Abschnitt 2

03 Feldzug von 1809.


Von dem Kronprinzen hatte er eine sehr unangenehme Depesche erhalten: man erfuhr, daß die Oesterreicher sich München näherten; aus Tirol und von allen Seiten liefen schlimme Berichte ein, kurz, es sah recht trübe aus.


Ich aß mit dem Grafen, mit Major Plattner und einem Rittmeister zu Nacht und zeichnete während des Essens noch den Kopf des Majors, der mir sehr gefiel.

Am 11. schickte mich Froberg mit allen seinen Leuten und Pferden nach Freising zurück, und Tags darauf nach München, wo ich zur Verwunderung meiner Freunde und zu meinem größten Verdrusse Abends ankam. Die Equipagen sollten sich gegen Dachau wenden und ich in München weitere Befehle abwarten. Diese aber kamen nicht und die Oesterreicher rückten immer näher gegen München. Voll Ungeduld und Ungewißheit, was zu thun, sattelte ich am 14. April Morgens mein Pferd und ritt nach Dachau, um die Equipagen aufzusuchen. Dort erfuhr ich aber, sie seien schon weiter gegangen, man vermuthe nach Augsburg, wisse es aber nicht gewiß, und so eilte ich nach München zurück. Welch eine unheimliche Stille fand ich da, es war alles von Truppen leer, der König fort, die Stadt wie ausgestorben! Man versicherte mich, das bayerische Hauptquartier retirire über Geisenfeld gegen Ingolstadt; ich wollte eben vor Einbruch der Nacht noch fort und meinen Weg dorthin richten, als man am Thore unter großem Volksauflaufe einen französischen verwundeten Offizier brachte, welcher den Feinden drei Stunden von München in die Hände gefallen und so ausgeplündert worden war, daß er nur einen Kittel und eine Mütze trug, welche ihm ein Postillon gegeben hatte; bayerische Reiter hatten ihn befreit und in Sicherheit gebracht. Dieser Auftritt schreckte mich ein wenig, so daß ich mich entschloß, die Nacht in München abzuwarten, was weiter sich ereigne. Den andern Morgen jedoch ritt ich auf gut Glück Pfaffenhofen und Geisenfeld zu.

Kaum drei Stunden von München entfernt sah ich gegen Osten eine große Rauchsäule emporsteigen; es brannte die kurz vor dem Kriege erbaute Isarbrücke bei Freising, welche angezündet worden war, um dem Vordringen des Feindes Hindernisse in den Weg zu legen. So schont der Krieg nichts!

Ich hatte ganz abscheuliches Wetter; Wind, Regen und Schneegestöber wechselten den ganzen Vormittag um die Wette und Nachmittags brach noch ein starkes Gewitter los. Eine Strecke über Pfaffenhofen hinaus an einem Hohlwege machte mein Pferd plötzlich einen wilden Seitensprung und wollte nicht weiter: ein todtes Pferd lag in dem Hohlwege.

Eine halbe Stunde später stieß ich auf die ersten französischen Vorposten und wußte jetzt wenigstens, daß ich nicht den Oesterreichern in die Hände reite! Etwas weiter vorwärts, nahe bei einem Dorfe gewährte mir eine französische Vedette einen interessanten Anblick. Es war ein Husar, mit dessen grünem Mantel der Wind einen gewaltigen Spuk trieb, so daß er sich nur mit Mühe auf dem Pferde halten konnte. Dieses war durch das Ungewitter wild geworden, bei jedem Blitz und Donnerschlag machte es einen Sprung, bäumte sich und drehte sich im Ringe herum. Wie gerne hätte ich mich trotz Wind und Wetter verweilt und den Kerl gezeichnet. Es schien zu interessant, allein es war nicht daran zu denken, ich hatte selbst Mühe, mich auf dem Pferde zu halten. Es ist dies ein Uebelstand, den ich leider in dem Kriegsleben nur zu oft bitter empfunden habe, daß man an den interessantesten Gegenständen vorübergehen muß, ohne sie auch nur mit ein paar Bleistiftstrichen festhalten zu können, weil Zeit und Umstände, Oertlichkeit oder andere Hindernisse es nicht gestatten. Besonders drei Jahre später, im russischen Kriege, kam mir das nur zu oft vor, und einige Male, wo ich die nöthigen Rücksichten außer Augen gelassen, wäre mir das Verweilen von nur zehn Minuten bald sehr übel bekommen.

Geduldig setzte ich meinen Weg fort und erreichte bald ein Dorf, wo ich mich mit meinem Pferde unter eine Scheune stellte, bis das Gewitter ein wenig ausgetobt hatte und ich indessen meinem armen Pferde ein wenig Futter geben ließ. Der alte Bauer, bei dem ich einstellte, klagte mir ein Jammerlied über die Plagen des Krieges; ich tröstete ihn damit, daß sie vorübergehen und die ungebetenen Gäste bald weiterzie hen werden, und ritt weiter. Nach kaum einer halben Stunde gewahrte ich ein Dorf, das in vollen Flammen stand, ein Knabe kam athemlos gelaufen; ich fragte: „Was ist es mit diesem Feuer? Wie ist es entstanden?“ – „Ach, Herr,“ erwiderte er, „das Gewitter hat eingeschlagen, ich eile zum nächsten Dorfe, um Hilfe zu holen.“ Bald nach ihm folgte ein anderer auf einem ungesattelten Pferde in vollem Laufe. So sendete heute auch noch die Natur ihre Schrecken zu den Plagen des Krieges in einer Zeit, wo diese Erscheinungen in unserem Klima sehr selten sind.

Auf diesem unbehaglichen Marsche gesellte sich auch ein dem Anscheine nach wohlhabender Landwirth zu mir, welcher von Pfaffenhofen aus bis Geisenfeld nicht von meiner Seite wich. Er ritt auf einem kleinen, aber sehr guten, gedrungenen Pferde und schien große Eile zu haben. Anfangs war mir das nicht zuwider, denn die Pferde gehen in Gesellschaft lieber, als allein, und wir kamen auch rasch vorwärts; ich sah aber bald, daß mein Pferd sich bei dieser Eile vor der Zeit abmatten würde, eine Besorgniß, die in der Folge sich auch begründet zeigte; gern wäre ich dieses Begleiters los geworden, aber ich konnte ihm die Straße nicht verbieten, und er wurde immer zutraulicher. Im Laufe des Gespräches erzählte er, daß er sich vor den Oesterreichern habe flüchten müssen, weil er an die Bayern etwas verrathen habe, und in der That schien er in einer Angst zu sein, als ob die Husaren schon hinter ihm her wären. In späterer Zeit hatte ich oft Gelegenheit, die Beobachtung zu machen, daß furchtsame Menschen glauben, in Gesellschaft weniger Gefahren ausgesetzt zu sein. In diesem Falle schien sich mein Begleiter zu befinden; erst in Geisenfeld, wo wir bei einbrechender Nacht ankamen, konnte ich seiner los werden.

Hier hatte ich aber vergebens das Hauptquartier gesucht, dieses sei, hieß es, in Vohburg an der Donau. Und nun beging ich die große Thorheit, mit einem durch die Beschwerlichkeit des heute zurückgelegten Weges von 18 Poststunden schon ermatteten Pferde in der Nacht noch weiter zu reiten. Ein Bauer, welcher des Weges kam, beredete mich, nicht die Poststraße zu wählen, sondern einen weit nähern Weg durch einen Wald einzuschlagen, den er mich führen wolle; aber es wurde stockfinster, wir verloren den Weg, meinen Begleiter erfaßte Angst, und er versuchte durchzubrennen. Darüber wurde ich so erbittert, daß ich eine Pistole herauszog und zu schießen drohte, wenn er sich entferne. Mühsam tappten wir nun auf einem sumpfigen Boden fort, bis sich in der Ferne Licht zeigte. Dies, sagte der Bauer, sei Licht von Vohburg, ich könne nicht mehr fehlen, links vom Walde liege sein Dorf. Er bat so flehentlich, ihn doch gehen zu lassen, bis ich meine Pistole einsteckte und den Kerl laufen ließ. Aber ich verlor bald wieder das Licht aus den Augen, und die Strafe für mein thörichtes Beginnen, diesen Weg noch in der Nacht zu reiten, blieb nicht lange aus. Unversehens gerieth ich an einen tiefen, sumpfigen Graben. Mein Pferd stürzte hinein, als wäre es von einer Kugel niedergeschmettert. Da lagen wir Beide. Mit Mühe zog ich meinen rechten Fuß unter dem Pferde hervor und kroch endlich heraus. Was aus meinem Pferde geworden, wußte ich lange nicht, und hätte ich es nicht bisweilen stöhnen hören, so würde ich geglaubt haben, es sei todt. Trost- und rathlos saß ich nun eine gute halbe Stunde am Ufer, an einen Baum gelehnt und wollte den Morgen abwarten. Indeß fing mein Pferd an, Gras zu fressen und aus dem Bache zu saufen, zuletzt machte es auch Anstrengungen, selbst aufzustehen, was ihm mit einiger Nachhilfe von meiner Seite mühsam gelang.

Nach einem Versuche, ob das arme Thier noch gehen könnte, saß ich wieder auf, aber es war ein Reiten zum Erbarmen. Ich selbst war von dem Sturze auf einer Seite naß, der Sattel voll Koth, die Zügel zerrissen. So schleppten wir uns mühselig mit einander fort, bis ich endlich aus dem Walde herauskam und abermals in der Ferne ein Licht erblickte, auf das ich lossteuerte. Es kam aus einem kleinen Bauernhause. Nach langem Klopfen und Rufen erschien endlich eine alte Frau mit gutmüthigem Gesichte an einem Fensterchen. Auf meine Bitten öffnete mir ihr Mann die Thüre. Es waren arme Taglöhnersleute, der Mann war erst spät von der Arbeit nach Hause gekommen. Ich bat um einen Trunk Wasser und Brod. Der Mann theilte mit mir sein Drescherbrod und die Frau gab mir dazu ein paar grobe Nudeln, das Beste, was sie hatte. Ich wollte für dieses Labsal den Leuten etwas Geld geben, aber sie weigerten sich; nur mit Mühe konnte ich sie bewegen, zwölf Kreuzer anzunehmen. Der Mann begleitete mich auf die rechte Straße, auf der ich um 1 Uhr Mitternachts, nach einem abenteuerlichen Marsche von zweiundzwanzig Stunden, endlich in Vohburg anlangte.

Nach diesem erschöpfenden Tage dachte ich nun, auf einem erträglichen Lager ausruhen und gut schlafen zu können; aber wie enttäuscht war ich, als ich von einem Wirthshause zum andern kam und überall ausgelacht wurde, weil ich nach einem Bette fragte. „Nicht einmal einen Bund Stroh können wir geben,“ hieß es, „der ganze Ort ist überfüllt mit Soldaten, die alles aufzehren.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers