Abschnitt 4

09 Feldzug nach Rußland.


Elf Tage zogen wir noch so im Lande herum, gingen über Smorgony, Zalesie, Wileika, Dockschizy und Kamen nach Beszenkowicky; dort stießen wir endlich auf den Feind. In Smorgony, einem ansehnlichen Orte, verweilte der Prinz zwei Tage in einem sehr schönen Edelhofe. Von da an wurde das Land schöner und fruchtbarer, man bemerkte mehr Wohlhabenheit und recht hübsche Landhäuser, die übrigens auch nur aus Holz erbaut waren und nur ein Erdgeschoß hatten. Gewöhnlich zierte die mehrere Stufen über den Boden erhöhten Häuser ein kleiner, von Säulchen getragener Fronton.


Am 18. verweilten wir in Dockschizy. Hier brach durch Unvorsichtigkeit Feuer aus und der ungeheuer lange, aus lauter Holzbauten bestehende Ort wurde, ein einziges elendes Haus ausgenommen, in wenigen Stunden ein Raub der Flammen. Das furchtbare, prasselnde Feuermeer spottete jeder entgegenarbeitenden Anstrengung. Wir hatten schon seit langer Zeit eine außerordentliche Hitze, und jene Hütten brannten wie lauter Stroh.

Am 21. und 22. verweilten wir in Kamen, am 23. früh ritt der Prinz mit seiner Suite einige Stunden vorwärts, um die Ufer der Düna zu recognosciren und über die Stellung des Feindes sich Kenntniß zu verschaffen. Ich blieb zurück, um eine Zeichnung zu vollenden. Bald kam des Prinzen Mameluk mit zerstörtem Gesicht im Carriere angesprengt, um den Leibarzt Assalini zu holen: einer der Adjutanten, Oberst Lacroix, war verwundet. Eine Musketenkugel vom jenseitigen Ufer der Düna hatte ihm die Schenkelknochen zerschmettert; wir bekamen ihn nicht mehr zu sehen, er starb erst lange darnach in Folge dieser Wunde.

Oft hatte ich im Kriege Gelegenheit, zu bemerken, daß mancher Mensch das Vorgefühl des nahen Todes oder eines besondern Mißgeschicks geraume Zeit in sich trägt. Ein Beispiel hievon ist Lacroix. Jeder Zoll an ihm war Soldat. Er hatte von der Pike an bei der Cavallerie gedient, sich überall tapfer gezeigt und bloß durch sein Verdienst sich emporgeschwungen. Während unserer Märsche in Rußland äußerte er oft, er werde in diesem Kriege einer der ersten sein, der ins Gras beißen müsse. Wenige Tage vor seiner Verwundung sagte er zu mir: „Nun, Adam, jetzt wird es bald losgehen, und wenn Sie einen finden, der alle Viere auf dem Schlachtfeld von sich streckt, den zeichnen Sie, das werde ich sein!“ In der Nacht vom 22. auf den 23. schlief ich in einem großen Lokale mit den meisten Adjutanten auf Stroh, stand vor Tagesanbruch, während noch alles schlief, auf, setzte mich an ein Fenster und zeichnete. Als später Lacroix sich von seinem Lager erhob, kroch eine Natter aus dem Stroh hervor, auf dem er gelegen. Ruhig schaute er ihr nach und sagte trocken: „Das hat etwas zu bedeuten!“ An demselben Morgen erhielt er die tödtliche Wunde. Wäre er in der Hitze des Gefechtes gefallen, so hätte sich Niemand gewundert; aber hier dachte kein Mensch daran, daß eine elende Musketenkugel über die Düna herüber seine militärische Laufbahn enden würde. Der Schuß kam aus einem Hause am jenseitigen Ufer, in dem russische Plänkler verborgen lagen, und gerade dieses Opfer schien sich der Schütze ausgesucht zu haben.

Am 24. Juli kamen wir nach Beszenkowicky. Hier traf auch Napoleon mit dem Gros der Armee ein. Von diesem kolossalen, ziemlich verworrenen Menschenknäuel eine Schilderung zu machen, ist mir unmöglich. Alles, was sich Monate hindurch auf beschwerlichen Märschen mühevoll durch unwirthliche Gegenden geschleppt hatte, traf hier auf einem Fleck zusammen, so daß fast ein Corps dem andern im Wege stand und, soweit das Auge reichte, man nichts sah als Soldaten und in großen Staubwolken ihre Bajonet te blinken. Alle Waffengattungen, Infanterie, Cavallerie, Artillerie, Train und Fuhrwesen, eine Unzahl hin und her reitender Adjutanten, Handpferde, Equipagen und Dienerschaft, alles bewegte sich wie von einem Wirbelwinde getrieben bunt durch einander. In diesem kolossalen Maßstabe hatte ich noch nie um Napoleon herum ein solches Treiben gesehen, mir sauste der Kopf davon.

Die Düna hat ein tiefes Bett. Von beiden Seiten erheben sich hohe, ziemlich steile Ufer, auf deren linkem sich Beszenkowicky erhebt. Lange Zeit stand ich auf einem erhabenen Punkte und beobachtete das gewaltige Treiben um den Kaiser, der, umgeben von seinen Marschällen, in der Tiefe am Ufer sich befand. Hier begegnete mir ein komisches Abenteuer. Ich erblickte eine auffallende Persönlichkeit in einem hellblauen, über und über mit Gold verbrämten Rocke, in rothen, goldbortirten Hosen, auf dem Kopfe einen wunderlichen, ganz mit Federn bedeckten Hut tragend, kurz eine Persönlichkeit, aus der ich nichts zu machen wußte. Am auffallendsten war mir, daß er sich gar so viel um den Kaiser, welcher wie seine ganze Begleitung zu Fuße war, zu schaffen machte. Endlich fragte ich einen neben mir stehenden Offizier: „Lösen Sie mir doch das Räthsel; wie kommt es, daß sich der Kaiser so viel mit diesem Tambourmajor zu schaffen macht?“ Der aber schaute mich groß an und sagte: „Was meinen Sie damit?“ Ich erklärte mich deutlicher. „Mein Gott,“ rief er aus, „das ist ja Murat, der König von Neapel.“ So erschien mir dieser Tollkopf das erste Mal; bald sollte ich ihn vom Pulverdampfe geschwärzt in seiner ganzen Wildheit unter den gemeinsten Flüchen die Soldaten in das Feuer hetzen sehen.

Die ganze Armee befand sich an der Düna in exaltirtem Zustande. Man sah endlich den lange ersehnten Feind vor sich und hoffte durch einen entscheidenden Schlag Erlösung aus dem elenden Leben, welches man lästiger fand als selbst den verzweifeltsten Kampf.

Es fehlte daher nicht an Excessen, welche bei der ungeheuren Truppenmenge, die sich auf so engem Raume zusammendrängte, unvermeidlich waren. Diese alle wollten verpflegt sein, und bei den unvermeidlichen Schwierigkeiten griff nur zu leicht Selbsthilfe um sich.

Am 24. Juli schien es, als ob es zu dem heißersehnten Kampfe komme. Eine Abtheilung Infanterie wurde auf Pontons an das rechte Dünaufer übergeschifft, eine Brücke geschlagen und gleichzeitig setzten die bayerischen Chevauxlegersregimenter (das dritte, vierte, fünfte und sechste) über den Strom.

Es war ein beschwerlicher Uebergang: die Düna ist tief und hat eine starke Strömung und alles mußte schwimmen. Die Pferde, außer dem Reiter durch die Equipirung schon belastet, streckten nur noch den Hals aus dem Wasser; allein trotz aller Schwierigkeit wurde dieser Uebergang mit großer Präcision ausgeführt; nur ein Mann verlor dabei das Leben. Merkwürdig war das Manöver, welches diese vortreffliche Truppe gleich am jenseitigen Ufer auf einer großen, von Waldungen eingeschlossenen Ebene ausführte. Der Kaiser war auf der inzwischen vollendeten Brücke mit seiner Umgebung übergegangen und recognoscirte mit dieser Cavallerie das Terrain. Die durchnäßten Reiter fegten nach allen Richtungen hin die Feinde aus dem Felde und manövrirten mit solcher Schnelligkeit wie auf einer Parade. Sie zwangen selbst den Franzosen, die den Deutschen nicht gerne Verdienste einräumen, Bewunderung ab; mir lachte das Herz im Leibe, unsere Bayern und namentlich die Chevauxlegers, an denen ich so fest hing, so manövriren zu sehen.

Erst im Kriege lernt man den vollen Werth des Pferdes recht würdigen, wenn man sieht, was es unter den feindseligsten Verhältnissen zu leisten vermag. Bedenkt man, daß alles unbequemer und schwerer wird, wenn Reiter, Sattelzeug und Gepäck von Wasser trieft, so muß man erstaunen, wie es möglich war, mit den durch lange Strapazen, bei schlechtester Nahrung ohnehin schon herabgekommenen Pferden einen solchen Erfolg zu erreichen. Bemerkenswerth ist, daß unsere bayerischen Landpferde sich in diesem Kriege als besonders ausdauernd bewährten, namentlich die aus Niederbayern und der Nähe des Gebirges.

Am Morgen des 25. setzten wir uns gegen Ostrowno in Bewegung. Auf einer Zwischenstation in einem an der Düna liegenden Edelhofe hatte Prinz Eugen sein Quartier bestimmt. Ich ging mit den Equipagen und einer Abtheilung italienischer Gardedragoner voraus, denn ich trachtete, baldmöglichst aus dem Getümmel von Beszenkowicky herauszukommen. Dort angelangt, sahen wir am andern Ufer, das hier tiefer liegt, die Vorposten der Russen und Patrouillen der Kosaken sich hin und her bewegen. Dicht am andern Ufer lag ein Haus mit einem kleinen Garten, in welchem ein Offizier promenirte und uns beobachtete. Die Dragoner machten allerlei muthwillige und herausfordernde Pantomimen, einer aber kam gar auf den fatalen Gedanken, eine unliebsame Rückseite seines Körpers hinüberzukehren. Der Kosakenoffizier machte mit dem Säbel einige Bewegungen in der Luft und es währte nicht lange, so kamen Flintenschüsse herüber. Ich ging etwas beiseits, kniete mich hinter eine Birke und fing an, eine Zeichnung des Terrains zu machen. Aber kaum hatte ich recht begonnen, als mir eine Kugel dicht an der Nase vorbeipfiff und die Rinde des Baumes streifte, daß mir die Fetzen in das Gesicht flogen. Das Feuern wurde immer lebhafter und so sah ich mich genöthigt, nach dem Edelhofe umzukehren. Eben befand ich mich dort im Stalle, um nach meinem Pferde zu sehen, als eine Kanonenkugel durch das Dach des Stalles schlug. Bei den Equipagen des Prinzen befanden sich drei bis vier sechsspännige Wagen; es war komisch, mit welcher Schnelligkeit diese eingespannt wurden und in voller Carrière querfeldein dem nächsten Walde zujagten. Ich blieb, um den Prinzen abzuwarten, der auch bald darauf mit seiner Suite vorüberkam, der ich mich anschloß. In aller Schnelle wurden drei Pferde italienischer Chasseurs, die ihn begleiteten, verwundet. Das Kleingewehrfeuer dauerte fort, während nur noch drei Kanonenschüsse fielen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers