Abschnitt 1

03 Feldzug von 1809.


„Adam! wenn es Krieg gibt, nehme ich Sie mit ins Feld!“ so sagte oft halb ernst, halb scherzend mein theurer Gönner und Beschützer, der edle Graf Froberg, und nie klangen mir seine Worte lieblicher, als wenn er so sprach. Ich behielt sie auch wohl im Gedächtnisse und sagte oft bei mir selbst: „Wenn nur lieber schon Krieg wäre, damit er sich nicht eines schönen Tages noch anders besinnt!“


Im Herbste 1808 waren Gerüchte von einem drohenden Kriege zwischen Oesterreich und Frankreich in Umlauf, die bayerischen Truppen bezogen drei große Uebungslager, das eine bei Augsburg, das andere bei Nürnberg, das dritte bei Plattling unweit Passau. Auch die Oesterreicher schoben Uebungslager an die bayerischen Gränzen. Das Alles deutete man als Vorbereitungen zu dem nahe bevorstehenden Ausbruch des Krieges. Vor Eintritt des Winters zogen jedoch die Truppen wieder in ihre Garnisonen zurück und alles wurde stille. Erst zu Anfang des Jahres 1809 mehrten sich wieder mit den erneuten Vorbereitungen die Gerüchte, bis Ende März Niemand mehr am Kriege zweifelte.

Ein großer Theil der bayerischen Armee war schon ausgerückt, und die Truppen, welche noch in München lagen, erwarteten täglich den Befehl zum Ausmarsch. Alle Wachen bezogen mit Sack und Pack ihre Posten, überall, wohin man blickte, herrschte die größte Bewegung.

Mir pochte bei all diesen Rüstungen das Herz. Ein sonderbarer Streit herrschte in meinem Innern. Oft schauderte ich vor mir selbst zurück, wenn ich bemerkte, daß ich den Ausbruch des Krieges kaum erwarten konnte, doch beschwichtigte ich mich damit, daß meinetwegen weder Krieg noch Friede sei und ersterer eine Geißel Gottes und ein nothwendiges Uebel ist. Für mich eröffnete sich ein weites Feld der Entwickelung der Kunst in der Richtung, welche ich nun einmal eingeschlagen: alles, was ich bisher nur wie im Traum gesehen und gedacht, sollte jetzt in schauerliche Wirklichkeit übergehen.

Eines Tages saß ich an der wohlbesetzten Tafel Frobergs, als sehr viel vom Kriege die Rede war. Ich konnte meine Freude darüber nur mit Mühe unterdrücken. Froberg blickte mich mit ironischer Miene an und sagte zu einem General, der neben ihm saß: „Sieh nur diesen kleinen Spitzbuben an, der kann gar nicht erwarten, bis es los geht!“ – „Ja, kleiner Schelm,“ wandte er sich an mich, „ich halte Wort und nehme dich mit, aber du wirst dich bald überzeugen, daß es um den Krieg eine ernsthafte Sache ist, und im besten Falle kannst du dich auf nicht geringe Beschwerden und Entbehrungen gefaßt machen.“ In der That dauerte es nicht mehr lange, so bekam ich schon einen recht ordentlichen Vorgeschmack davon.

Mit Unruhe durchlief ich die Straßen, um diese Vorkehrungen zu beobachten, bis endlich die Alarmtrommel die letzten Regimenter zum Abmarsche rief.

Am 7. April zwischen 3 und 4 Uhr zog das Leibregiment, das Regiment Prinz Karl und ein Bataillon Jäger unter Begleitung einer Menge Menschen, wobei selbstverständlich zahlreiche Schönen und viele nasse Augen nicht fehlten, zum Isarthore hinaus, nur das Depot blieb in München zurück. Die königl. Bildergallerie wurde möglichst in Sicherheit gebracht, die Schatzkammer und andere Kostbarkeiten von München fortgeschafft, und der entscheidende Augenblick war gekommen.

Am 8. April bekam auch ich von Froberg, der sich schon seit mehreren Tagen im Hauptquartiere des Marschalls Lefèbre befand, schriftliche Ordre, mit seinen Leuten und Equipagen dorthin aufzubrechen. Er schenkte mir viel Vertrauen und gab mir noch manche Aufträge, welche ich in München für ihn zu besorgen hatte.

Gerüstet war ich schon lange, aber das Scheiden von München kam mir doch nicht so leicht an, als ich anfangs glaubte: ich hatte zwar die Absicht, bald wie der zurückzukehren und ließ deßhalb meinen Bruder Heinrich, der seit einem Jahre sich neben mir in München zum Künstler ausbildete, mit den Habseligkeiten, welche ich nicht mitnehmen konnte, in meiner Wohnung zurück. Aber es fügte sich anders, und erst nach sechs der bedeutungsvollsten Jahre meines Lebens führte mich mein Geschick unter ganz veränderten Verhältnissen nach München zurück.

Mit der neuen Laufbahn, welche ich nun zu betreten im Begriffe stand, war die froheste Zeit meiner Jugend verflossen, meine ungetrübte Heiterkeit, der innere Friede, mit dem ich schuf und in stiller Zurückgezogenheit mit wenigem zufrieden lebte – ich fand sie nirgends wieder. Damals erkannte ich das freilich noch nicht im vollen Lichte, aber ich ahnte es. Zwar war das Jahr noch nicht zu Ende und das Glück hatte mir mit vollen Händen zugeworfen, aber jenes Glück, von welchem ich damals schied, können äußere Umstände niemals geben.

Auf die erhaltene Ordre hin rüsteten sich sofort die Equipagen des Grafen Froberg zum Abmarsche. Ich begab mich mit einer ledernen Tasche, in der mein Zeichnungsmaterial war, einen Schleppsäbel an der Seite, in Froberg’s Haus, wo alles mit Packen beschäftigt war.

Ein solcher Ausmarsch von Equipagen, Reit- und Handpferden mit Decken, Sattelzeug u. dergl. hat immer etwas Umständliches. Das geht an ein Schnallen und Zusammenriemen; da paßt dies und jenes nicht recht, da läuft einer weg und hat etwas vergessen, da kommt noch ein Kamerad oder gar eine Dirne und hat noch etwas Wichtiges zu sagen: Kurz, es ist kein Weiterkommen, bis man einmal ein paar Tage auf dem Marsche ist, dann geht alles leicht und schnell.

Endlich ist man fertig und sitzt auf, die Schnapsflasche kommt noch einmal zum Vorscheine, um sich durch einen Abschiedstrunk zu stärken; an den Fenstern steht, was Platz hat: die Kinder mit der Bonne, Kammerjungfern, Stubenmädchen, wohl auch die Hausfrau. Man winkt sich noch einmal zu, macht rechtsum. „Adieu, adieu, viel Glück auf den Weg!“ und fort geht es durch die Stadt zum Schwabinger Thore hinaus.

Am 8. April also, Mittags 1 Uhr, wanderten wir bei schlechtem Wetter auf kothiger Straße Freising zu, und alles, was uns in München lieb und theuer war, lag nun im Rücken.

Es war ein recht origineller Zug, eine zweispännige Equipage und zehn Reitpferde der verschiedensten Racen, ein Kammerdiener in Husarenuniform, ein lustiger Jäger, ein paar Reitknechte und meine Wenigkeit als Stallmeister, alles in der barocksten Garderobe. Der ganze Zug sah aus, als hätte ihn ein Maler ab sichtlich so zusammengestellt. Ich hatte aber kein Verdienst dabei, es war ein Werk des Zufalls, vielleicht auch Frobergs, denn dieser hatte viel Originelles in seinem Charakter und setzte sich leicht über Kleinlichkeiten hinweg.

Ziemlich stille wanderte der Zug dahin, nur zuweilen hörte man von denen, welche Handpferde führten, fluchen und schelten, wenn die Thiere nicht vorwärts wollten. Wohlgenährt und von dem langen Warten ungeduldig, trippelten sie einher, zerrten bald rechts, bald links und bespritzten die andern mit Koth. So kamen wir gegen 7 Uhr Abends schmutzig und durchnäßt in Freising an.

Der ganze Ort war überfüllt mit Soldaten; zum erstenmale befand ich mich in dem Tumulte und Lärm eines Hauptquartiers. Obwohl ich schon viel unter den Soldaten gelebt hatte, so sauste mir doch der Kopf von diesem Treiben. Mit Mühe fand ich das Quartier des Grafen, traf ihn aber nicht zu Hause, er befand sich bei dem Marschall Lefèbre. Abends, nachdem ich mich zur Ruhe gelegt hatte, kam er noch zu mir an mein Bett, um zu erfahren, was sich in München alles seit seiner Abwesenheit zugetragen. Wir hatten übrigens das Glück, hier in Freising gut einquartiert und verpflegt zu werden.

Den andern Morgen am 9. April erhielten wir Befehl, uns marschbereit zu halten. Alle Pferde standen gesattelt, alle Truppen auf den Gassen unter Gewehr, so daß man kaum passiren konnte; endlich kam der Graf und sprach das Donnerwort: „Absatteln und hier bleiben!“ Er wurde vorwärts geschickt, um die österreichischen Vorposten zu recognosciren und nahm hiezu nur einen Reitknecht und ein Handpferd mit. Wie gerne hätte ich die Dienste des Reitknechts verrichtet, nur um mitzukommen, aber es half kein Bitten, ich mußte mit den übrigen Pferden bleiben und weitern Befehl abwarten.

Am 10. erhielt ich die Ordre, schleunigst mit den Pferden gegen Moosburg und Landshut zu marschiren. Dort angelangt, erfuhren wir, daß die Brücke über die Isar abgebrochen werde, und ich überzeugte mich bald mit eigenen Augen hievon. Ein Piquet Chevauxlegers und eine Abtheilung Infanterie stand dort, um die Brücke zu bewachen, mit deren Abbruche man bereits begonnen hatte. Die Offiziere sagten mir, die Oesterreicher hätten den Inn überschritten und Graf Froberg werde noch am Abend mit einer Eskadron von Bubenhoven-Chevauxlegers eintreffen. Gegen 6 Uhr kam er auch wirklich voll Verdruß zurück.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers