Abschnitt 10

03 Feldzug von 1809.


Diese Herren fanden besonders Wohlgefallen an der Leichtigkeit und dem großen Eifer, mit dem ich arbeitete, sowie an meinem unbefangenen und natürlichen Wesen. Ich erhielt viele Beweise von Auszeichnung. Maret und mehrere andere hohe Persönlichkeiten zogen mich öfters zur Tafel und bewiesen mir bei jeder Gelegenheit ihre Gunst.


Meine Jugend ward hiebei wohl auch berücksichtigt. Es lag damals überhaupt im Geiste der Zeit, nur auf die persönliche Tüchtigkeit eines Menschen Rücksicht zu nehmen; nur das wahre Verdienst bildete den Werth des Mannes. Alter, Rang und Stand hob keinen empor, wenn er nicht durch Thatkraft sich bemerklich machte. Das bloße Talent war nicht genügend, man wollte auch Muth, Kraft und Ausdauer sehen, denn das waren die Hebel, mit denen so Großes unter Napoleon vollbracht wurde. Niemand fragte nach dem Rocke, der konnte immerhin nachlässig sein, wenn nur das, was in ihm steckte, brauchbar war.

Ich habe dem Gange der Ereignisse etwas vorausgegriffen, um im Zusammenhange zu bleiben.

Die so eben geschilderten Arbeiten wurden unter brochen durch die Tage der Schlacht bei Wagram (5. und 6. Juli). Diesmal hatte ich mich mit einem Passirscheine versehen, welchen mir de Bonti verschaffte, um keinen Verlegenheiten ausgesetzt zu sein. Allein auch in der Schlacht bei Wagram ging es mir nicht besser, als in den früheren Treffen dieses Feldzugs. Ohne Führer, keinem Corps, keinem Stabe angehörig, irrte ich auf dem unermeßlichen Schlachtfelde ganz allein planlos herum, sah aber dennoch viel Interessantes und zeichnete viel.

Der 5. Juli brachte keine Entscheidung; die Armeen schlugen sich bis Einbruch der Dunkelheit; erst die Nacht machte dem Gefechte ein Ende. Der Kampf hatte viele Opfer gekostet.

Herrlich stieg am folgenden verhängnißvollen Tage die Sonne herauf und verbreitete ihren Glanz über die goldenen Saaten, welche heute, statt die Scheunen des Landmannes zu füllen, unter den Hufen der Rosse zertreten werden sollten.

Schon mit dem ersten Dämmern des Tages sah man, soweit das Auge reichte, die Waffen der Oesterreicher blitzen; es herrschte dabei die größte Stille, und es lag in dem Anblicke etwas Unheimliches, aber Feierliches.

Um eine Beschreibung dieser kolossalen Schlacht bei Wagram zu machen, bedarf es einer andern Feder.

Die Schlachtlinie dehnte sich auf einer durch sanfte Hügel hie und da unterbrochenen Ebene mehrere Stunden weit aus. Gegen die österreichische Stellung hin erhob sich diese, wodurch eben der Anblick dieser Armee so imposant wirkte. Mit Tagesanbruch begann auf dem linken Flügel die Kanonade, die sich bald auf die ganze, ungeheure Linie ausdehnte. Es sollen von beiden Seiten weit über tausend Geschütze im Feuer gewesen sein. Napoleon ließ gegen Mittag auf einen einzigen Punkt hundert Geschütze auffahren; wenn man bedenkt, welchen Raum diese allein in Anspruch nahmen, so kann man sich eine Vorstellung von der Ausdehnung jener Schlacht machen. Prachtvoll, aber schauerlich war das Hin- und Herwogen des Kampfes anzusehen; einen wehmüthigen Anblick gewährten die zertretenen, zum Theil schon schnittreifen Kornfelder: sie sind das Grab vieler Tausende von Menschen und Pferden geworden. Man stieß auf Felder, welche mit Leichnamen und todten Pferden übersäet waren. Da nämlich bei Wagram Cavallerie und Artillerie sehr thätig war, kostete es auffallend viele Pferde. Dieses dem Menschen so getreue Thier erregt immer großes Mitleid, weil sein Schmerz so stumm ist und weil es den Menschen oft so wehmüthig anblickt. Manche dieser armen Thiere hinkten mit einem abgeschossenen Fuße auf drei Beinen herum. In großer Anzahl schleppten sich leicht und schwer verwundete Krieger aus dem Kampfe zurück oder wurden zu rückgetragen.

Vom frühesten Morgen an rollte der Donner der Geschütze unaufhörlich; gegen Abend entfernte er sich allmählig und man konnte daraus schließen, daß die Oesterreicher sich zurückzogen. Es war im wahren Sinne des Wortes eine heiße Schlacht. Nicht nur der Kampf war heiß: den ganzen Tag brannte die Sonne fürchterlich, man sah die Soldaten vor Durst lechzend an dem Brunnen eines halb oder ganz zerstörten Ortes sich um einen Trunk Wasser balgen. Der Krieg sucht gewöhnlich die Wohnungen der Menschen mit Feuer und Schwert heim und brennende und zerstörte Ortschaften sind fast immer die traurigen Schlußdecorationen von diesem fürchterlichen Drama. Es fehlte auch diesesmal nicht an diesen Zeichen der Verwüstung.

Gegen Abend begab ich mich nach dem linken Flügel, auf dem unsere bayerische Cavallerie, darunter auch das mir so bekannte Regiment König, stand und bald darauf rückten sie auch in das Treffen. In langer Colonne zogen sie still über einen schönen Wiesengrund hin, man hörte kaum die Pferde auftreten; nur die jungen Soldaten bramarbasirten viel, bis ein alter Wachtmeister an der Colonne hinritt und jene anbrummte: „Braucht lieber eure Säbel, als eure Mäuler tüchtig, wenn’s losgeht. Diesmal gilt’s!“ In der That kam das Regiment noch stark in das Feuer. Ich wollte durchaus mitreiten, aber der Oberst hatte mich bemerkt und wies mich mit großer Entschiedenheit zurück.

Napoleon bekam ich an diesem Tage nicht zu sehen. Dagegen sah ich mit Betrübniß den General-Lieutenant Wrede schwer verwundet aus dem Treffen zurückbringen; eine Kanonenkugel hatte ihn an der Hüfte so gestreift, daß man für sein Leben besorgt war.

Die Feuerschlünde waren verstummt, nicht aber das Aechzen und Stöhnen der Schwerverwundeten, denen man überall begegnete. Dort schleppten vier Soldaten einen General, in Ermangelung jeglichen Transportmittels, blos in seinen Mantel gehüllt. Da trug ein Krieger seinen Kameraden, dem ein Fuß abgeschossen war, auf den Schultern, dort zogen andere statt der Pferde einen großen Karren, auf den sie Schwerverwundete geladen hatten; da führten französische Cuirassiere, blos um ihr Gepäck zu retten, Pferde zurück, welche elend auf drei Beinen einherhinkten: kurz, es war eine grausige Scene. Alles trieb sich durcheinander, um noch eine Ortschaft zu erreichen und ein Obdach zu gewinnen. Ueberall stieß man auf abgeschossene Glieder, Waffen und Armaturstücke, Kopfbedeckungen, zerfetzte Kleider, Schuhe und auf alle möglichen Gegenstände, welche der Soldat mit und an sich trägt. Dazwischen lagen die furchtbaren eisernen Würfel, welche hier ihr wildes Spiel getrieben: an einigen Stellen war das Feld ganz mit Kanonenkugeln übersäet.

Mein Weg führte mich an einem Kirchlein vorbei, dessen Dach und Mauern von den Kugeln arg zugerichtet waren; die ganze Ausstattung desselben, selbst das Crucifix hatten die Soldaten herausgeworfen, um ihre verwundeten Kameraden hineinzulegen. In kleiner Entfernung davon fiel der Blick auf die verödeten Mauern ausgebrannter Häuser, in denen gespensterhaft die schwarzen Kamine in den abendlichen Himmel emporragten. Der Tag neigte sich zu Ende und die Sonne, welche bei ihrem Aufgange zwei prächtige Armeen, die mit blinkenden Waffen in der Hand einander kampfesmuthig gegenüber gestanden, beleuchtet hatte, beschien die traurigen Reste. Ja, Froberg hatte Recht, als er sagte: „Du wirst finden, daß der Krieg eine ernste Sache ist,“ dachte ich bei mir selbst.

Es war noch ein gutes Stück Weg von mehreren Stunden bis Wien zurückzulegen und mein armer Schimmel, auf welchem ich den größten Theil dieses langen Tages gesessen hatte, war so ermattet, daß er kaum mehr fortkonnte.

Auf der Insel Lobau ließ ich ihn eine halbe Stunde grasen, wodurch er sich wieder etwas erholte; ich selbst legte mich unter einen Baum auf den Boden. Hier sah ich noch ein ernstes Bild: vier hessische In fanteristen trugen auf einer Bahre einen Todten oder Sterbenden stumm und still an mir vorüber. Man vernahm keinen Laut, als die regelmäßigen Fußtritte, welche militärisch in einem Tempo traten. Da ich mit dem Gesichte gegen Westen lag, so stach die ganze Gruppe beinahe schwarz wie eine Silhouette ab gegen die Lust, in welcher noch der letzte Schein eines starken Abendrothes verglomm. Diese Scene machte einen feierlichen, für das Auge eines Künstlers schönen Eindruck.

Nach einer kurzen Ruhe trat ich den Rückweg wieder an; es war schon dunkel, als ich die verschiedenen Donaubrücken passirte. Erst spät in der Nacht kam ich recht hungrig und durstig nach Wien.

Mein sehnlicher Wunsch, Augenzeuge einer großen Schlacht zu sein, war also erfüllt. Es gab nun Stoff genug zum Nachdenken, auch zu Bildern, wenn Zeit und Umstände es erlaubten. In diesen Tagen sah ich so viele erschütternde Scenen, daß ich kein Verlangen trug, der Armee weiter zu folgen. Es war dieses auch die entscheidende Schlacht in diesem Kriege. Bei Znaim in Mähren fand zwar noch ein heftiger Kampf statt, auf welchen ein Waffenstillstand und im November der Friede erfolgte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers