Abschnitt 3

03 Feldzug von 1809.


In einer großen Schenkstube, in welcher alles voll Soldaten, Fuhrleuten und Bauern auf der Streu lag und eine Luft zum Ersticken war, machten mir endlich ein paar Grenadiere neben sich Platz. Hier lag ich nun auf der Streu und hatte genügende Gelegenheit, über die Worte nachzudenken, welche Froberg einige Wo chen zuvor bei Tische gesprochen, als er mich auf die Beschwerden und Entbehrungen des Krieges aufmerksam machte.


„Also der 16. April, mein Geburtstag ist heute – ein schöner Geburtstag! Und der gestrige Marsch ein hübsches Vorspiel zu dem Wege, den ich nun zu betreten begonnen!“ sagte ich zu mir selbst, als ich beim Erwachen mich in dieser dumpfigen Stube auf der Streu fand. Nachdem ich meine müden Glieder ein wenig ausgestreckt, machte ich mich eilig hinaus. Mein erster Gang führte mich in den Stall, um zu sehen, ob mein armer Klepper noch bei Leben sei. Zu meiner Verwunderung fand ich ihn fressend, was immer ein gutes Zeichen ist, denn wenn müde Pferde das Futter verschmähen, steht es nicht gut um sie. Doch hatte es den Strengel und sah elend aus. Ich drückte dem Hausknechte Geld in die Hand und versprach ihm dazu ein reiches Trinkgeld, wenn er das arme Thier ordentlich verpflegen würde, bis ich zurückkäme. Hierauf begab ich mich auf die Straße. Mein Gott, was war da für ein Treiben und Rennen! Auf dem Markte wollten die Bauern den Landrichter erschlagen, weil er ihnen unerträgliche Lasten aufgebürdet habe. Zwischen hinein heulten Weiber und Kinder, da die Soldaten Brod forderten, das sie selbst nicht hatten und jene sie deßhalb mißhandelten. Vor dem Thore war ein Militärpferd in einen Keller gefallen, da der Stallboden durchgebrochen war, was einen gewaltigen Spektakel verursachte. Französische und bayerische Soldaten der verschiedensten Waffengattungen drängten sich wie toll durch einander und die Kriegsfurie schien hier schon ihr wildes Spiel zu treiben. Kurz, da die Oesterreicher sehr schnell den Inn überschritten und unerwartet in Bayern vordrangen, die französisch-bayerische Armee aber noch nicht genug concentrirt war, um ihnen erfolgreich Einhalt thun zu können, so sah alles, was seit acht Tagen geschehen, einem Rückzuge sehr ähnlich. Daraus entsteht aber immer leicht Unordnung und wird der Soldat zu Excessen geneigt. Auch hier hegte man schon Besorgnisse wegen Annäherung des Feindes. In dieser Verwirrung begegneten mir französische Kürassiere, welche ein dem äußern Anscheine nach starkes, aber krankes Pferd vor die Stadt führten, wo sie es tödteten. Sie nahmen ihm sodann die Hufeisen, schnitten ihm den Schweif ab und ließen es liegen. Es lag in einer sehr hübschen Stellung und war so schön von der Sonne beleuchtet, daß ich mich nicht enthalten konnte, eine Zeichnung desselben zu machen, welche ich sogar mit Sepia sauber ausführte. Dann aber mahnte mich mein Magen, der gestern sehr wenig und heute noch nichts erhalten, gebieterisch an die Rückkehr. In Vohburg trieb ich mich nun wieder von Wirthshaus zu Wirthshaus, um etwas zu essen zu bekommen, aber überall hieß es: „Wir haben selbst nichts, was wir hatten, fraßen uns die Soldaten hinweg!“

Als mich solcher Weise eine Kellnerin schnöde abgewiesen, kam ich an einem Hause vorbei, vor dem auf einer hölzernen Bank ein bayerischer Kanonier saß. Er betrachtete mich vom Kopfe bis zu den Füßen, was meine Aufmerksamkeit erregte. Ich erkannte in ihm einen Jugendgespielen und Schulkameraden, setzte mich zu ihm und wir erzählten uns in Kürze, wie es uns ergangen. Als er hörte, daß ich für Geld nirgends etwas zu essen bekommen konnte, ließ er sich sein Mittagessen bringen und theilte es mit mir bis auf den letzten Bissen Brod und den letzten Tropfen Bier. Nachdem ich mich so durch Freundestreue gestärkt, trachtete ich dem Lärmen zu entrinnen und suchte das Freie, um in Ruhe bei mir selbst zu überlegen, was nun zu thun sei, denn was ich so mühsam suchte, hatte ich auch in Vohburg nicht gefunden. Hier war weder das bayerische Hauptquartier, noch der Graf Froberg, und Niemand wußte mir Auskunft zu geben. Das Getümmel hier gehörte zu der Vorhut der französischen Donau-Armee.

Es war ein schöner, heiterer Frühlingsmorgen und Sonntag: ich verfolgte einen Fußpfad, der sich durch grüne Wiesen an der Donau hinschlängelte. Die Natur zog ihr Frühlingskleid an: die Erstlinge der Blumen, die Gänseblümchen, guckten aus dem Grase hervor, die Lerchen wirbelten hoch in den Lüften ihr Lied; die Natur, die ewig gleiche, nahm keine Notiz von dem wilden Treiben des Krieges, in ihr herrschte der Friede. All das stimmte mich nach den Beschwerden der verflossenen acht Tage recht weich. An einem schönen Platze legte ich mich auf den Rasen nieder und meine Blicke folgten den Wellen des Stromes, der bald Zeuge blutiger Ereignisse werden sollte. Sinnend in mich gekehrt, lag ich lange; die ganze Vergangenheit ließ ich in Gedanken an mir vorüberziehen, und Gegenwart und Zukunft und meine Pläne erwägend, verfiel ich in wehmüthige Stimmung. Eltern, Geschwister, Freunde, mein heiteres, schuldloses Kunsttreiben in München und jede schöne Erinnerung meiner Jugendzeit trat mir recht lebendig vor Augen. Wenig hätte gefehlt, so wäre ich nach München zu meinem bisherigen Leben zurückgeeilt. Nur die Scham hielt mich zurück, schon durch die ersten Beschwerden und Widerwärtigkeiten mich von meinem Vorhaben abschrecken zu lassen. Ich ermannte mich und sagte bei mir selbst: „Jetzt ist weder Zeit noch Ort zu sentimentalen Betrachtungen. Du wolltest den Krieg in der Nähe sehen; schon am Anfange eines mühsamen Weges umzukehren, ist Feigheit, also vorwärts!“ Ich stand auf und lenkte meine Schritte wieder der Stadt zu. Lange noch trieb ich mich in den Straßen herum, ohne über die Bewegung des Gros der bayerischen Armee etwas Sicheres erfahren zu können. Endlich gegen 3 Uhr Nachmittags sah ich eine Chaise herannahen, in der ein bayerischer Offizier des Generalstabes saß. Von ihm erfuhr ich, daß Froberg sammt dem Hauptquartiere noch diesen Abend in Geisenfeld eintreffen werde. Ich war also gestern in der Raschheit meiner Jugend und in meiner Unvorsichtigkeit vier Stunden weiter und einen Tag zu früh über diesen Ort hinausgeeilt. Hätte ich mich bemüht, in Geisenfeld sorgfältigere Erkundigungen einzuziehen, so wäre mir viel Unangenehmes erspart geblieben.

Ich brach sogleich nach Geisenfeld auf, diesmal aber wohlweislich auf der Poststraße und gemächlichen Schrittes. Dort angelangt, fand ich bald das Quartier Frobergs. So liebreich er mir sonst begegnete, so empfing er mich doch diesmal ziemlich unsanft und schalt mich wegen meines übereilten Herumirrens hübsch aus. Indessen grollte er nicht lange, das ließ sein vortreffliches Herz nicht zu. Ich aß mit ihm und dem Baron Kleutgen, Rittmeister bei den König-Chevauxlegers, zu Nacht und ruhte in einem guten Bette von den vorangegangenen Strapazen so vollkommen aus, daß ich bereit gewesen wäre, gleich wieder einen Ritt von zweiundzwanzig Stunden zu unternehmen. Ob aber mein Fuchs dazu Lust gehabt hätte, ist sehr zu bezweifeln, denn es währte lange, bis er sich von den erwähnten Abenteuern erholte.

In den Contrasten, welche das Kriegsleben mit sich bringt, liegt übrigens ein gewisser Reiz, und ist die Gesundheit eines Mannes nicht schon zerrüttet, so wird er durch sie physisch und moralisch gekräftigt. Wer hat auch jemals eine gute Tafel, die Wohlthat einer guten Ruhestätte so genossen, wie derjenige, welcher zuvor tüchtig gehungert und sich müde gemacht hat!

Am 17. Morgens ritt ich bei herrlichem Wetter und durch eine ziemlich hübsche Gegend mit Froberg nach Ingolstadt, wo wir noch Vormittags anlangten und bei dem Stadtpfarrer einquartiert und sehr gut bewirthet wurden. In dieser Stadt tobte wieder der ganze Teufel eines Hauptquartiers; Franzosen und Bayern von allen Waffengattungen, auch viele österreichische Gefangene waren hier angehäuft. Froberg war Commandant des Hauptquartiers. Da gab es ein Laufen und Durcheinander als wie ein rauschendes Wasser, wo eine Welle die andere verdrängt.

Vor allem interessirten mich die österreichischen Gefangenen; es wurden deren viele zu Froberg gebracht, welcher sie ausfragte. Auch ein verwundeter bayerischer Dragoner mit blutigem, schlecht verbundenem Kopfe, der viel zu erzählen wußte, wurde vor ihn geführt. Ich bewunderte die Geistesgegenwart und Bescheidenheit, mit der er von seinen Wunden sprach. „Sehen Ew. Excellenz,“ sagte er zuletzt, indem er seinen Säbel herauszog, „die österreichischen Kostbeutel 1) haben mir den Säbel in der Mitte abgehauen, sonst hätten sie mich nicht so bekommen; so lange mein Säbel ganz war, habe ich ihnen das Fell tüchtig durchgegerbt.“ Froberg belobte ihn, ließ ihm ein Glas Wein geben und schenkte ihm auch etwas Geld.

Des Abends machte ich noch eine Zeichnung des schönen Lagers, welches sich an der Donau hinzog.

Am 18. früh Morgens brachen wir auf und marschirten gegen Vohburg. Von da an fand keine rückgängige Bewegung mehr statt, es ging ununterbrochen vorwärts. Unterwegs stießen wir schon auf zahlreiche österreichische Gefangene. Alle Truppen waren in Bewegung gegen Neustadt. Hier fand ich ein Lager von Leiningen- und König-Chevauxlegers, welche schon Tags zuvor kleine Attaquen gehabt hatten. Gegen 6 Uhr Abends brachen beide Regimenter auf und griffen in Verbindung mit Infanterie-Abtheilungen und Artillerie unter Wrede’s Commando den Feind in den Wäldern an. Die Nacht machte dem Gefechte ein Ende, das zum Vortheile der Bayern ausfiel und ein Vorspiel des folgenden ernsten Tages war.




1) Kostbeutel = Speisesack; Scherzname für die österreichischen Soldaten. Vgl. Schmeller 1872, I. 1308.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers