Abschnitt 11

03 Feldzug von 1809.


In Wien setzte ich mich wieder an meine Staffelei, vollendete die früher angefangenen Arbeiten und übernahm neue Aufträge, die sich aber rasch so sehr häuften, daß sie mir lästig wurden. Mehr als einmal kam ein Offizier, den ich unter dem Vorwande, ich hätte keine Leinwand zu Hause, abwies; aber er kam wieder und brachte die auf die Blendrahme aufgespannte Leinwand mit. Dieser Fall kam mir mehr als einmal vor. Die Franzosen sind ungemein findig und wußten bald auszukundschaften, wo man dergleichen Materialien gut zu kaufen trifft. Nun sollte ein Reiterportrait gemacht werden – aber auf welch’ komische Weise! Ohne alle Vorbereitung malte ich den Kopf der Person, welche mich sozusagen zum Malen zwang, mitten in die Leinwand und hing diese dann an die Wand, bis ich Zeit zur Vollendung des Bildes hätte. Viele dieser Sachen kamen aber gar nicht zur Ausführung; noch heute besitze ich mehrere kleine, sehr ähnliche Portraits interessanter Persönlichkeiten, welche ich bei meinem Abschiede von Wien aus der Leinwand herausschnitt und mitnahm.


Einen mir sehr willkommenen Auftrag erhielt ich von dem General Durosnelle. Er wollte ein umfangreicheres Bild als die meisten anderen, welche ich bisher in Wien vollendet hatte; er ließ sich malen in einem äußerst figurenreich gruppirten Bivouak, von seinen Leuten und Pferden umgeben. An diese Arbeit ging ich mit besonderer Lust, konnte aber kaum zum Anfange, viel weniger zur Vollendung kommen, bis mir der Zufall Hilfe brachte. Durosnelle wohnte bei Napoleon im Schlosse zu Schönbrunn und schickte mir seine Leute und Pferde von dort nach Wien zu den Sitzungen. Er selbst fand sich auch zu diesem Behufe einige Male ein, aber immer saß schon ein anderer, wenn er kam. Zuletzt mußte ihm das bei aller ihm eigenen Höflichkeit doch zu viel werden. Er erklärte: „Ich komme morgen früh um 9 Uhr, erwarte aber, daß Sie dann nur mich und niemand andern, wer es auch sein mag, vornehmen.“

Ich hatte alles für diese Sitzung hergerichtet, als Taillerand-Perigord, ein Adjutant des Marschalls Bessières, kam, um mir zu sitzen; keine Entschuldigung half, ich solle wenigstens anfangen, er wolle den Platz räumen, wenn Durosnelle käme. Ich nahm meine Zuflucht zu einer Finte und sagte: „Für die erste Sitzung muß ich Sie zu Pferd und in ganzer Uniform sehen, sonst kann ich nicht anfangen!“ Er ließ sich nicht abbringen, schickte seinen Diener fort, ließ sich Pferd und Uniform holen und begann in meinem Zimmer sich umzukleiden. Eben wollte er seine rothen, reich mit Goldstickereien verbrämten Hosen anziehen, als Durosnelle eintrat. Er blieb erstaunt unter der geöffneten Thüre stehen, schaute mich und den Adjutanten an und sagte: „Da haben wir wieder die alte Geschichte!“ Ich entschuldigte mich und erwiderte: „Mein General, hier weiß ich nur einen Ausweg, um Ihr Bild, welches ich so gerne mit einiger Muße malen möchte, vollenden zu können: Ich will Ihr Arrestant in Schönbrunn werden, bis ich mit dem Bilde fertig bin, wenn Sie mich zu sich nehmen. Ihrer Sorge überlasse ich es dann, daß ich bei der Arbeit nicht inkommodirt werde.“ Durosnelle ging mit Vergnügen auf diesen Vorschlag ein und schickte schon den folgenden Tag seinen Wagen, um mich abzuholen.

In Schönbrunn verlebte ich fünf Wochen in den angenehmsten und behaglichsten Verhältnissen. Mein Kunsttreiben in Wien hatte wohl in Bezug auf Ertrag und Aufmunterung sein Angenehmes; aber es war doch ein zu handwerksmäßiges Schaffen, in welchem ich mir selbst nicht gefiel; ich schätzte mich darum glücklich, ihm entronnen zu sein.

In der Nähe eines geistreichen, kunstsinnigen Mannes, wie Durosnelle, konnte ich mich wieder sammeln und mit voller Liebe der Arbeit hingeben, welche mir Freude machte. So kam ich seit fünf Monaten zum ersten Male zu einem Ruhepunkte und wurde wieder fähig, mich zu sammeln.

Durosnelle, ein Adjutant des Kaisers und einer der liebenswürdigsten Männer aus Napoleons Umgebung, war von mittlerer Größe, wohlgestaltetem Körperbau und sein Kopf schön; in seinen Gesichtszügen lag etwas Mildes und Edles, in seinem ganzen Wesen etwas Vertrauen Erregendes, durchaus Verständiges. Man sagte, Napoleon sei ihm sehr geneigt und es war ein eigener Zug seines Charakters, daß er solchen Männern gerne sein Herz zuwendete.

Durosnelle liebte die Kunst sehr und hatte mir mein Arbeitszimmer neben seinem Schlafgemache angewiesen; oft geschah es, daß er sehr früh Morgens gerade aus dem Bette vor meine Staffelei trat und mir lange bei meiner Arbeit zusah. Er wohnte gerade über dem Kaiser, was mir Gelegenheit bot, diesen fast täglich auf dem großen Balkon des Schlosses, auf dem er oft nach der Tafel den Kaffee trank, zu sehen. Ich beobachtete ihn auch, wenn er des Abends, sobald es kühl wurde, im Garten nachdenkend, langsamen Schrittes auf und ab ging. Gewöhnlich hatte er dann nur einen seiner Vertrauten bei sich.

Die Aussicht meiner beiden Zimmer ging auf den schönen Garten, in welchem die tiefste Stille herrschte. Hier konnte man ganz vergessen, daß man sich im Kriege befand, was mir als Abwechslung und nach dem, was ich in fünf Monaten erlebt und gesehen, ungemein wohl that. Ich arbeitete zwar jetzt auch in Schönbrunn recht fleißig, aber ganz con amore, denn Durosnelle sorgte dafür, daß ich in meinem freiwilligen Arreste, der mir sehr behagte, nicht gestört wurde.

Eine Unterbrechung dieser Stille waren zur Mittagszeit die glänzenden Paraden im Schloßhofe. Auf diesem großen Raume, der zu einem solchen militärischen Schauspiele wie geschaffen schien, sah man täglich mehrere Tausende der verschiedensten Waffengattungen von der prachtvollsten Armee des Jahrhunderts. Dem Ganzen verliehen die kaiserlichen Garden immer einen überwältigenden Glanz.

Auch hier hatte ich Gelegenheit, den Abgott der Soldaten zu beobachten, wie er mit tiefem Ernste die Truppen musterte und an sich vorüberziehen ließ.

Nach Vollendung meines Bildes kehrte ich nach Wien zurück. Es fiel mir schwer, den schönen Aufenthalt zu verlassen, aber ich hatte viele angefangene Portraits in Wien stehen, welche ich vollenden wollte.

Eines Abends (es war der 16. September) traten zwei Offiziere in blauen Oberröcken ohne alle Distinktionszeichen in mein Atelier, nur der Hut des einen bezeichnete den General. De Bonti’s Kammerdiener, welcher sich im Vorzimmer befand, öffnete ihnen mit Ehrerbietung die Thüre und verschwand. Sie baten um Erlaubniß, meine Bilder und mein Portefeuille sehen zu dürfen; ich rückte einen kleinen Tisch neben die Staffelei, legte letzteres darauf, bot ihnen Stühle an und entschuldigte mich, daß ich fortarbeitete, denn ich hätte zu befürchten, daß mich die Dunkelheit ereile, was sie billigten. Zuerst betrachteten sie die angefangenen Bilder an der Wand, amüsirten sich daran und erkannten auf den ersten Blick alle Portraits.

Sodann setzte sich der eine dieser beiden Herren an den Tisch und sah alle meine Zeichnungen bis zum letzten Blatt in dem Portefeuille mit großem Interesse durch, der andere aber dankte für den Stuhl und blieb stehen. Sie richteten während des Durchblätterns verschiedene Fragen an mich, unter andern, ob ich nie in Italien gewesen. Ich verneinte es, worauf der eine fragte, ob ich Lust hätte, dorthin zu gehen, er kenne den Vicekönig sehr gut und wolle mich bei ihm empfehlen, die Vicekönigin sei eine bayerische Prinzessin und ich könnte dort gute Aufnahme finden. Ich dankte so verbindlich ich konnte und erwiderte, daß ich gerne nach Italien ginge, allein Monsieur de Bonti habe mir versprochen, mich mit nach Paris zu nehmen, und ohne seine Zustimmung würde ich nichts unternehmen.

Darauf erhob sich der Sitzende, klopfte mir freundlich auf die Schultern und sagte, das sei recht brav von mir, Dankbarkeit kleide den Menschen immer gut, er werde de Bonti selbst über die Sache sprechen.

Alsdann entfernten sie sich freundlich grüßend, der Kammerdiener öffnete ihnen, was er sonst nie that, abermals die Thüre und machte, nachdem sie fort waren, ein äußerst pfiffiges Gesicht, ohne weiter ein Wort über den Besuch zu äußern.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers