gab zu verstehen, daß er dieselbe kaufen wolle, wenn er abgelöst würde. Als ich vom Kaufen hörte, packte ich meine Farben aus und colorirte die Zeichnung auch noch. Er hatte einen dunkelblauen Frack mit rothen Aufschlägen und Epauletten, auf dem Hute, welcher gegen das rechte Auge herabgedrückt war, saß ein großer rother, weit herabwallender Busch aus gefärbten Roßhaaren; weit über das Kinn herauf reichte die weiße Halsbinde; er trug ganz grasgrüne Pantalons, welche bis in die spitzschnäbelig zulaufenden Schuhe hineingingen. Das Gilet war von gleicher Farbe. Dergleichen wunderliche Anzüge sah man, besonders bei der Infanterie, sehr viele. Denn nur der Hut und der Rock bezeichneten damals den Soldaten und das Regiment, welchem er angehörte. Sonst trugen sie das originell ste Zeug, meist buntfärbig gestreift oder quadrillirte Hosen aus Bettüberzügen, deren Inhalt sie der Luft preisgegeben hatten. Auch die Halsbinden bestanden aus den verschiedenartigsten Stoffen.


Kaum war ich zu Ende, als ein Zweiter sich in Positur setzte, um gezeichnet zu werden; diesem folgte ein Dritter, Vierter, und so ging es fort bis zum Abend. An ein Wegkommen war gar nicht zu denken. Zuletzt wurde mir noch eine ganz hübsche Donna vorgeführt, welche auch gezeichnet werden sollte; sie war im größten Sonntagsstaate in papageigrüner Amazonenkleidung, scharlachrothem Gilet mit zwei großen heraushängenden Uhrketten und einem runden Castorhute, reich geschmückt mit vielen Straußenfedern. Ein prachtvolles schwarzes Haar umfloß das Oval ihres Gesichtes, welches ziemlich feine Züge hatte. Diese Person gefiel mir auch, die Wahrheit zu gestehen, gar nicht übel. Es war das letzte Conterfei dieses Tages; ich nahm mich recht zusammen, und man schien mit dieser Leistung ziemlich zufrieden, denn es wurde von allen am besten bezahlt, ich erhielt vierundzwanzig Kreuzer dafür.

Es verdient wohl besonderer Erwähnung, wie diese zum Theil doch etwas verwilderten Krieger ihre Freude an mir hatten und mich mit französischer Artigkeit behandelten. Ich war damals vierzehn Jahre alt, sah aber noch jünger aus; doch eben meine Jugend inter essirte sie; mir zuzusehen, gewährte ihnen den ganzen Tag die größte Unterhaltung; immer war die Wachtstube, welche mir als Atelier diente, voll Soldaten. Wenn die Franzosen auf solche oder ähnliche Weise angeregt werden, so kommt das geistige Leben, welches in ihrer Nation steckt, auf angenehme Weise zum Vorschein.

Das war mein erstes Debüt in der Soldaten- und Portraitmalerei und überhaupt mein erster Erwerb. Wunderlich genug wiederholte sich eine ähnliche Situation neun Jahre später zu Wien, nur daß ich diesmal gemeine Soldaten und höchstens einen Sergeanten zu zeichnen die Ehre hatte und mit Kreuzern und Groschen belohnt wurde, neun Jahre später aber die Generäle und Marschälle des großen Kaisers Napoleon sich bemühten, Bilder mit ihren Portraiten, verbunden mit kleinen Episoden aus ihrem Kriegsleben von mir zu erhalten, und daß es Louisd’ors und Napoleond’ors regnete. Wir werden später darauf zurückkommen.

Der Abend machte dem Treiben in der Wachtstube ein Ende, ich wurde in Gnaden entlassen und hatte eine ganze Tasche voll kleines Geld. Es war ein eigenes Gefühl von stolzer Freude, denn ich hatte noch nie so viel besessen, obwohl die Summe nicht groß war. Aber ich hatte sie mit Bleistift und Pinsel verdient! Darin lag für mich ein besonderes Wohlbeha gen.

Oft während des Tages hatte ich an meine Tante gedacht, welche vielleicht lange mit dem Essen auf mich wartete und sich meinetwegen auch Sorgen machte, denn sie war so gut und hielt große Stücke auf mich; aber wenn ich auch versucht hätte, von den Franzosen früher fortzukommen, es wäre nicht gelungen: ich war in dieser Wachtstube wie ein Arrestant. Auch meine Eltern waren sehr in Sorge um mich, da niemand wußte, wo ich hingekommen sei. In der Stadt erfuhr man nichts davon, weil kein Bürgerlicher sich der Wachtstube nähern durfte. Mein Vater allein vermuthete, daß ich irgend wohin gerathen sei, wo ich etwas zu zeichnen gefunden und darüber Essen und alles vergessen hatte, da es nicht das erste Mal war, daß dies geschah; hätte er aber gewußt, daß ich den ganzen Tag von französischen Soldaten umringt verlebt, so würde es ihn aufs höchste bekümmert haben, denn er fürchtete die Soldaten in demselben Grade, als ich sie liebte.

Man war etwas ungehalten, als ich mich zu Hause einfand, dennoch aber froh, daß ich nur wieder zum Vorschein kam, und nebenbei nicht wenig erstaunt über mein erstes Künstlerabenteuer und meine errungene Beute.

So lockend und ermunternd dieses wunderliche Ereigniß auch für mich war, so machte ich doch keinen weiteren Versuch, mir auf diesem Wege ein Taschengeld zu verdienen; ich hatte ja ohnehin schon seit mehreren Jahren nur den Sonntag zu meiner freien Verfügung; auf ihn freute ich mich die ganze Woche hindurch, und bis er herankam, hatte ich so Vieles, so Vielerlei im Kopfe, daß ich nicht wußte, wo anfangen; ein solcher Tag ging immer nur allzuschnell dahin. Auf diese Weise lernte ich übrigens frühe die Zeit eintheilen und ihren Werth schätzen, eine Eigenschaft, welcher nicht alle Menschen genug Wichtigkeit beilegen; mir ist sie durch das ganze Leben zu gut gekommen und bis in das Alter eigen geblieben.

Bald ergab sich die Gelegenheit, mir von Zeit zu Zeit etwas Geld mit Pinsel und Farbe zu verdienen: ich fing an, kleine Portraite in Miniatur auf Papier und Elfenbein zu malen. Anfangs ging es freilich ziemlich schlecht, besonders mit der Technik, aber die Portraite waren doch ganz erträglich ähnlich, und so fanden sich bald Leute, welche von mir gemalt sein wollten; besonders in wohlhabenden Bürgershäusern ging es mir gut: ich wurde gewöhnlich zum Kaffee geladen, man bewunderte meine Kleckserei und ließ sich conterfeien. Bei Liebenden konnte man sich damals mit dieser Art Malerei sehr einschmeicheln; das Bildniß wurde zwischen zwei geschliffenen Gläsern in ein Goldrähmchen gefaßt und auf der Brust getragen, offen oder geheim, wie es eben die Umstände er laubten.

Eine ganz besondere Liebe zu Pferden war mir von frühester Jugend an eigen; ich suchte überall Gelegenheit, mich im Pferdezeichnen zu üben und fand diese bald in dem nahe bei Nördlingen gelegenen Wallerstein. Es war dort ein Lehrer der jungen geistvollen Prinzen von Oettingen-Wallerstein, nur unter dem Namen Pater Ambros 3) bekannt, ein guter, heiterer, gemüthreicher Mann; er unterrichtete die Prinzen in den Wissenschaften, hatte selbst viel Talent für Mechanik und verfertigte zuweilen Spielsachen, wobei er mein Talent für Modelliren von Figuren und Thieren aus Papiermaché bisweilen zu Hilfe nahm; er war mir ungemein zugethan und hatte große Freude an meinen Arbeiten. Dieser Pater Ambros sollte mir nun die Gelegenheit verschaffen, in dem dortigen, gut bestellten Marstalle Pferde zeichnen zu dürfen. Zu diesem Zwecke bat ich ihn, mich mit dem dortigen Oberststallmeister, Baron von Falkenstein, bekannt zu machen. Anfangs wollte er nicht recht hören, er konnte mich damals gerade selbst gut brauchen; endlich aber ließ er sich doch erbitten und sagte: „Ich sehe schon, ich muß Ihnen zu Willen handeln, damit Sie mir auch etwas zu Gefallen thun,“ und führte mich zu Falkenstein. Von diesem erhielt ich die gewünschte Erlaubniß und sogar später auch Beschäftigung und Aufmunterung. Nun war ich ganz in mei nem Elemente. Die Pferde wurden mir herausgeführt und Stunden lang gehalten, ich malte sie in Aquarell und studirte hiebei mit Leidenschaft das Pferdeportrait. Die Bilder, welche ich machte, erregten Aufmerksamkeit; man fand, obwohl sie noch unvollkommen waren, Talent in ihnen; die Fürstin (der Fürst lebte nicht mehr) wurde aufmerksam gemacht und ich erhielt den Auftrag, etwa ein Dutzend der schönsten Pferde zu zeichnen. Ferner machte ich ein großes Aquarell von den vier hübschen Prinzen 4) in einer Gruppe zu Pferd.




3) Pater Ambrosius Frei, ehemaliger Capitular des Kloster Weingarten, wurde im Oktober 1803 als Lehrer der Physik und Mathematik für den Erbprinzen Ludwig und seine Geschwister gewonnen (Mittheilung des Herrn Baron Löffelholz von Kolberg, Director der Fürstl. Oettingen-Wallerstein’schen Sammlung zu Wallerstein).
4) Diese vier Prinzen, die Söhne des Fürsten Ernst Kraft von Oettingen-Wallerstein (geb. 1748, gest. 6. Oktober 1802) aus seiner zweiten Ehe mit der Prinzeß Wilhelmine Friederike von Württemberg (gest. 9. August 1817), sind: a) Ludwig Kraft Ernst, geb. 31. Januar 1791, nachmals 1831–1838 königl. bayerischer Minister, gest. 22. Juni 1870 zu Luzern. b) Friedrich Kraft Heinrich, geb. 1793, früher in württembergischem, dann in österreichischem Militärdienste, den er 1823 verließ, um nach Resignation des älteren Bruders die Verwaltung des Mediatfürstenthums zu übernehmen, gest. 5. November 1842. c) Franz Ludwig, geb. 1795, wurde als königl. bayer. Chevauxlegers-Major in der Schlacht von Hanau schwer verwundet und starb Tags darauf am 31. Oktober 1813. d) Karl Anselm, geb. 1796, gest. 4. März 1871. – Das von Adam gemalte Reiterbild mit den vier Prinzen (im Hintergrunde das Schloß Hohenaltheim), eine treffliche Jugendarbeit unseres Künstlers, befindet sich nach gütiger Mittheilung des Herrn Baron Löffelholz noch in den berühmten Sammlungen zu Wallerstein. Ebenso sind die in der Selbstbiographie erwähnten Aquarelle, „welche eine Reihe von Pferden und Reitknechten – beides lauter getreue Portraite – aus dem fürstlichen Marstalle darstellen, alle des Meisters würdige Bilder“, daselbst sorgfältig erhalten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers