Abschnitt 7

03 Feldzug von 1809.


Nirgends wohl lernt man so gut einsehen, als im Kriege, wie wenig der Mensch zu seiner Erhaltung bedarf. Es gränzt an das Unglaubliche, wie kümmerlich ich in den drei letzten Tagen gelebt. Die österreichische Armee, welche vor uns herzog, hatte alles ausgezehrt; man konnte sich nicht für Geld die nöthigsten Bedürfnisse verschaffen, und so kam ich ganz ausgehungert, aber doch guten Muthes nach Regensburg. Mit welchem Gefühle man sich aber dann an einen guten Tisch setzt, das läßt sich nicht beschreiben, das muß man erfahren haben. Zum erstenmale seit zehn Tagen schlief ich wieder in einem guten Bette, und zwar in einem Zimmer mit Froberg. In der Nacht rief er: „Adam, stehen Sie auf und sehen Sie nach dem Feuer!“ Ganz schlaftrunken ging ich in das von dem furchtbaren Brande tageshell beleuchtete nächste Zimmer, kehrte aber, meinem Bette zueilend, sogleich wieder zurück und sagte ganz lakonisch: „Das Feuer ist noch nicht da!“ Mit einem gewaltigen Sprunge war der große Froberg aus dem Bette und rief mit Donnerstimme: „Zum Teufel, das nenne ich einen Schlaf! Wollen Sie denn hier verbrennen? Wenn das Feuer einmal da ist, ist es zu spät.“ Jedoch griff dasselbe in der schönen, alten Stadt nicht weiter um sich. Dagegen tobte es fürchterlich in Stadt am Hof, das ganz niederbrannte. Morgens ging ich zeitlich in die Straßen, die schöne Stadt Regensburg gewährte einen höchst traurigen Anblick. Auf der Donaubrücke räumte man die Leichen weg und warf viele derselben in die Donau hinab. In den Straßen und um die Mauern lagen ebenfalls noch viele Todte und Pferde. Am gräßlichsten aber sah es auf dem Friedhofe aus: hier war das Blut an den Wänden der Kapelle hoch hinauf gespritzt. Schwarzer Rauch entstieg noch immer den eingeäscherten Gebäuden und verdüsterte die Luft. Kurz, wohin das Auge sich wandte, überall Tod und Verwüstung. Ich zeichnete vieles und vergaß darüber den ganzen Tag Essen und Trinken. Es schien mir aber, daß ich jetzt den Krieg mit seinen Gräueln und Schrecken nahe genug gesehen.


Am Morgen des 25. April gingen wir wieder nach Landshut, wo wir Abends 5 Uhr ankamen. Es war ein heißer Tag. Ich ritt ein erbeutetes Pferd, das Froberg angekauft hatte, ein starkes aber rohes Thier, welches die Faust und die Schenkel eines Uhlanen gewöhnt war und mich auf dem langen Ritte sehr abmattete, aber mein Ehrgeiz als Reiter ließ nicht zu, dasselbe mit einem bequemern zu vertauschen. Abends sank ich bei Tische, wahrscheinlich von der Ueberanstrengung und der Unordnung im Essen und Trinken angegriffen, plötzlich in eine ziemlich lange dauernde Ohnmacht, erholte mich aber doch wieder.

Den folgenden Tag begaben wir uns nach Neumarkt, wo ich im Wagen des Grafen übernachten mußte. Am Morgen des 28. fühlte ich mich sehr unwohl, hatte starkes Fieber, so daß der Graf, in Furcht, ich möchte ernstlich krank werden, mich nach Landshut zurückschickte mit der Weisung, so lange dort zu verweilen, bis ich mich vollkommen wohl fühle. Schwer fiel es mir, mich von ihm zu trennen, aber ich mußte Folge leisten, um nicht seinen Unwillen zu erregen.

Seit dem 23. April, dem Tage der Schlacht von Regensburg, hatten wir herrliches Frühlingswetter und es fing an, sehr heiß zu werden. Diese Temperatur, das gewaltig unruhige Leben während der letzten Wochen, die angestrengten Ritte und alle Erlebnisse dieses kurzen Zeitraums schienen meine sonst so kräftigen Nerven erschüttert zu haben. Was ich bei Tage erlebt und gesehen, erschien mir des Nachts in furchtbaren Träumen; ich lebte wachend und schlafend in aufreibender Erregung. Hatte ich ja das alles nicht mitgemacht wie der Soldat, welcher in seinem Berufe lebt und wirkt. Der nächste Augenblick, seine Dienstpflicht, die Anstrengungen des Tages und die Zurüstungen für den folgenden lassen ihm wenig Zeit zu tieferem Nachdenken. Bei ihm verdrängt rasch ein Eindruck den andern und höchstens geht ihm der Verlust eines Kameraden nahe. Ich aber folgte diesem Treiben als Künstler, als stiller Beobachter, wollte das, was ich sah und erlebte, festhalten, um es wiedergeben zu können, und dachte deshalb über alles nach, was unter meinen Augen vorging. Darum wirkten auch die Eindrücke der verflossenen Schauderscenen so tief und mächtig auf meine leicht erregbare Seele und griffen meinen Körper so bedrohend an.

Auf Befehl meines Beschützers mußte ich also in Landshut ausruhen, obwohl es mir schwer ankam, dort zurückzubleiben. Schon nach 5 Tagen fühlte ich mich, gestärkt durch die Ruhe, meine einzige Medizin, wieder vollkommen hergestellt. Bei Beginn meines Unwohlseins hatte mich der Gedanke ergriffen, umzukehren; aber sobald ich wieder gekräftigt war, trieb es mich mächtig vorwärts. Der Zufall kam mir auch bald zu Hilfe, um mich aus meiner Unthätigkeit zu reißen. Graf Froberg, welcher von Napoleon häufig zu wichtigen Sendungen verwendet wurde, kam von München zurück nach Landshut, ließ mich in der Nacht noch dort aufsuchen und nahm mich in seinem Wagen mit.

Am 3. Mai reisten wir über Neumarkt, Neuötting an Braunau vorüber und kamen am Morgen des 4. in Schärding an, welche Stadt wir fast fast ganz einge äschert fanden. Traurig blickten uns die öden, menschenleeren Mauern im Morgenlichte entgegen; auch die Brücke über den Inn, welcher dort sehr breit ist und eine starke Strömung hat, war schadhaft und gefährlich mit einem Wagen zu passiren. In Neuötting hatte ich noch einen recht schmerzlich ergreifenden Anblick. Froberg besuchte hier seinen Freund, den Obersten Taxis, welcher tödtlich verwundet zurückgeblieben und schon dem Tode nahe war. Beim Eintritt in das mit Gardinen verdunkelte Zimmer fanden wir ihn auf seinem Bette mit feinen Linnen überdeckt liegen; die bleichen, leidenden Züge verkündeten das Nahen des Todes. Doch war er gefaßt und zeigte sich über den Besuch Frobergs erfreut. Seine junge, schöne Gemahlin stand, ihn sorgsam pflegend, in Thränen neben seinem Bette. Froberg wünschte eine Zeichnung seines Freundes, was mich in große Verlegenheit setzte. Da aber auch der Verwundete damit einverstanden war, machte ich mich nicht ohne Befangenheit an die Arbeit und zeichnete die ganze Gruppe.

Nachdem wir in Schärding gefrühstückt und Erkundigungen über die dort vorgefallenen Ereignisse eingezogen, setzten wir die Reise über Siegharting und Efferding nach Linz fort. In dieser heiteren, in einer freundlichen Gegend gelegenen Stadt übernachteten wir und verließen sie schon am folgenden Morgen wieder. Bisher war gar nichts Erwähnenswerthes vorgefallen, jetzt sollte uns schon nach anderthalb Stunden ein schauerlicher Anblick zu Theil werden.

Auf dem halben Wege zwischen Linz und Ebelsberg erhielten wir durch einen uns begegnenden Courier Nachricht von einem blutigen Treffen, welches Tags zuvor in letzterem Orte stattgefunden. Bald erblickten wir auch die traurigen Merkmale des Kampfes. Todte und schwer verwundete Menschen, welche sich mühselig einherschleppten, bezeichneten den Weg nach dem mehr als halb zerstörten Orte, der sich an den Ufern der Traun auf einer sanft ansteigenden Höhe erhebt. Eine lange, halbzerstörte, hölzerne Brücke fast ohne Geländer, an der die Wirkungen des Geschützes recht sichtbar hervortraten, führte durch ein enges, jetzt nicht mehr bestehendes Thor in die Stadt. Im Flusse lagen viele von der Brücke hinabgefallene oder hinabgeworfene Leichen. Ueberall sah man die Spuren des kurzen, aber mörderischen Kampfes, welcher hier auf einem kleinen Raume zusammengedrängt war. Ich fand so viel Zeit, von der Brücke und dem Orte mit mehreren traurigen Episoden dieser Umgebung eine Zeichnung zu machen, bevor wir die Stätte des Schreckens in der Stadt selbst betraten. Kaum in diese eingetreten, kam uns ein ekelerregender, höchst widerlicher Geruch entgegen und bald stießen wir auf die Trümmer und rauchenden Balken der eingeäscherten Gebäude und mitten unter diesen auf die Leichen verbrannter Menschen. Diese häuften sich, je weiter wir vorwärts kamen, bis sie endlich in einer engen Straße so dicht lagen, daß wir mit den Pferden darüber wegschreiten mußten. Man sah verbrannte Körper gänzlich verkohlt und langsam gebraten, ein schaudererregender Anblick, gegen den sich die Natur sträubte. Selbst die Pferde gingen schnaubend und mit Widerwillen durch diese Straße des Schreckens. Das Schauerliche vermehrte noch der lichte, abwechselnd mit schwarzen Wolken durch die Straßen ziehende Rauch. Wer eine Schnapsflasche hatte, hielt sie unter die Nase und nahm einen Schluck Branntwein, um den ekelerregenden Geruch zu überwinden.

Die österreichische Landwehr hatte diesen Ort mit einer fast beispiellosen Hartnäckigkeit vertheidigt. Die Franzosen stürmten, und als die Oesterreicher nach heftiger Gegenwehr die Unmöglichkeit sahen, sich länger in Ebelsberg zu halten, zündeten sie die Stadt an und man sagte, sie hätten auch die Ausgänge verrammelt. Die auf der Brücke und durch das Thor vordringenden Franzosen hinderten den Rückzug der in der Stadt befindlichen Soldaten, von denen die meisten ein Opfer der Flammen wurden. Gegen 400 Mann sollen diesem schrecklichen Tode verfallen sein.

Nachdem wir langsam, aber glücklich durch den Ort hindurch gekommen waren und mit vollen Zügen nach frischer Luft schnappten, fanden wir eine kleine Viertelstunde außerhalb Ebelsberg den Kommandirenden von dieser Affaire, den General Coëhorn, in einer armseligen Hütte, in welcher er sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte. Er war aus dem Elsaß gebürtig und ein Jugendfreund Frobergs. Seine Erscheinung machte mir einen ungemein günstigen Eindruck; ein Mann von kräftigem Körperbau und schöner Gestalt, mit festem Gesichtsausdrucke, kräftiger und biederer Sprache, sehr schönem Barte und schwarzem, lockigem Haare, kaum 50 Jahre alt. Eine große Narbe über Stirn und Wange vollendete sein martialisches Aussehen. Ich machte die Bemerkung, ich würde, wenn ich ihn in der Kutte eines Mönchs gesehen hätte, doch den Helden herausgefunden haben, was er nicht übel aufzunehmen schien. Nach einem unter traulichen Gesprächen der beiden Jugendfreunde eingenommenen kleinen Gabelfrühstück setzten wir unsern Weg weiter fort. Coëhorn empfahl bei unserm Abschiede dem Grafen, mich gleich zu ihm zu bringen, sobald er nach Wien käme. Daß Napoleon sein bei Abensberg ausgesprochenes Wort halten und die Armee noch im Mai nach Wien führen werde, daran zweifelte nämlich Niemand. In der That marschirte man von hier, ohne daß irgend ein besonderes Hinderniß auf dem Wege eintrat, schnurgerade auf Oesterreichs Hauptstadt los.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers