Abschnitt 7

09 Feldzug nach Rußland.


Napoleon hatte sich auf einer Anhöhe mit ziemlich weiter Aussicht unter einer Baumgruppe niedergelassen und mit einigem Wohlbehagen sein Gabelfrühstück eingenommen. Prinz Eugen und mehrere Generäle umgaben ihn. Er war dem Geplänkel so nahe, daß einige russische Flintenkugeln bis in seiner Nähe fielen.


Nach seinem Frühstück setzte der Kaiser sich zu Pferde und recognoscirte das Terrain in Begleitung einer zahlreichen Suite. Diese aber mußte mehr als 150 Schritte hinter ihm zurückbleiben, um bei dem Feinde kein Aufsehen zu erregen. Ich zog mir von einem Adjutanten hiebei einen Verweis zu, weil ich, durch verschiedene Beobachtungen zerstreut, zu weit vorangegangen war.

Die Hitze erreichte an diesem Tage einen Grad, der unerträglich wurde und alles niederdrückte. Prinz Eugen legte sich in Mitte der italienischen Garde auf dem Schlachtfelde nieder. Mit Hilfe seines Mameluken und einiger Soldaten bereitete ich, um ihm einigen Schatten zu verschaffen, eine Hütte aus belaubten Zweigen, in der er mehrere Stunden ruhig schlief. Die eingetretene Pause war Jedem willkommen; wer es thun konnte, gab sich der Ruhe hin. Es herrschte eine eigenthümliche Stille über der Gegend, bis die Sonne sich zum Untergange neigte und uns ein neues, höchst imposantes Schauspiel bereitete. In einer wahren Gluth lag Witebsk und das russische Lager vor unsern Augen; der ganze Horizont schien im Westen mit einem Goldton überzogen. Dazu brannte es in der Stadt und an drei bis vier andern Orten; zuletzt gerieth noch ein Kornfeld in Brand und aller Rauch dieser verschiedenen Flammen, der himmelhoch emporwirbelte, erhielt durch den feurigen Sonnenuntergang eine glühend rothe Farbe. Das Alles bot ein schauriges, aber prächtiges Bild, welches die Aufmerksamkeit selbst der gemeinen Soldaten auf sich zog. Es war, als ob die Erde sich in ein Feuermeer verwandeln wollte. Prinz Eugen bedauerte, daß solche Lichtwir kungen außer dem Bereiche der Malerei liegen, um sie mit gutem Erfolge durch die Farbe darzustellen.

Mit diesem Sonnenuntergang war also wieder eine Hoffnung verschwunden und man erwartete die Entscheidungsschlacht auf den folgenden Morgen und sah das, was heute geschehen, als Vorspiel dazu an. Mir jedoch wollte bedünken, daß die Illumination des Abends keine gute Vorbedeutung sei. Der Gedanke, daß die Russen ihre Magazine angezündet, lag sehr nahe, doch ließ man ihn nicht laut werden. Die Enttäuschung kam ohnehin früh genug.

Der Morgen brach an, ein dichter Nebel umschleierte die Ferne, man stieg auf hohe Punkte, guckte, horchte, lauschte, aber man sah und hörte nichts von dem Feinde. Es herrschte feierliche Stille. Endlich senkte sich der Nebel, aber der Feind wurde nicht sichtbar. Er war verschwunden und zwar in solcher Ordnung, daß man vierundzwanzig Stunden lang keine Spur entdecken konnte. Es schien wirklich, als ob die Natur selbst sich gegen Napoleon verschworen hätte, denn bei der anhaltend trockenen Witterung war dichter Nebel eine sehr seltene Erscheinung.

Ohne alle Hindernisse überschritten wir jetzt die zwischen uns, Witebsk und den Hauptstraßen liegenden Schluchten. Napoleon ritt mit seinen Garden in das verlassene Witebsk ein, die übrigen Truppen mußten daran vorüberziehen.

Prinz Eugen, stets ein Muster ritterlichen Charakters, hätte sich in die Stadt begeben können, allein er zog vor, bei seinen Soldaten zu bleiben und die Beschwerden des Marsches bei einer fast unerträglichen Hitze und einem wahrhaft peinlichen Staube mit ihnen zu theilen. Einige Zeit saß er an einer aus Holz erbauten, an der Straße befindlichen Kirche mit Murat und ließ die großen, ganz in Staubwolken eingehüllten Cavalleriemassen an sich vorüberziehen. Diese gewährten einen geisterhaften Anblick: Gesichter, Uniformen, Pferde, alles hatte nur eine Farbe, die des Staubes. Nachdem Murat sich entfernt hatte, legte sich der Prinz nieder, bedeckte sein Gesicht mit einem Tuche und schlief von der Hitze ermattet ein; in ehrerbietigem Schweigen zogen die Soldaten an ihm vorüber, sie alle kannten und liebten ihn.

Napoleon hatte Witebsk noch denselben Tag verlassen, um den Feind aufzusuchen, kehrte aber Tags darauf unverrichteter Dinge dorthin zurück. Die Nacht vom 28. auf den 29. schlief der Kaiser, König Murat von Neapel und Eugen jeder in seinem Zelt und Tags darauf schlug Letzterer mit dem 4. Armeecorps den Weg nach Surash an der Düna ein, wo wir zeitlich anlangten und erträglich gute Quartiere fanden.

Hier verweilten wir zehn Tage und setzten uns sodann den Dnieper hinauf gegen Smolensk in Bewegung. Während dieser Ruhe überfiel eine neue Plage die Armee: die Ruhr. Sie trat so heftig auf, daß viele starben und die, welche sie überstanden, in die größte Ermattung fielen.

Unter diesen Umständen hatte man Gelegenheit, die Erfahrung zu machen, welch großes Bedürfniß für den Menschen der Genuß des Brodes ist, oder eines wenigstens annäherungsweise ähnlichen Nahrungsmittels, wie z.B. Hülsenfrüchte, Reis u.s.w. Schon seit sechs Wochen herrschte allgemeiner Mangel, ja mehrere Corps litten gänzlich daran, und gerade diese Truppen wurden bei der bloßen Fleischnahrung so elend, daß sie auf den Märschen oft aus Ermattung zusammenbrachen. Diese Unglücklichen waren auch der Ruhr am meisten ausgesetzt.

Nachdem ich schon seit länger als einem Monate höchst selten aus den Kleidern kam, die liebe Mutter Erde und höchst ausnahmsweise ein wenig Stroh mein Bett war, fühlte ich mich in einer armen Hütte unter Dach und Fach sehr behaglich; sie galt unter den damaligen Verhältnissen als ein gutes Quartier.

Hier machte ich mich daran, die Skizzen, welche ich in den letzten Kämpfen von Beszenkowicky bis Witebsk oft nur mit flüchtigen Strichen entwerfen konnte, ein wenig ins Reine zu zeichnen. Der Prinz ging mit großem Interesse meine Mappen durch, theilte mir seine Bemerkungen mit und schrieb auch hie und da mit eigener Hand darunter, wodurch die Zeichnungen eine Art Authentica erhielten. Es kam mir dies in spätern Jahren bei Ausführung dieser Gegenstände in Bildern selbst nach dem Tode meines Gebieters sehr gut zu statten, denn es schützte mich vor ungeeigneten Zumuthungen, denen der Schlachtenmaler oft ausgesetzt ist. Von einem Hauptmomente des hitzigen Kampfes im Walde bei Ostrowno am 26. Juli machte ich ein ziemlich ausgeführtes Aquarell, welches dem Prinzen viele Freude bereitete und das er seiner Schwester Hortensia sandte.

Mir bekam diese Zeit der Ruhe, in der ich mich mit Liebe nur künstlerischer Thätigkeit hingeben konnte, sehr wohl: ich war heiter, gesund und blieb von der Ruhr gänzlich verschont.

Erst hier langte der Pferdetransport, mit dem ich von München abreiste, im Hauptquartiere an. Einer der Stallleute war unterwegs gestorben. Den alten sechzigjährigen Thierarzt, der alles wohlbehalten hergebracht und auf dem Marsche entsetzlich viel Beschwerden ausgestanden, machte ich aufmerksam, sich zu melden, um mit einem Courier, welcher soeben nach Mailand abging, die Rückreise machen zu dürfen. Allein der alte, umständliche und unbehilfliche Mann verpaßte die Gelegenheit und wurde ohne allen Zweck bis Moskau mitgeschleppt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers