Abschnitt 5

03 Feldzug von 1809.


Die Truppen lagerten meist auf dem Schlachtfelde und in den wenigen nahe gelegenen Ortschaften. Das Hauptquartier und der Stab gingen nach Abensberg zurück, das bald überfüllt war. Mit Mühe fand ich ein Plätzchen für mich und mein Pferd und ein sehr armseliges Essen für meinen hungrigen Magen; den ganzen Tag hatte man an Essen und Trinken nicht denken können. Weder von den Leuten des Grafen Froberg, noch von diesem selbst konnte ich etwas erfahren; erst spät erhielt ich von der Umgebung Wrede’s die Nachricht, daß Froberg als Courier zu Napoleon nach Ingolstadt gesandt worden sei, um ihm die Siegespost zu überbringen.


Am 20. wurde die Schlacht unter dem Befehle Napoleons in weit größerer Ausdehnung fortgesetzt. Auf das Gewitter des vorigen Tages war ein kalter, feuchter Morgen gefolgt, schwere, graue Wolken hingen tief am Horizonte herab, auf der Erde lag Nebel. Die Lagerfeuer brannten roth, der Rauch schlich am Boden hin und stieg nur mühsam in die Höhe.

Nachdem ich meinen Magen mit schlechtem Kaffee ein wenig erwärmt und die Leute Frobergs aufgesucht hatte, setzte ich mich wieder zu Pferde, ritt dem nächsten Lagerplatze, wo ich gestern die Truppen verlassen hatte, zu und suchte mir einen erhöhten Punkt, um möglichst viel übersehen zu können. Das Glück lenkte heute meine Schritte. Auf einer Anhöhe am Saume eines kleinen Waldes fand ich den General von Raglovich, 3) umgeben von seinen Adjutanten und Offizieren an einem Feuer sitzen. Die ganze Gesellschaft war in Mäntel gehüllt und recht malerisch um das Feuer gruppirt; den interessanten Hintergrund bildeten die Lager rund herum.

Sogleich begann ich eine Zeichnung zu machen, war aber noch nicht zu Ende, als von der Ferne her ein lärmendes Rufen sich vernehmen ließ, das immer näher kam: „Der Kaiser!“ Er, der Held des Jahrhunderts, der bewunderte und zugleich gefürchtete kleine große Mann, der siegte, wo er sich zeigte, an dessen Unüberwindlichkeit jeder glaubte, erschien bald darauf, umgeben von seinen Generälen, begleitet vom bayerischen Kronprinzen, dem General-Lieutenant Wrede und einer großen Suite, auf der Anhöhe, wo ich mich befand. Welch’ eine Erscheinung für mich, der zum erstenmale seiner ansichtig wurde! Ich machte mich so nahe hinzu als nur möglich. Da saß er auf seinem kleinen arabischen Schimmel in etwas nachlässiger Haltung mit dem kleinen Hute auf dem Kopfe und mit dem bekannten staubfarbenen Oberrocke bekleidet, in weißen Beinkleidern und hohen Stiefeln, so unscheinbar, daß Niemand in dieser Persönlichkeit den großen Kaiser, den Sieger von Austerlitz und Jena, vor welchem sich Monarchen demüthigen mußten, vermuthete, wenn man ihn nicht schon so vielfältig in Abbildungen gesehen hätte. Er machte auf mich mit seinem bleichen Gesichte, den kalten Zügen, dem ernsten, scharfen Blicke, einen fast unheimlichen Eindruck; der Glanz der vielen Uniformen um ihn her erhöhte den Contrast dieser unscheinbaren Erscheinung.

Napoleon befahl, daß man aus den verschiedenen bayerischen Regimentern Offiziere herausrufen sollte, ließ diese einen Kreis um sich und den Kronprinzen schließen und hielt an sie eine Ansprache, welche der Kronprinz ins Deutsche übersetzte. Unter anderm sagte er, daß er sie in einem Monate nach Wien führen, und Bayern den Schaden, welchen ihm jetzt Oesterreich zufüge, reichlich ersetzen wolle. Ein lautes Vivat erscholl, als er geendet, der Kreis löste sich und Napoleon stieg vom Pferde. Er entfernte sich, nur von Wrede begleitet, ging in eifrigem Gespräche mit diesem auf und ab, stand still, sprach wieder im Gehen, die Hände auf den Rücken gelegt und den Kopf etwas gesenkt, stand abermals still und klopfte Wrede auf die Schulter. Man konnte sichtlich bemerken, daß er mit ihm sehr zufrieden und in guter Stim mung war. Napoleon sammelte darauf seine Generäle um sich, ließ eine große Karte auf dem Boden ausbreiten, setzte sich nieder und traf seine Dispositionen. Man sagte, er habe die Punkte bezeichnet, wo er die Oesterreicher schlagen wollte. Die vielen militärischen Größen hier auf dieser Anhöhe um den Mann, welcher bereits die Aufmerksamkeit der Welt auf sich gezogen hatte, versammelt und sich bewegen zu sehen, war für mich als stiller Beobachter von größtem Interesse.

Während dessen hatten die Truppen Stellung genommen. Napoleon war unerwartet erschienen und mit ihm ein starkes französisches Heer, das im Vereine mit den Bayern und Württembergern sich nach allen Richtungen ausbreitete. Es schien, als wüchsen die Leute aus der Erde heraus.

Nachdem die Dispositionen getroffen waren, flogen die Generäle und Adjutanten nach allen Richtungen auseinander. Vorher aber sah ich noch eine wunderliche Scene, wie sie zuweilen im Kriege vorkommen. Man brachte einen bayerischen Postillon, der dem Marschall Lefèbre über Verschiedenes Kundschaft geben sollte. Der arme Teufel war recht verblüfft und benahm sich außerordentlich ungeschickt. Lefèbre gerieth darüber so in Zorn, daß e vom Pferde herab mit der Faust auf ihn lospaukte und ihn zum Teufel gehen hieß. Der Postillon ließ sich das nicht zweimal sagen, sondern lief, als ob er gestohlen hätte, um seinem Peiniger aus den Augen zu kommen.

Endlich bestieg auch Napoleon sein Lieblingspferd wieder, den Ali, welchen er aus Aegypten mitgebracht; noch sehe ich ihn lebendig vor mir, wie er den Hügel hinabsprengte und um die Ecke eines Waldes verschwand. Bald darauf donnerten die Geschütze auf allen Seiten.

Entfernt von Froberg, inmitten großer französischer Truppenmassen, wobei besonders lebhafte Cavalleriebewegungen vorkamen, wurde es für mich unmöglich, einen Platz zu finden, um von dem Gange der Schlacht einen Ueberblick zu gewinnen, ohne mich der Gefahr auszusetzen, überrannt oder überritten zu werden.

Prachtvoll, wahrhaft imposant waren die großen Massen französischer Cuirassiere, welche in langen geschlossenen Reihen in vollem Trab ins Treffen rückten; der Boden zitterte unter ihren Bewegungen und die Scheiden ihrer Schwerter erzeugten dabei einen eigenthümlichen, unheimlichen Ton. Dieser Anblick machte einen gewaltigen Eindruck, man fühlte sich leicht zu dem Gedanken veranlaßt, daß solche Massen alles niederwerfen müssen; und doch war ich schaudernd Zeuge, wie später auch diese Eisenmänner ganze Felder mit ihren Leichen überdeckten.

So wie gestern trieb ich mich auch heute in diesen großartigen Bewegungen ziemlich planlos herum, ich sah vieles, was mir als Neuling interessant war, aber einen Ueberblick konnte ich um so weniger erlangen, als ich mich von jener Seite immer mehr entfernte, auf der die Bayern fochten, und inmitten der Franzosen gerieth.

Indessen fehlte es mir nicht an Muth, mich immer so weit vorzuwagen, als nur möglich. Das verschaffte mir, als es schon zu dämmern begann, noch einen höchst interessanten Anblick. Ich hatte mich nämlich bis an den Platz vorgedrängt, auf dem Napoleon stand und wunderte mich selbst, daß ich dort geduldet wurde. Aber es war so lebendig in seiner Nähe, daß meine unbedeutende Persönlichkeit gar nicht bemerkt wurde.

Der Sieg des Tages war, obwohl theuer erkauft, ein vollständiger. Es wurden viele Gefangene gemacht und mehrere Tausend derselben marschirten an Napoleon vorüber, als ich eben dorthin kam. Er stand am Eingange eines Dörfchens bei einer Scheune, umgeben von einer sehr zahlreichen Suite und musterte über eine halbe Stunde jene mit Aufmerksamkeit, sprach sehr wenig und schien bisweilen in tiefes Nachdenken versunken. Vielleicht entwarf er in jenem Augenblicke schon den Vernichtungsplan für den folgenden Tag. Es vergingen auch nicht 24 Stunden, so hatte er in der That über einen Theil der österreichi schen Armee bei Landshut schon Verderben gebracht! Nicht mit der Miene des triumphirenden Siegers saß er auf seinem kleinen Schimmel, ein tiefer Ernst schwebte um seine Stirne; wer ihn sah, war wohl versucht zu glauben, er gehe in diesem Augenblicke noch mit viel Größerem um, als mit dem Siege dieses Tages.

Die Dunkelheit war hereingebrochen, als Napoleon wegritt, und der Zug der österreichischen Gefangenen hatte noch nicht geendet. Das Entwirren dieses Knäuels von Offizieren, Equipagen, Handpferden, welcher sich hier anhäufte, glich einem Ameisengewimmel, das mit einem Male aufgestört und lebendig wird. Die Dragoner der stolzen Kaisergarde, welche Napoleon als Schutzwache begleiteten, und im Gegensatze zu ihnen die armen, gedemüthigten österreichischen Gefangenen, die Todten und Verwundeten, auf die man überall stieß, die am Boden zerstreuten Waffen, Armaturstücke und Kanonenkugeln, die einbrechende Nacht, der mit schwarzgrauen Wolken überzogene Himmel, an dem man nur tief am Horizonte hin einen blutrothen Streifen sah, welchen die lange schon untergegangene Sonne zurückgelassen: das alles machte als Schlußact dieses Tages auf mich einen großartigen, tragischen Eindruck. Daß ich aber durch besonders günstigen Zufall Napoleon am Morgen vor der Schlacht und Abends als Sieger so in der Nähe beob achten konnte, läßt mich den 20. April niemals vergessen.




3) Clemens von Raglovich, geb. 1766 zu Dillingen, General der Infanterie, gest. 19. November 1836. Vgl. Schrettinger, Bayer. Max-Joseph-Ordensritter 1882.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers