Abschnitt 6

03 Feldzug von 1809.


Die Dunkelheit war hereingebrochen, als Napoleon wegritt, und der Zug der österreichischen Gefangenen hatte noch nicht geendet. Das Entwirren dieses Knäuels von Offizieren, Equipagen, Handpferden, welcher sich hier anhäufte, glich einem Ameisengewimmel, das mit einem Male aufgestört und lebendig wird. Die Dragoner der stolzen Kaisergarde, welche Napoleon als Schutzwache begleiteten, und im Gegensatze zu ihnen die armen, gedemüthigten österreichischen Gefangenen, die Todten und Verwundeten, auf die man überall stieß, die am Boden zerstreuten Waffen, Armaturstücke und Kanonenkugeln, die einbrechende Nacht, der mit schwarzgrauen Wolken überzogene Himmel, an dem man nur tief am Horizonte hin einen blutrothen Streifen sah, welchen die lange schon untergegangene Sonne zurückgelassen: das alles machte als Schlußact dieses Tages auf mich einen großartigen, tragischen Eindruck. Daß ich aber durch besonders günstigen Zufall Napoleon am Morgen vor der Schlacht und Abends als Sieger so in der Nähe beob achten konnte, läßt mich den 20. April niemals vergessen.


Unter diesem Gewirre war ich so glücklich, Froberg aufzufinden. Er schickte mich noch in der Nacht nach Abensberg, um seine Equipage und Pferde aufzusuchen, die ich auch brachte. In dieser Nacht machte ich mein erstes Bivouak. Ich war durstig und hungrig, kaufte mir von einem Marketender eine Halbe entsetzlich schlechten Wein und eine Semmel und ward bald von einem betäubenden Schlaf überfallen, legte mich an einem Feuer auf ein Brett, deckte mich mit dem Mantel zu und schlief so fest, daß ich es gar nicht gewahr wurde, als das Brett, meine Stiefelsohlen und der Mantel zu brennen anfingen. Die Soldaten rüttelten mich, bis ich erwachte. Betäubt, wie ich war, lief ich schnurgerade einem schmutzigen Wassergraben zu, in welchen ich hineingesprungen wäre, wenn mich nicht ein Soldat am Aermel gepackt und davon abgehalten hätte. Erst nach und nach kam ich zur Besinnung und legte mich wieder nieder, diesmal aber mit mehr Vorsicht und gedachte mit Sehnsucht der Streu in der dumpfigen Stube zu Vohburg. Solange man ein Obdach findet, unter dem man die Nacht zubringen kann, ist es, sei es auch noch so schlecht, erträglich, aber das Schlafen unter freiem Himmel, besonders bei schlechtem Wetter, will gewöhnt sein. Mich kam es damals sehr hart an.

Am 21. früh ritt ich mit dem Grafen über Rottenburg nach Landshut. Wir kamen Abends dort an, und hier stellte sich mir eine neue entsetzliche Scene dar. Schon stundenweit vor Landshut fanden wir die Spuren eines in Flucht ausgearteten Rückzuges. Die österreichische Armee führte damals noch eine große Masse von Fuhrwerken, Equipagen und Gepäcke mit sich, die bei raschen Bewegungen sehr hinderlich waren. Daher kam es, daß alle Straßengräben mit umgestürzten Wagen, Munitionskarren, todten Pferden und Menschen, Tornistern, Kopfbedeckungen und Armaturstücken jeglicher Art angefüllt lagen. Unzählige schwere Pontonswagen, der ganze österreichische Brückentrain, der in dem Gedränge nicht durchkonnte, mußte zurückgelassen werden, selbst die Kriegskasse fiel in die Hände der Franzosen. Einen wunderlichen Anblick gewährte unter anderen ein umgestürzter Wagen, in welchem Musikalien und Instrumente sich befanden. Alles das lag zerstreut auf der Straße und man mußte mit den Pferden darüber hinweg.

Napoleon hatte sich nach dem Siege vom 20. bei Abensberg rasch, gegen Landshut gewendet, die dort befindliche österreichische Armee unerwartet überfallen und durch seine Schnelligkeit und Uebermacht erdrückt, und da bei Landshut nur eine einzige Brücke über die Isar führte, so war die so eben berührte Zerrüttung eine nothwendige Folge. Die Bayern fochten hier wie die Löwen und mit der größten Erbitterung. Ein würdiger General, Freiherr von Zandt, und viele brave Offiziere fanden bei Landshut den Tod. Zeitlich vor der Stadt angelangt vergingen noch drei Stunden, bis wir durch das Gedränge erst um 11 Uhr Nachts in das Innere der Stadt gelangten.

So merkwürdig mir dieser Marsch und alles war, was ich an diesem Tage gesehen habe, so leid that es mir, zu spät angekommen zu sein, um von der Schlacht selbst noch etwas zu sehen. Diese war schon zu Ende und Napoleon selbst in Landshut eingezogen. Ebenso rasch und unerwartet, als der Kaiser bei Landshut erschienen, kehrte er sich nun zurück gegen Eckmühl und Regensburg und lieferte am 22. die bekannte Schlacht bei Eckmühl, in der er abermals einen erfolgreichen Sieg erfocht. Die Bayern hatten auch in dieser Schlacht großen Antheil und beklagten den Verlust vieler braven Krieger.

Am 23. früh rückte alles gegen Regensburg vor. Noch in der Nacht machten wir einen Theil des Weges und campirten vor einem Dorfe, dessen Namen ich nicht aufzeichnete. Während dieses Nachtmarsches vernahmen wir von einer nahen Anhöhe herab wahrhaft jammervolle Rufe von Verwundeten, welche hilflos auf dem Schlachtfelde liegen geblieben waren, was mir schauerliche Eindrücke erregte.

Die aufgehende Sonne verkündete einen schönen Tag, aber für Regensburg sollte es ein Tag des Schreckens und Entsetzens werden. Da auf der Hauptstraße der Truppenzug von Cavallerie und Artillerie sehr groß war, marschirten wir abseits quer über ein, außer mit vielen tausend Todten auf mehr als eine Stunde weit mit Waffen und Armaturstücken übersäetes Feld. Gegen 8 Uhr kamen wir auf einer Anhöhe vor Regensburg an, und erblickten das Opfer dieses Tages, die würdige alte Stadt im Glanze der Morgensonne.

Gegen 9 Uhr begann die Schlacht. Hier war es mir vergönnt, einen schönen Ueberblick über alles, was hier vorging, zu bekommen; denn von jener Anhöhe konnte man mit so scharfen Augen wie die meinigen fast jeden einzelnen Mann unterscheiden. Besonders imposant waren die ungeheuern Massen schwerer Cavallerie, namentlich der majestätischen Grenadiere à cheval anzusehen. Diese zogen in einem großen, doppelten Vierecke von immenser Ausdehnung in schräger Richtung über die Ebene; mir fielen dabei die Worte Schillers ein:

Schwer und dumpfig,
Eine Wetterwolke,
Durch die grüne Eb’ne schwankt der Marsch,
Zum wilden eisernen Würfelspiel
Streckt sich unabsehlich das Gefilde.

Das Geplänkel um die Stadt herum dauerte fort und fort. Inzwischen wurden verschiedene Batterien nahe vor die Stadt postirt, welche ihre furchtbaren Geschosse in dieselbe schleuderten.

Bald zeigten hohe Rauchsäulen und auflodernde Flammen die Wirkungen. Es brannte beinahe gleichzeitig in zwei verschiedenen Richtungen und bei der herrschenden Windstille stieg der Rauch in röthlich-grauen Säulen himmelhoch, schauerlich-majestätisch empor. Da ich das alles gleichsam zu meinen Füßen vor sich gehen sah und ein Plätzchen fand, wo ich ungestört zeichnen konnte, packte ich sogar meine Farben aus und entwarf an Ort und Stelle ein Aquarell von dem brennenden Regensburg. Gegen Abend hatte man eine Bresche in die Stadtmauern geschossen. Und mit wahrer Todesverachtung begannen die Franzosen den Sturm und waren auch bald in die Stadt eingedrungen. Der Kampf dauerte nun in den Straßen fort, bis die Oesterreicher Schritt für Schritt zurück über die Brücke auf das jenseitige Ufer der Donau geworfen waren. Bei diesem Gefechte wurde die ganze Vorstadt Stadt am Hof ein Raub der Flammen. – Napoleon, welcher den ganzen Tag hindurch anwesend war und allenthalben gesehen wurde, stand gegen Abend nicht ferne von mir auf der Anhöhe mit einer ungeheuren Suite von mehr als hundert Köpfen; fast alle Generäle mit ihren Adjutanten hatten sich in einer Entfernung von etwa 40–50 Schritten hinter ihm versammelt. Das Ganze war prachtvoll von der Abendsonne beleuchtet. Unverwandt blickte er nach der Stadt in das mittlerweile bedeutend gewachsene Feuer. Er schien mir unheimlich, ich dachte an Nero. Plötzlich kam Froberg, welcher sich unter der Suite des Kaisers befand und mich bemerkt hatte, zu mir hergeritten und redete mich mit den Worten an: „Adam, haben Sie den Muth, mit mir in die Stadt hinein zu reiten?“ – „Ja wohl,“ sagte ich, „ich möchte gerne sehen, wie es da drinnen aussieht.“ – „Auf keinen Fall erbaulich,“ sagte Froberg. Wir wendeten unsere Pferde, und so ritten wir in vollem Trabe der Stadt zu und kamen um halb acht Uhr hinein. Welch’ eine Verwüstung: überall zertrümmerte Fenster, halbeingestürzte Häuser, rauchende Trümmer und brennende Balken, zwischendurch Todte! Man war versucht zu fragen, wer mehr Muth gehabt habe, Mensch oder Pferd, um sich durch ein solches Labyrinth der Verwüstung hindurch zu arbeiten. Nur mit großer Mühe gelangten wir an das Haus des bayerischen Gesandten, des Grafen Rechberg, wo wir mit offenen Armen empfangen wurden. Wir kamen zu guter Stunde dort an. Die Franzosen, noch von dem wilden Kampfe erhitzt, fingen an zu plündern und begingen die gröbsten Excesse, so daß es des ganzen Ansehens und der Energie Frobergs bedurfte, um das Haus zu schützen. Uebrigens war der Kampf noch nicht ganz beendigt, als wir in die Stadt kamen; man hörte noch immer das Kleingewehrfeuer in den Straßen und der Brand nahm auf eine bedrohliche Weise zu.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers