Abschnitt 4

03 Feldzug von 1809.


Am 19. April sollte ich zum erstenmale Zeuge des blutigen Kampfspieles sein. Mit Ungeduld sah ich den Vorbereitungen zur Schlacht von Abensberg entgegen. 2) Alles, was um mich her vorging, ergriff mich auf das äußerste und versetzte mich in die größte Spannung; doch müßte ich Unwahrheit reden, wenn ich sagen wollte, ich hätte eine Schlacht gesehen. Weder meine Stellung als Stallmeister des Grafen Froberg und als Maler, noch viel weniger das Terrain, auf welchem am 19. der Kampf fortgesetzt wurde, war hiezu geeignet. Es hatte hier mit der Bodenbeschaffenheit dieselbe Bewandtniß, wie bei den vorangegangenen Kämpfen: Nichts als Hügelland mit kleineren oder größeren Gehölzen durchschnitten, welche die Kämpfenden oft selbst einander verbargen und die Ausdehnung einer größeren Schlachtlinie, wie bei Aspern und Wagram, nicht zuließen.


Im allgemeinen machen sich die meisten Menschen, welche nie mit im Kriege waren, von dem Anblicke einer Schlacht einen irrigen Begriff; sie glauben, man könne sie von irgend einem beliebigen Punkte bequem ansehen. Dem ist aber nicht so, denn selbst wenn sich ein solcher Punkt, z.B. eine Anhöhe oder ein Kirchthurm, findet, so sieht man nichts als Rauch und ein verworrenes Hin- und Herwogen, das für den Uneingeweihten unverständlich bleibt, wenn man sich nicht etwa selbst in das Schußbereich begeben will. Aber die Kugeln fliegen weit, viel weiter als unsere Sehkraft reicht, um die Gegenstände deutlich unterscheiden zu können. Die eigentliche Schlacht ist da, wo die Reihen der Kämpfenden durch die Kugeln gelichtet werden und die furchtbaren Geschosse Tod und Verderben um sich her verbreiten, oder die blanke Waffe mit blutiger Schrift gräßliche Wunden zeichnet. Diesen entsetzlichen Anblick hat nur der, welcher selbst bei dem Kampfe betheiligt ist oder dem Pflicht und Ehre dort auszuhalten gebieten. Für Jemand aber, der im Kampfe nichts zu thun hat, gibt es keine Weise, eine Schlacht ungestört mit ansehen zu können, selbst wenn man den Muth dazu hätte. Ein bloßer Zuschauer wird hier als eine sehr überflüssige Person angesehen und nicht leicht geduldet.

Ich mußte daher meine Neugierde bezähmen und mich begnügen, das mit anzusehen, was mir möglicherweise zugänglich war. Trotzdem aber sah ich des Interessanten und Merkwürdigen sehr vieles. Erst drei Jahre später im russischen Kriege, an der Seite des edlen Helden, des Prinzen Eugen, in seiner unmittelbaren Nähe kam ich öfters in die Lage, mich inmitten der Schlacht zu befinden.

Das Zusammenziehen größerer Truppenmassen in der Umgegend von Abensberg ließ auf eine Fortsetzung des Kampfes am 19. schließen. In dieser Voraussetzung sattelte ich früh Morgens bei guter Zeit mein Roß und ritt hinaus, um die Bewegungen zu beobachten. Zuerst kam ich an einen mit einigen Baumgruppen und Gesträuchen bewachsenen Hügel, auf dem eine kleine Kirche oder Kapelle stand. Hier befand sich eine Batterie, welche abgeprotzt hatte. Die Artilleristen standen um ihre Kanonen herum, die Blicke in die nebelige Ferne hinausgerichtet, voll Spannung der Dinge harrend, die da kommen sollten. Unter ihnen fand ich meinen Jugendfreund, welcher zu Vohburg sein Essen mit mir getheilt, zu unserer gegenseitigen Freude wieder. Als Kinder hatten wir oft mit einander Soldaten gespielt, jetzt sollte aus dem Spiele Ernst werden. Vielleicht ist er frühzeitig ein Opfer seines Berufes geworden; ich sah und hörte von jenem Augenblicke an nie mehr etwas von ihm. Von dieser kleinen Höhe herab konnte man recht hübsch die Entwickelung der verschiedenen Truppenkörper beobachten; als ich aber große Infanteriemassen auf der Hauptstraße sich vorwärts bewegen sah, zog es mich mit fort. Ich suchte durchzukommen, so gut es ging, und kam mit voran, bis es hieß: Halt! und die Truppen Stellung nahmen.

In diesen Vorbereitungen zu einer Schlacht liegt etwas eigenthümlich Ernstes; es geht eine gewisse feierliche Stille dem Beginne des Kampfes voraus.

Es mochte gegen 9 Uhr Morgens gewesen sein, als man links in der Richtung von Dinzling und weiter westlich eine heftige Kanonade vernahm. Es waren die Franzosen unter General Montbrun und andern Befehlshabern, welche dort mit den Oesterreichern in einen sehr blutigen Kampf verwickelt waren. Bald darauf entspann sich auch das Gefecht von bayerischer Seite; eine kurze Zeit dauerte das Kleingewehrfeuer, dann aber stiegen große, lichte Rauchwolken empor und der Donner der Geschütze rollte auf allen Seiten fürchterlich. Gar zu gern wäre ich vorwärts gegangen und hätte mich um einige verlaufene Kugeln auch nicht sehr gekümmert, denn an diese gewöhnte ich mich doch bald; aber ich war noch zu sehr Neuling, zu wenig orientirt und trieb mich deßhalb eben ziemlich planlos herum, um meine Neugierde zu befriedigen, so gut es ging.

Nach und nach kamen die ersten Verwundeten aus der Schlacht, die mein Mitleid in höchstem Grade erregten. Die Sache fing an mir verdammt ernst vorzukommen und noch hatte ich keine verstümmelten Todten und Sterbende gesehen.

Den ganzen Tag trieb ich mich so nach allen Richtungen herum und kam endlich an den Platz, wo der kommandirende General-Lieutenant Wrede stand. Ich freute mich, diesen Helden, welchen ich schon in den Friedensjahren 1807 und 1808 in Augsburg persönlich kennen gelernt und für den ich seines biedern und kräftigen Charakters wegen stets besondere Sympathie fühlte, nun auf dem Schlachtfelde zu sehen. Die Adjutanten flogen hin und her und es ging gewaltig lebhaft zu. Hier war ich Zeuge, wie ein Rittmeister – wenn ich nicht irre – der Bubenhoven-Chevauxlegers siegestrunken in schnellstem Laufe daher gesprengt kam, um die Meldung von einem bedeutenden Siege der bayerischen Cavallerie über ein österreichisches Löwenehr-Dragonerregiment zu überbringen. Solche Momente haben etwas Begeisterndes. Böswillige machten die Bemerkung, der Herr Rittmeister sei nicht blos siegestrunken, es müsse auch eine kleine Nachhilfe aus der Flasche stattgefunden haben. Er schrie gewaltig, als ob der gute General-Lieutenant Wrede taub gewesen wäre, sah sehr erhitzt aus und konnte gar nicht fertig werden, zu erzählen. Doch das sind Nebensachen. Ich für meinen Theil habe keine Meinung hiebei; ich freute mich, Zeuge dieser Meldung gewesen zu sein. Wrede nahm sie gut auf.

Nach langem Suchen fand ich den Platz, wo dieses Reitergefecht stattgefunden, und traf hier auf die Spuren eines blutigen Kampfes. Unter vielen schwer Verwundeten gerieth ich hier an eine Gruppe, welche malerisch schön, aber gräßlich aussah. Zwei Mann und zwei Pferde lagen auf einem Knäuel beisammen; sie hatten hinter einander gestanden und waren von einer Kanonenkugel, die aus einer bayerischen Batterie in ihre Reihen einschlug, niedergeschmettert. Diese hatte dem Vordermanne die Hüfte weggerissen und dem Zweiten das linke Bein, das eine Pferd am Hals, das andere an der Brust und Schulter tödtlich verwundet. Die ganze Gruppe schwamm buchstäblich im Blute. Der Mann, welcher sein Bein verloren, hatte die Geistesgegenwart, dasselbe, weil es noch an einigen Fleischtheilen hing, mit einem Messer abzuschneiden. Es lag noch im Stiefel steckend neben ihm, als ich diese Unglücklichen in solchem Zustande antraf. Mit einer unbegreiflichen Fassung erzählte jener in Kürze den Hergang der Sache und sagte am Schlusse, er sei sein ganzes Leben ein braver Kerl gewesen, wäre sich gar nichts Bösen bewußt und nun müsse ihm ein solches Unglück widerfahren! Diese armen Menschen baten mich um einen Trunk Branntwein, den ich ihnen nicht reichen konnte, ich hatte keinen; aber ich ritt fort und war so glücklich, mir solchen zu verschaffen, so daß ich ihre Bitte zu erfüllen vermochte. Mitleidige Bauern, welche aus eigenem Antriebe hinausgefahren waren, um Verwundete wegzubringen, holten sie vom Schlachtfelde; der eine aber mit der abgeschossenen Hüfte mag wohl kaum den Abend überlebt haben.

Der Tag neigte sich zu Ende und der Sieg war auf allen Punkten entschieden. Der großen Tapferkeit der österreichischen Truppen ließ man von allen Seiten Gerechtigkeit widerfahren, aber Napoleons Feldherrntalent und Glück mußte alles unterliegen. Die Zeit war noch nicht gekommen, wo auch er die Wandelbarkeit des Glückes erfahren sollte.

Gegen Abend entlud sich ein Gewitter, so daß die Blitze der Natur mit denen der Kanonen wetteiferten und der Donner rollte oben seinen Baß zu den Lärmen unten und dem Siegesmarsche der Krieger.




2) Ueber diese Ereignisse: die Schlacht bei Abensberg, Einnahme von Regensburg, Landshut u.s.w. vgl. die Darstellungen in Ed. Freiherr v. Völderndorff-Warndein: Kriegsgeschichte von Bayern unter König Maximilian Joseph I. München 1826. II. 77 ff.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers