Abschnitt 8

03 Feldzug von 1809.


Unser Weg führte nach Enns, wo sich Napoleons Hauptquartier befand. Noch bevor wir diesen Ort erreichten, sollte mir ein imposanter Anblick zu Theil werden, welcher einen seltsamen Contrast bildete zu der Stätte des Jammers und Elends, die uns am Morgen mit Schauder erfüllt hatte. Wir bemerkten schon in namhafter Entfernung einen großen Troß Reiter auf der Landstraße. Näher kommend, erkannte Froberg den Kaiser mit seinem Gefolge, stieg aus dem Wagen und erwartete Napoleon zu Fuß, wohl wissend, daß er hier ausgefragt werde, da er aus Bayern kam.


Napoleon schien nach der Tafel einen Spazierritt zu machen, weil alles in glänzender Uniform sich befand, was im Felddienste nicht üblich war. Der Zug sah dem eines Triumphators ähnlich; es waren mehr als hundert Reiter, Marschälle, Generäle, Adjutanten und Offiziere aller Grade, in eine leichte Staubwolke gehüllt. Von der glühenden Abendsonne beleuchtet, schimmerte der Glanz der Uniformen, das Bunte der Farben, das viele Gold, womit selbst die Equipirung der Pferde reich geschmückt war, auf eine prachtvolle Weise. „Ach könnte man so ein Bild festhalten,“ sagte ich zu mir selbst.

Ich sah den großen Kaiser später noch oft und in sehr verschiedenen Situationen, nie mehr aber von solchem Glanze umgeben. Seine Erscheinung machte damals einen so tiefen Eindruck auf mich, daß mir zur Stunde noch ein lebendiges Bild desselben vor Augen tritt.

Froberg hatte richtig geurtheilt. Sobald Napoleon ihn gewahrte, hielt er stille und mit ihm natürlicherweise der ganze Troß. Er sprach lange mit ihm, grüßte dann freundlich und hieß ihn in Enns verweilen, um seine weiteren Befehle abzuwarten.

Durch Zerstörung der Brücke über die Enns war die französische Armee in ihrem Vordringen um anderthalb Tage aufgehalten, und so sah ich in Enns wieder das Toben eines Napoleonischen Hauptquartiers. Wie in stürmischer See sich Welle auf Welle häuft, so mehrte sich die Wucht der Soldaten. In der Regel waren fast alle Garden um den Kaiser versammelt, und diese bildeten allein schon eine kleine Armee. Die ungeheuere Anzahl von Offizieren und Generälen, von welch letzteren jeder wieder seinen eigenen Troß von Pferden, Equipagen, Dienerschaft und Ordonnanzen hatte, welche alle untergebracht sein wollten, verursachte bei der französischen Regsamkeit ein Lärmen und Toben, an das man sich nur schwer gewöhnte. Mir war es unter diesem Gedränge immer sehr unbehaglich. In dem Hofraume des Hauses, in welchem die Equipagen Frobergs standen, ging es besonders toll her, weil es ein Gasthaus war. Hier hatte ich ein kleines Abenteuer.

Ein Grenadier kam mit den Leuten Frobergs in so heftigen Streit, daß sie handgemein wurden. Der Kammerdiener des Grafen, ein Pole, welcher der französischen Sprache mächtig war und wie die meisten seiner Landsleute immer Muth zeigte, wo es galt, mischte sich darein; der Grenadier aber, schon längst von Zorn entbrannt, vielleicht auch vom Weine erhitzt, packte ihn bei der Brust und riß ihm ein Stück seiner Kleidung vom Leibe. In diesem Augenblicke trat Froberg ein und sah das Handgemenge; er kam von der Tafel des Kaisers und war in großer Uniform. Langsam, ohne ein Wort zu sprechen, näherte er sich dem Grenadier und machte mit der Hand eine Bewegung, um ihm den Säbel aus der Scheide zu reißen, aber mit Blitzesschnelle sprang der Grenadier rückwärts, zog den Säbel und griff den Grafen an. Ich stand dicht dabei, und ebenso schnell wie der Grenadier war auch ich mit dem Säbel heraus und parirte einige so kräftige Hiebe, daß meine Klinge tiefe Scharten bekam. Indessen eilten mehr Leute herbei, und der Grenadier, welcher wohl wußte, um was es sich jetzt handle, ergriff die Flucht. Eine ganze Schaar, darunter auch meine Wenigkeit, verfolgte ihn unter fortwährendem Rufen: arrêtez! arrêtez! aber Niemand wollte sich dem rasenden Kerl mit dem Säbel in der Hand in den Weg stellen, auch lief er so schnell den Berg hinab, daß er nicht einzuholen war, und verlor sich an den Ufern der Enns, wo sein Regiment stand, unter seinen Kameraden. Hier war er geborgen und sicher, nicht verrathen zu werden.

Ich erzähle dieses kleine Abenteuer, weil es vielleicht auch nicht ganz ohne Einfluß auf meine künftige Laufbahn blieb.

Am Abend des 6. Mai, nach Vollendung der Schiffbrücke über die Enns, begann der Uebergang. Von Landshut bis Enns reiste ich mit Froberg im Wagen, von da an wurde der Weg bis Wien zu Pferd fortgesetzt. Die Straßen waren mit Truppen überfüllt: Fußvolk, ungeheure Massen Reiterei, Artillerie und was dazu gehört, alles drängte nun in Eilmärschen mit Ungestüm auf Wien los. So eine Stadt wie Wien ist ein Magnet, der gewaltig zieht. Unter solchem Treiben muß man auf jede Bequemlichkeit verzichten. Man schätzte sich glücklich, zu Pferde durch das Gedränge zu kommen. Equipagen und alles unnöthige Gepäck mußte zurückbleiben und abwarten, bis der größte Andrang der Truppenmärsche vorüber war.

Um 11 Uhr Nachts brach die Mannschaft auf und marschirte bei entsetzlich schlechtem Wetter die ganze Nacht hindurch. Am folgenden Mittag kamen wir vom Regen durchnäßt und von Kälte ganz erstarrt in Amstetten an. Nach ein paar Stunden Ruhe und einem mageren Mittagsmahle wurde der Marsch fortgesetzt, und Abends 7 Uhr erreichten wir die schöne Gegend von Kloster Mölk.

Diese reiche Abtei liegt auf einem lieblichen Hügel, an dessem Fuße sich die Donau hinzieht. Stolz ragen die Mauern des prächtigen Baues in die fruchtbare Gegend hinaus und alles deutet hier auf großen Wohlstand. Diesen machten sich die Franzosen trefflich zu Nutzen, besonders konnten die Klosterkeller davon erzählen: die Soldaten badeten sich förmlich in Wein.

Hier stellte sich ein komisches Bild meinen Augen dar. Bei dem Trosse des Grafen Froberg befand sich auch ein Chevauxleger als Ordonnanz, ein Landsmann von mir, ein unternehmender, sehr brauchbarer Bursche. Er hatte ein ganz vortreffliches Pferd, welches er liebte wie sein zweites Ich. Er war sehr zu Excessen geneigt; ein solcher durfte natürlich bei dem Kellerfeste nicht fehlen. Ich hatte mich auf dem Hügel vor dem Kloster niedergesetzt und blickte sinnend in die reizende Gegend. Auf den Regen des vorigen Tages war ein schöner Frühlingsmorgen gefolgt, die vielen Obstbäume, welche Mölk zieren, standen in voller Blüthe, die grünen Saaten und Felder, durch die sich der stolze Strom schlängelte, zogen meine Blicke und Gedanken von dem wilden Treiben im Kloster ab. Ich konnte mich gar nicht entschließen, dasselbe zu betreten, hatte ich doch nie Wohlgefallen empfunden an dem rohen Leben der Soldateska.

Mein Landsmann hatte mir sein Pferd anvertraut und sich in den Keller begeben. Nach einiger Zeit kam er jubelnd mit einem Schaff Wein, setzte es auf den Boden mit den Worten: „Da, Schimmel, sollst heute auch einen guten Tag haben.“ Er selbst legte sich daneben und Roß und Reiter thaten sich gütlich; der Schimmel trank zu meinem Erstaunen mit vollen Zügen. Endlich erinnerte jener sich, daß hier seines Bleibens nicht sei; etwas mühsamer als sonst kletterte der Reiter diesmal auf sein Pferd, und nun ging die höchst komische Reise den Berg hinab: Roß und Reiter waren berauscht. Letzterer saß jubelnd noch mit der Flasche in der Hand auf seinem Pferd und sang in nicht sehr melodischen Tönen lustige Soldatenlieder; der Schimmel aber senkte den Kopf, ließ die Ohren hängen und taumelte ganz wie ein betrunkener Mensch. Doch gelangten beide glücklich bis an den Stall, der am Fuße des Hügels lag. Die Thüre desselben stand offen, war aber etwas niedrig. Der Reiter vergaß, sich zu bücken, streifte den Helm ab, verlor das Gleichgewicht und folgte seinem Helm nach. Das Pferd aber streckte den Kopf unter den Barren und stand sehr lange unbeweglich. Ich ließ ihm Wasser reichen und nach einigen Stunden begann es wieder zu fressen.
In Mölk mußten wir bivouakiren, da der Ort mit Truppen überfüllt war. Unser Jäger hatte für Braten gesorgt: er hatte in der Frühe einen verlaufenen Hasen erlegt und schoß alle Tauben, die sich blicken ließen, von den Dächern herunter. Der Kammerdiener des Grafen hatte diese Beute vortrefflich zubereitet, an gutem Wein fehlte es nicht, und so hielten wir ein ganz vortreffliches Mahl.

Gegen Mittag begann der Weitermarsch; wir kamen Abends nach Sanct Pölten und wurden in einem Bürgershause bei gutem Quartier sehr gastfreundlich bewirthet.

Der Durchmarsch der Truppen durch diese Stadt dauerte mehrere Tage ununterbrochen. Die Einwohner machten dazu sehr bedenkliche Mienen. Besonders die Cuirassiere, welche allein einen ganzen Tag in majestätischer Haltung durch die Stadt zogen, nicht minder die riesenhaften Grenadiere à cheval und die übrigen Garden imponirten dem Volke. Einer fragte den andern, wo in aller Welt so viele Leute herkämen, und da die Straße durch den Ort etwas eng war, dauerten die Durchzüge um so länger und vergrößerten wenigstens dem Anscheine nach die Anzahl der Truppen. Jede Hoffnung auf eine günstige Wendung des Krieges für Oesterreich schien aus dem Herzen des Volkes zu schwinden.

Wir verweilten eine Nacht und einen Tag in St. Pölten. Abends 10 Uhr erging der Befehl, uns marschfertig zu halten, allein es war noch keine Möglichkeit, durchzukommen; erst am folgenden Morgen den 9. Mai konnten wir weiter.

Bei herrlichem Frühlingswetter, welches sich gegen Mittag zu bedeutender Hitze steigerte, durchzogen wir, in eine immerwährende Staubwolke gehüllt, die freundlichen Gegenden zwischen St. Pölten und Wien. Der Marsch strengte an, zumal es unterwegs wenig zu essen gab, da unsere zahlreichen Vorgänger schon fast alles aufgezehrt hatten. Um halb 9 Uhr Abends kamen wir vor Schönbrunn an, wo Napoleons Hauptquartier sich befand.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers