Abschnitt 6

09 Feldzug nach Rußland.


Der Kampf in diesen unheimlichen Wäldern dauerte lange Zeit mit abwechselndem Glücke der Waffen fort, bis endlich die Russen, aus den Wäldern verdrängt, zum Weichen gebracht und ein Theil der großen Straße zum Vorrücken frei wurde. Von einer Entscheidung der Schlacht aber konnte noch keine Rede sein, das Terrain bestand nämlich bis über Witebsk hinaus aus Anhöhen, Thälern, Schluchten und Waldungen, die den Russen Gelegenheit zu vortheilhaften Stellungen boten und den Feind häufig unsern Augen verbargen. Es kostete große Opfer, sie jedesmal aus diesen Stellungen zu verdrängen, und jeder Schritt vorwärts mußte schwer erkämpft werden. Schon gegen vierzehn Stunden hatte mehr oder minder lebhaft der Kampf gedauert, als Eugen und Murat sich auf einer Anhöhe befanden, von der man eine offene und weite Aussicht auf die neue, drohende Stellung der Feinde hatte. Die Schlacht war zum Stehen gebracht und der Tag neigte sich bald zu Ende, als plötzlich von weiter Ferne her ein lautes, immer näher kommendes Rufen ertönte. Napoleon erschien und die Soldaten jauchzten ihm ihr gewohntes: „Vive l’empereur!“ zu. Eugen und Murat ritten ihm entgegen und alle drei begaben sich zusammen auf die vorgenannte Anhöhe. Napoleon beobachtete die Stellung des Feindes und machte Dispositionen zu einem neuen Angriffe. Er ließ den General d’Anthouard, Chef der Artillerie des 4. Armeecorps, zu sich rufen und befahl, alle in diesem Augenblicke verfügbare Artillerie vorrücken zu lassen. Mit unbegreiflicher Schnelligkeit wurde dieser Befehl vollzogen. Von jener Anhöhe aus war es imposant zu sehen, wie dreißig bis vierzig Geschütze mit allen ihren Munitionswagen und der Begleitung von reitenden Artilleristen durch eine weite Thalebene die Hügel hinan stürmten. Vor Einbruch der Nacht erhob sich nun eine fürchterliche Kanonade, welche die gewünschte Wirkung hervorbrachte. Die Russen wichen und zogen sich in die Wälder zurück, an die sie ihre Stellung angelehnt hatten. Man schlief auf dem Schlachtfelde, Prinz Eugen und Murat in einem elenden Hause, Napoleon unter seinem Zelte.


Mein seit Jahren gehegter Wunsch, einmal eine Schlacht in der Nähe zu sehen und mich mitten in ihr zu befinden, war nun erfüllt; ich sah in diesen zwei Tagen so vieles, um Stoff zur Schlachtenmalerei für ein ganzes Leben zu haben. Nebenbei hörte ich diesmal die Kugeln ordentlich pfeifen, ließ mich aber dadurch im Zeichnen nicht beirren. Ich besitze noch Zeichnungen, welche ich in Mitte des Kampfes machte, mit der eigenhändigen Unterschrift des Prinzen Eugen. An seinem Hofe war ich der einzige Deutsche, und obwohl ich von den Offizieren und Adjutanten, welche den Prinzen umgaben, freundlich behandelt wurde, so konnten sie es doch nicht lassen, mich lange vor Beginn der Feindseligkeiten zu necken: „Jetzt ist unser Adam immer bei der Hand, wenn aber einmal die Kugeln geflogen kommen, wird man ihn suchen müssen.“ – „Wartet nur,“ dachte ich, „ich will euch zeigen, daß ein deutsches Herz so viel werth ist, als ein französisches.“ Als an dem oben geschilderten Morgen die ersten Kanonenkugeln in unserer Nähe einschlugen, sagte ein Adjutant, der ziemlich bleich aussah: „Eh bien, Mr. Adam, comment trouvez-vouz ça!“ Ich antwortete ganz trocken: „Ich finde, daß wir uns in einer Schlacht befinden.“ Einige Stunden später, in einer sehr mißlichen Lage, kam ein anderer in guter Absicht zu mir und sagte, ich möchte mich doch zurückbegeben, das sei kein Platz für mich. Ich antwortete, daß ich mein Leben nicht höher anschlage, als das des Prinzen, und wenn man Schlachten malen wolle, müsse man sie gesehen haben; ich würde meinem Gebieter überallhin folgen, wenn es nicht sein ausdrücklicher Befehl sei, daß ich zurückbleibe. Von dieser Seite hatte ich jetzt Ruhe, von Seite des übrigen Hauspersonals hatte ich aber mit manchen Widerwärtigkeiten zu kämpfen. Es erregte dessen Eifersucht, mich fast Tag und Nacht in der unmittelbaren Nähe des Prinzen zu wissen. Auch schien ich zum Theil diesen Leuten eine sehr überflüssige Persönlichkeit zu sein. Es stand deßhalb jetzt schon der Vorsatz in mir fest, bis zu einer großen Entscheidung auszuharren, sei es in Moskau, Petersburg oder wo immer, dann aber unter jeder Bedingung zurückzukehren.

Gegen Abend kam ich noch in eine fast komische Verlegenheit, so ernst die Sache auch war. Ich hatte mich etwas mit Zeichnen verweilt und den Prinzen aus dem Gesicht verloren. Ihn zu suchen, ritt ich eine Anhöhe hinauf, als plötzlich von einer hinter derselben stehenden russischen Batterie das Feuer begann und die Kugeln mir über den Kopf flogen. Ich wollte umkehren, aber mein Pferd widersetzte sich und wollte die Straße verfolgen. So raufte ich mich mit dem widerspenstigen Thiere herum. Endlich kam General Triaire herangeritten und sagte lachend: „Sie scheinen hier Reitschule zu halten! Ein hübscher Platz dazu! Wo haben Sie denn den Prinzen gelassen?“ Ich sagte, wo ich ihn verloren und daß ich ihn jetzt eben suche. „Kommen Sie mit mir, hier können wir uns nicht verweilen.“ Mein Pferd, welches nun einen Kameraden hatte, ging folgsam mit und bald fanden wir den Prinzen, welcher abermals dem feindlichen Feuer ausgesetzt war. Außer mehreren interessanten Momenten der Gefechte an diesem Tage, welche ich nur mit flüchtigen Strichen zu entwerfen Zeit fand, gelang es mir zuletzt noch, mit mehr Ruhe eine Zeichnung von Napoleon, Murat und Prinz Eugen auf jener Anhöhe zu machen, woselbst der Kaiser die letzten Dispositionen zur Beendigung der Schlacht traf und dann seine Soldaten an sich vorüberziehen ließ.

Seit wir den Niemen überschritten, beschäftigte ein Gedanke, eine Hoffnung, ein allgemeiner Wunsch den Kaiser und seine ganze Armee: der Gedanke an eine große Schlacht! Nach einer Schlacht sehnte man sich, wie die bei Austerlitz, Jena, Marengo, durch sie hoffte man auf Erlösung aus dem elenden Zustande, in dem sich die Armee schon seit zwei Monaten befand und der ihre Reihen schon bedeutend gelichtet. Man sprach von einer Schlacht, wie von einem großen Feste, freute sich auf sie und ließ den Kopf hängen, so oft man sich in der Erwartung getäuscht sah. So neuerdings bei Witebsk.

Das schien kein Krieg wie in Italien und Deutschland, wo es möglich war, auf einem von Natur begünstigten Boden, unter civilisirten Menschen, welche die Armee ernährten und verpflegten und das Kriegführen selbst erleichterten, mit größter Schnelligkeit in die Hauptstadt des Reiches vorzudringen und durch das Genie des Feldherrn den Feind mit einem großen Schlag zu besiegen.

In diesem unermeßlichen Reiche aber, bei der ungeheuern Entfernung der Hauptstädte und dem Mangel aller Hilfsquellen für Verpflegung einer so großen Armee traten unübersteigliche Hindernisse einer baldigen Entscheidung des Krieges durch einen kühnen Schlag entgegen, wenn die Russen nicht selbst die Gelegenheit dazu boten, und diese wußten sie stets geschickt zu vereiteln. Am 27. Juli standen wir vor Witebsk und erst am 7. September wurde die heiß ersehnte Schlacht geschlagen. Also noch volle sechs Wochen führten die Russen die an sich schon ermüdete Armee Napoleons im Lande herum, bis sie ganz ermattet und schon auf die Hälfte zusammengeschmolzen auf dem großen Kampfplatze zu Vorodino ankam. Welch ein peinlicher Zustand für diese stolze Armee!

Noch ein anderer Wunsch beseelte die Soldaten. Durch die langen beschwerlichen Märsche und Kämpfe bei der Ungunst des Wetters fehlte es außer an Nahrungsmitteln noch an einer Menge von Dingen, welche man im gewöhnlichen Leben gering achtet, weil man sich mit wenig Geld selbe leicht verschaffen kann. Hier aber waren sie um keinen Preis zu haben; Nadel, Faden, Scheere, Messer, Feuerzeug, Rock- und Hosenknöpfe und andere unscheinbare Dinge bekamen einen unschätzbaren Werth, der zerrissenen Schuhe, Kleider und Wäsche gar nicht zu gedenken. Da man in Rußland nicht wie in unserm Deutschland fast mit jeder Stunde eine wohlhabende Ortschaft traf, die wenigen auseinander liegenden Orte aber verlassen oder zerstört waren, eine Stadt eine sehr seltene Erscheinung blieb, so hoffte man von Tag zu Tag eine solche zu erreichen, um das viele Fehlende wenigstens einigermaßen ersetzen zu können. Sah man aber in der Ferne die Thürme einer größeren Ortschaft, so kam der Befehl, daran vorüber zu ziehen, da der Kaiser den Platz für seine Garden bestimmte! So geschah es bei Wilna, so auch bei Witebsk; das erregte bei Offizieren und Soldaten böses Blut.

Nach den lebhaften Gefechten bei Ostrowno am 25. und 26. Juli und dem hartnäckigen Widerstande der Russen zählte man mit Sicherheit auf eine entscheidende Schlacht. Deßhalb setzte sich am 27. mit Tagesanbruch alles in Bewegung, auch selbst der Kaiser. Bald gelangten wir durch die Wälder auf die große offene Hügelreihe, welche Witebsk umgibt und ein recht schönes Panorama bildet. Auf einem dieser Hügel liegt die ansehnliche Stadt, die, von vielen Kirchen und Thürmen geziert, von den Strahlen der Morgensonne beleuchtet, einen freundlichen Anblick bot. Auf der ausgedehnten, von vielen, mitunter tiefen Schluchten durchschnittenen Hügelreihe sahen wir die russische Armee in Schlachtordnung aufgestellt: ein erfreulicher Anblick für Napoleon und seine Armee. Die Russen boten aber auch hier keine Schlacht, was ich als Maler sehr bedauerte, denn das ganze Terrain hatte überhaupt etwas Reizendes und höchst Abwechselndes in seinen Linien und würde reichen Stoff zu schönen Gemälden geboten haben. Es wurde nur an einigen Punkten mit Heftigkeit gekämpft, aber schon gegen 11 Uhr Vormittags das Feuer von beiden Seiten eingestellt, und nur das Knattern des Kleingewehrfeuers, womit an den zum Theil bedeckten Schluchten die Plänkler von beiden Seiten sich neckten und einander im Schach hielten, dauerte noch lange Zeit fort.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers