Abschnitt 5

09 Feldzug nach Rußland.


In raschem Laufe ging es nun auf einer breiten, von einer Allee schöner hoher Birken umsäumten Straße fort, bis man links von uns, diesseits der Düna Kosakenschwärme bemerkte. Prinz Eugen ließ eine Abtheilung italienischer Chasseurs vorrücken, um sie zu vertreiben. Es bot einen wehmüthigen Anblick, wie diese Reiter gleich einem Bienenschwarm durch ein unabsehbares Kornfeld, das sich über sanfte Hügel hinzog, herumfegten und die Hoffnung des Landmanns zertraten.


Während dieses Zwischenaktes hörte man plötzlich aus der Richtung gegen Ostrowno eine lebhafte Kano nade. Möglichst schnell ritten wir dorthin und befanden uns bald in den Wäldern, durch welche die Straße nach Ostrowno führt und woselbst sich ein heißer, sehr blutiger Kampf entsponnen hatte. Dieser entstand mehr zufällig als planmäßig: die Truppen geriethen ganz unvermuthet an einander und erkannten sich erst, als sie sich beinahe in das Gesicht sehen konnten. Die Franzosen, längst schon von Kampfeslust entbrannt, fielen mit solcher Wuth über die Feinde her, daß sie alles niederrannten, was sich ihnen in den Weg stellte. Besonders thätig war eines der tapfersten, das 8. Husarenregiment, welches den ersten Stoß machte. Es bildete den Vortrab und war ganz sorglos auf der Straße einhergezogen. Wohl hatte es links und rechts in den Wäldern Truppen gesehen, diese aber für Franzosen gehalten. So immer vorwärts rückend, standen sie plötzlich vor dem Feinde. Mit Wuth stürzten sie auf ihn; dieser hatte einige Geschütze auf der Straße postirt, welche anfangs eine fürchterliche Wirkung verursachten, aber sie wurden genommen, und von einem panischen Schrecken ergriffen, stoben hier die Russen in wilder Flucht aus einander. Nach und nach kamen größere Truppenabtheilungen hinzu, und das Gefecht bekam eine bedeutendere Ausdehnung; es dauerte bis gegen Abend. Man stieß auf zahlreiche russische Colonnen, welche Stand hielten und ihre Stellung tapfer vertheidigten. Allein sie wur den bis hinter Ostrowno zurückgedrängt und verloren viele Leute an Todten, Verwundeten und Gefangenen, auch viel Kriegsmaterial, darunter einige Kanonen.

Die Russen, welche den ersten Stoß auszuhalten hatten, warfen nämlich bei ihrer Flucht alles von sich: Gewehre, Tornister, Patrontaschen, Kopfbedeckungen u.s.w. Eine bedeutende Strecke weit lag der Weg ganz bedeckt damit. Das aber kam nur hier vor: es wäre Unwahrheit, wenn man den Russen nicht Tapferkeit zugestehen wollte. Wo es zum Schlagen kam, stritten sie tapfer, und man mußte ihnen jede Strecke Landes mit Blut theuer bezahlen. Auch sah ich nur bei Ostrowno einen größeren Transport Gefangener in diesem Kriege, später wurden diese sehr selten. Der Donner der Geschütze schwieg mit Anbruch des Abends; überall gewahrte man die traurigen Spuren des blutigen Kampfes. Besonders große Verluste hatte das 8. Husarenregiment. Zerrissene Glieder lagen auf der Straße herum. Ich sah einen Husaren, dessen ganzer rechter Arm an der Schulter abgerissen sammt einem Theil seines Pelzes neben ihm lag. Einem andern war der obere Theil des Schädels so rein abgerissen, als wäre er künstlich abgesägt; das Gesicht blieb ganz unentstellt, das war nicht die Folge von Kartätschen, die man gewöhnlich gegen Cavallerie gebraucht, sondern von Vollkugeln, und die Wirkung mußte so furchtbar werden, weil die Ca vallerie den Geschützen so nahe gekommen.

Das 7. und 8. Husarenregiment, größtentheils aus Elsässern bestehend, interessirte mich sehr der ganzen Haltung wegen; sie trugen die Haare noch wie zur Zeit der Republik, gescheitelt und in zwei rechts und links des Gesichts herunterhängenden Zöpfen, was ihnen ein äußerst pittoreskes Aussehen gab. Ihre Uniform war dunkelgrün mit rothen Hosen. Sie hatten an diesem Tage Beweise von besonderer Entschlossenheit und Muth abgelegt und kamen auch den folgenden Tag wieder in das Treffen.

Der Anblick eines Kampfplatzes war mir nichts Neues mehr, dennoch aber versetzte mich der Rückweg bis zum Nachtquartier des Prinzen in sehr ernste Stimmung und gab mir reichen Stoff zum Nachdenken.

Eine breite, zu beiden Seiten mit hohen Birken begränzte Straße führt durch düstere, von Schluchten durchschnittene Tannenwälder, die von offenen Plätzen zuweilen unterbrochen sind, welche eine Aufstellung von größeren Truppenmassen gestatten, bis in die Nähe von Witebsk. Auf diesem schwierigen Boden schlug man sich zwei Tage mit der größten Erbitterung. Der heutige Tag, obwohl sehr blutig, war nur das Vorspiel des folgenden heißen Kampfes, der am nächsten Tage vom Morgen bis in die Nacht fortwährte. Die Russen hatten besonders die Straße mit großer Hartnäckigkeit vertheidigt. Hievon zeigten sich überall die Spuren. Es lag in meinem Wesen, den Schrecknissen des Krieges nirgends aus dem Wege zu gehen, obschon ich kein Wohlgefallen daran fand; aber ich wollte alles sehen, was mir zugänglich war. So ritt ich ruhigen Schrittes und ganz allein auf der Straße an den Leichnamen der Gefallenen und an den Schwerverwundeten still und nachdenkend vorüber. Der den ganzen Tag hindurch heitere Himmel hatte sich gegen Abend mit schweren grauen Wolken überzogen, ein lauer Wind spielte mit dem zitternden Laub der Birken, deren Rinde von den Kugeln zerfetzt war, oder wirbelte bisweilen eine Staubwolke in die Höhe. Eine unheimliche Stille, nur von dem Aechzen eines Sterbenden oder Schwerverwundeten unterbrochen, gab allem, was ich sah und hörte, inmitten dieser Wälder etwas Hochtragisches. „Ruhet sanft, ihr Gefallenen, die ihr überwunden habt! Ihr seid noch die Glücklicheren (sagte ich zu mir selbst), aber die armen Verwundeten! Welch ein schreckliches Loos wartet ihrer in diesem Lande, wo es an allem zu einer auch nur leidlichen Pflege fehlt!“ Dieser Gedanke betrübte mich tief.

Es war Nacht, als ich das Hauptquartier des Prinzen erreichte. Dieser war mit seiner Suite längst vorausgeeilt, während ich mich an verschiedenen Stellen mit Zeichnen verweilte, bis es zu dämmern begann. So endete der Tag der ersten Schlacht, der ich auf russischem Boden beiwohnte. Mit dem Morgengrauen des 26. setzten sich die Truppen in Bewegung und gegen 6 Uhr begann der Kampf. Prinz Eugen mit seinem Armeecorps befand sich auf dem linken Flügel am Saume eines Waldes. Zu unserer Linken zeigten sich auf einer tiefer gelegenen Ebene zahlreiche Kosakenschwärme, die aber durch Plänkler des 8. Husarenregiments rasch vertrieben wurden. Bald entspann sich zu unserer Rechten und auf der großen Straße der heftigste Kampf. Hier befand ich mich nun zum erstenmale inmitten einer Schlacht, einem heftigen Feuer ausgesetzt. Die Russen hatten den Vortheil, daß sie das Terrain, welches eine Truppenaufstellung zuließ, genau kannten, während uns dieses nicht möglich war. Man bekam häufig den Feind erst dann zu sehen, wenn man ganz nahe vor ihm stand; die Munition wurde in dem ganzen Kriege russischerseits nicht gespart, die Russen schleuderten auf’s Gerathewohl ihre Wurfgeschosse nach allen Richtungen, wo sie einen Feind vermutheten. Im Bogen über und durch die Bäume sausten die Kugeln und rissen Aeste und Trümmer mit sich. Es gab keinen Platz, auf dem man dem Feuer nicht ausgesetzt gewesen wäre, überall regnete es Kugeln.

Nach und nach entbrannte der Kampf mit größter Heftigkeit. Es war im eigentlichen Sinne des Wortes ein Schlachtgetümmel, da sich alles auf engem Raume zusammendrängen mußte, die Russen mit beispielloser Hartnäckigkeit ihre Stellungen vertheidigten, die Franzosen mit Löwenmuth fochten. Stundenlang wogte der Kampf ohne Entscheidung hin und her. Die Cavallerie, welche trotz der großen Terrainschwierigkeiten, von Murat viel verwendet wurde, hatte besonders schweren Stand. Das tapfere 7. und 8. Husarenregiment mußte mehrmals dem ungestümen Andrange der Russen weichen, auch ein polnisches Regiment Lanzenreiter wandte sich zur Flucht und veranlaßte dadurch Unordnung in unseren Reihen.

Sehr heftig tobte der Kampf auf der großen Straße, in deren Nähe sich Eugen befand. Im Sturmschritte drang die Infanterie vor, und immer neue Colonnen wurden in das Treffen geführt und von Cavallerie unterstützt. Hier sah ich Murat sehr nahe in seiner von heftigem Kampfe und Widerstand entbrannten Wildheit. Fluchend und scheltend tobte er hin und her, um die Truppen in das Feuer zu hetzen, war bald da, bald dort, er schien zu fliegen und sein edles Pferd schäumte. Einen recht sonderbaren Contrast zu ihm bildete der edle Prinz Eugen. Ich sah ihn hier und auch später im Feuer mit der größten Ruhe und Besonnenheit. Immer behielt er eine ernste, edle Haltung, nur ein Unrecht oder etwas, das sich mit der Soldatenehre nicht vertrug, konnte seinen Unwillen erregen; aber eben diese Eigenschaften waren es, welche allen, die unter seinen Befehlen standen, Liebe, Vertrauen und Anhänglichkeit einflößten. Dies zeigte sich im schönsten Licht zur Zeit der höchsten Noth, denn als Napoleon und Murat auf dem Rückzuge die Armee verlassen, war er allein noch im Stande, die entmuthigten Ueberreste zusammenzuhalten. Napoleon sagte damals von ihm: „Eugen war der einzige, der den Kopf nicht verloren hat.“ Er hätte wohl hinzufügen dürfen: „auch nicht die Liebe der Soldaten!“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers