Abschnitt 9

03 Feldzug von 1809.


Graf Froberg nahm sofort im Schlosse Quartier; ich aber war von dem langen Marsche so erschöpft, daß ich mich mitten unter den Pferden auf die Erde niederlegte und einschlief.


Gegen 11 Uhr Nachts wurde ich in das Schloß gerufen: Froberg, väterlich, wie er sich stets mir erwiesen, nahm mich zu sich und besorgte mir ein ordentliches Lager. Am folgenden Morgen sagte er: „Aber das war eine Kanonade diese Nacht!“ – „Welche Kanonade?“ fragte ich ganz naiv. „Nun, Gott segne einen solchen Schlaf,“ rief er lachend aus, „das ist die Fortsetzung des Regensburger Schlafes! Wien ist diese Nacht bombardiert worden, alle Fenster und der Boden haben hier gezittert, auch hat es gebrannt und brennt noch!“

Wien, die schöne Kaiserstadt! da lag sie in ihrer ganzen großen Ausdehnung vor meinen Augen. Zu welchen Gedanken fühlte ich mich hingezogen! Es mischte sich eine Art Wehmuth in die Freude, es ahnte mir, daß ein Wendepunkt meines Lebens eintrete. Und das war auch der Fall.

Hätte ich im Buch der Zukunft lesen können, so wäre ich wohl zufrieden mit dem, was ich gesehen, erlebt und in mich aufgenommen hatte, nach München zurückgekehrt, um mich, meinem inneren Drange zu genügen, einem ernstern und tiefern Studium der Kunst hinzugeben; und es unterliegt keinem Zweifel, daß ich auf diesem Wege ein größerer Künstler geworden wäre. Aber mein Glück war mir vorausgeeilt, zu frühe wurde ich in das große Leben hineingeworfen. Ich war für dieses nicht reif und vorbereitet und verlor dadurch zu viele Zeit für das Studium ernsterer und höherer Zwecke. Ich konnte den Zwiespalt in meiner Brust nicht los werden, welcher mich in die Ferne trieb und auf der andern Seite wieder zu einem stillen, ernsten Kunsttreiben zurückzog.

Ein paar Tage verweilten wir in Schönbrunn, wo ich interessante Studien von der kaiserlichen Garde machte. Erst am 13. ritt ich mit Froberg nach Wien, wo er mich seinem Worte gemäß gleich zu General Coëhorn führte. Dieser beauftragte mich, sein Portrait zu Pferd in Oel auszuführen, eine Arbeit, die ich sogleich, nachdem ich das nöthige Material zusammengebracht, begann. In der Zwischenzeit hatte sich auch mein edler Beschützer in Wien eingerichtet und mein Atelier, in welchem sich bald eine große Thätigkeit entwickeln sollte, war etablirt.

Schon bei der ersten Sitzung wurde das Portrait sprechend ähnlich, und noch war es nicht vollendet, so kam schon ein zweiter, dritter Auftrag, und in kurzer Zeit war ich so mit Aufträgen überhäuft, daß meine Kräfte für sie nicht hinreichten, obwohl ich mit großer Leichtigkeit und anhaltendem Fleiße arbeitete.

Die Franzosen fanden nämlich ungemein großen Geschmack an meinen Reiterportraits, welche ich stets mit kleinen Episoden aus dem Feldzug auszuschmücken wußte. Gerade die Einfachheit und Wahrheit in der Darstellung gefiel ihnen. Einige gingen sogar so weit, mir zu sagen: Wenn ich nach Paris komme, solle ich mir Charles Vernet 4) nicht zum Muster nehmen, ich sei auf besseren Wegen. Horace Vernet 5) kannte man damals noch nicht.

Am 21. Mai, am Pfingstsonntage, hörte man in Wien eine heftige Kanonade: es hatte die für Napoleon unglückliche Schlacht bei Aspern begonnen. Da ich fleißig arbeitete, Froberg bei Napoleon in Schönbrunn sich befand und mit der Suite desselben gleich auf das Schlachtfeld begab und in Wien nichts von den Vorbereitungen zur Schlacht verlautet hatte, so bekam auch ich keine Kunde davon.

Das Pfingstfest und das herrliche Wetter hatte mich zu einem Spaziergang in die schönen Umgebungen Wiens veranlaßt. Sobald ich aber den Donner des Geschützes vernahm, eilte ich nach Hause, um mein Pferd zu satteln, und ritt auf gut Glück der Gegend zu, woher der Schall kam, der aber häufig ein sehr trügerischer Wegweiser ist, besonders wenn ein Strom wie die Donau, welche sich in dieser Richtung in viele breite Arme theilt, dazwischen liegt. Der Wege unkundig, ritt ich irre und entfernte mich immer weiter von den Uebergangspunkten. Ich stand in der Aufregung, horchte und beobachtete die in der Ferne fortwährend aufsteigenden Rauchsäulen. Inzwischen brach der Abend herein und in tiefes Nachdenken versunken ritt ich in der Dämmerung zurück, ohne etwas über die Schlacht in Erfahrung gebracht zu haben.

Am folgenden Morgen um 8 Uhr begann die Kanonade aufs neue und viel heftiger als Tags zuvor. Diesmal aber erkundigte ich mich genau nach den Straßen, welche zu den Uebergangspunkten der Donau führten, und kam auch an dieselben; aber hier hieß es: Halt! Die an der Brücke stehende Cavallerie-Vedette ließ mich nicht passiren; jeder Versuch, durchzukommen, war vergebens, Uniform trug ich nicht, Passirschein hatte ich auch nicht, und so wurde ich schnöde zurückgewiesen. Ganz betrübt und langsam kehrte ich nach der Stadt zurück. Später, nachdem man Näheres über die Schlacht bei Aspern erfahren konnte, kam mir mitunter der Gedanke, es sei zu meinem großen Glücke gewesen, daß ich verhindert wurde, Augenzeuge dieses entsetzlich blutigen Schauspiels zu sein. In einer solchen Schlacht ist für den, welchen kein Beruf in sie geführt, kein Platz.

Am 23. Mai kam Graf Froberg ganz allein, mit Staub überdeckt, von Hitze, Hunger und Durst abgemattet, von dem Schlachtfelde nach Wien zurück. Auch sein Pferd war zum Erbarmen erschöpft: „Danke Gott, daß du nicht dabei warst,“ lautete sein erstes Wort, als er mich erblickte, „ich habe diese beiden Schlachttage nichts von meinen Leuten und Pferden zu sehen bekommen. Gott weiß, was aus ihnen geworden ist!“

Wir harrten auch diesen und den folgenden Tag sehnsüchtig, aber vergebens auf die Ankunft der Pferde, erst am 25. Abends kamen sie und die Leute unversehrt zurück. Die Freude darüber war groß, denn der Graf hatte sie längst verloren gegeben.

Napoleon kehrte nach der Schlacht bei Aspern nicht nach Schönbrunn zurück. Vom 23. Mai bis zum 5. Juli, dem Tage der Schlacht bei Wagram, verweilte er zu Kaiser-Ebersdorf. Während dieser Zeit wurde die Insel Lobau verschanzt und Zurüstungen zu einem neuen furchtbaren Kampfe getroffen. Ich aber saß mit großem Eifer an meiner Staffelei und arbeitete viel, denn Napoleons Umgebungen kamen fleißig von Ebersdorf nach Wien, um sich zu belustigen und mir nebenbei zu ihren Portraits zu sitzen.

In Wien war man natürlich über den unglücklichen Erfolg des Krieges nicht erfreut, trotzdem aber herrschte in seinen Mauern das regste Leben. Der Hang zur Unterhaltung und die Liebhaberei zu allem Neuen übertäubte bei den Wienern manches bittere Gefühl. Die Galanterie der Franzosen fand vornehmlich bei den Damen Gnade; viel Geld wurde in Umlauf gesetzt, und so lebte bald alles in Wien wieder lustig und guter Dinge. Ich aber saß vom Morgen bis in den späten Abend an meiner Staffelei, und erst bei Hereinbruch der Dämmerung schwang ich mich auf ein rasches Pferd, suchte das Freie und tobte mich aus. Dabei lebte ich sehr mäßig und hatte an dem eigentlichen Wiener Leben während eines siebenmonatlichen Aufenthaltes wenig oder gar keinen Antheil genommen.

Hier fand ich auch meine beiden Freundinnen Sophie Reinhardt und Marie Geiger wieder; doch in ganz anderen Verhältnissen als in München. Sie wohnten nicht mehr zusammen. Sophie Reinhardt hatte ein eigenes Atelier und Wohnung, und Marie Geiger wohnte bei ihrem Onkel, einem alten wohlhabenden Privatmann, hatte dort zwar ein sorgenfreies Leben, fühlte sich aber dennoch minder glücklich als zu München in ihrer Zurückgezogenheit.

Alte Erinnerungen an schuldlos und glücklich verbrachte Stunden und Tage in München tauchten bei unserer, wieder erneuerten Bekanntschaft auf, und ich verlebte manch trauliches Stündchen mit den Beiden auch in Wien. Aber diese Stunden geistigen Verkehrs waren mir spärlich zugemessen. Die rastlose Thätigkeit, zu welcher ich fast unfreiwillig durch das Ungestüm der Franzosen, welche Bilder von mir haben wollten, getrieben war, ließ mir wenig Zeit für solch lieben Umgang.

Mein edler Beschützer, Graf Froberg, wurde in dieser Zeit der Waffenruhe von Napoleon zu König Max nach München gesendet und kam nicht mehr zurück. Er war seit dem Tage von Aspern leidend, und König Max, welcher ihn liebte und gerne um sich sah, wollte seiner nicht entbehren.

Bevor er Wien verließ, stellte er mich unter den Schutz des Kammerherrn Napoleons: de Bonti (später Präfekt in Lyon). Dieser wohnte in demselben Hause wie wir und war mit Froberg sehr befreundet. De Bonti galt als einer der geistreichsten Franzosen, welcher Sinn für Kunst, Musik, Litteratur und alles Schöne hatte. Er war mir gewogen, und ich befand mich unter seinem Schutze sehr wohl.

Meine Stellung verschaffte mir die Bekanntschaft hervorragender Persönlichkeiten aus Napoleons Umgebung. Ich malte den Minister und Staatssecretair Maret, Savary, die Generale Durosnelle, Montion, zwei Brüder Montesquieu, Taillerand-Perigord und viele andere Personen, die namentlich anzuführen zu weitläufig wäre.




4) Antoine Charles Horace, genannt Carle, geb. 1758, gest. 1836.
5) Horace Vernet, geb. 30. Juni 1789, gest. 17. Januar 1863.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers