Abschnitt 3

09 Feldzug nach Rußland.


Unter den jämmerlichsten Verhältnissen verweilten wir den 29. und 30. Juni zu Piloni, einem elenden Orte mit armen hölzernen Häusern und abgedeckten Dächern. Zwei Tage lang fiel der Regen unaufhörlich in Strömen, und es wurde für Menschen und Thiere zur Unmöglichkeit, trockene Haut zu bekommen, weil man jeglichen Obdaches entbehrte, also auch jeglichen trockenen Lagers. Den Pferden bekam dieser Zustand noch schlechter als den Menschen; das nasse Grünfutter verursachte ihnen Kolik, an welcher sie nach wenigen Stunden den gräßlichsten Tod fanden; in einer Nacht wurden so Tausende von Pferden weggerafft.


Wahrhaft peinlich waren die Märsche der Truppen anzusehen, welche während jener Tage Piloni ohne Unterbrechung durchzogen. Mühsam und sehr langsam schleppten sich die Colonnen der Infanterie auf den vom Regen erweichten, fast grundlosen Straßen einher, fast alle Viertelstunde gab es einen Halt. Die damals schon oft recht schlecht ernährten Soldaten fühlten sich von Müdigkeit und der Last ihres Gepäckes fast erdrückt. Kleider, Armatur, alles wurde durch die Nässe doppelt schwer. Oft sah ich sie bei solchem kurzen Halte unter den furchtbarsten Flüchen und Verwünschungen ihre Gewehre von der Schulter herabnehmen und mit den Kolben in den Koth hineinstoßen, daß dieser ihnen über dem Kopfe zusammenspritzte. Am Ende mußten sie das schmutzige Gewehr doch wieder aufnehmen, was sie aber wenig beachteten, da ja ohnehin schon alles mit Koth überzogen war. Kamen nun diese armen Menschen nach zurückgelegtem Marsch in ihr Lager, so diente die durchnäßte Erde als Ruhestätte und der Himmel, von dem es in einem fort in Strömen goß, als ihr Gezelt.

Unter solchen Verhältnissen befand sich die französische Armee an den Ufern des Niemen, und man konnte leicht in Versuchung kommen, zu denken, es sei dies eine schlimme Vorbedeutung von dem, was ihrer erst jenseits des Stromes im russischen Lande harrte.

Am 1. Juli betraten wir den russischen Boden: auf einem Marsche von zehn Stunden zählte ich fünfhundert in Folge des ungünstigen Klimas gefallene Pferde. Es läßt sich darnach ein Maßstab anlegen von dem, was hinter uns vorgegangen und von dem, was außer unserm Gesichtskreis lag. Gegen Mittag erreichten wir Krony, die erste Stadt in Russisch-Polen. In auffallendem Contrast stand der Feldbau an beiden Ufern des Niemens: auf russischem Boden wurden plötzlich die Kornfelder üppig, die ganze Vegetation schien besser und fruchtbarer. Von Krony kamen wir in drei Tagmärschen nach Troki, einer (nach dortiger Bauart) hübschen Stadt mit einer ansehnlichen, aus Stein erbauten Kirche, während die Häuser meistens aus Holz sind. Hier blieben wir vier Tage, ich im Schulhause einquartiert, woselbst ich mich Nachts auf einen Tisch zu legen gezwungen sah, wenn ich nicht ganz vom Ungeziefer aufgezehrt werden wollte, denn die Wände schienen des Abends von allem erdenklichen Ungeziefer lebendig zu werden. Diese Plage steigerte sich mit der zunehmenden Hitze.

Von Troki sollte das Armeecorps die Richtung gegen Zemloslau einschlagen. Tags zuvor wurde ein Offizier ausgesandt, um die Straße zu recognosciren. Dieser ging wahrscheinlich nicht weit genug und ließ sich durch falsche Kundschafter täuschen; er kam mit der Meldung zurück, daß die Straße praktikabel sei. Am 8. Juli setzte man sich in Bewegung, als der Weg nach etwa vier Stunden immer schlechter und bedenklicher wurde, es kamen Prügelwege, die durch lange Sümpfe führten und die zuletzt in einen solchen Zustand übergingen, daß die Unmöglichkeit eintrat, mit Cavallerie und noch viel weniger mit Artillerie und Fuhrwesen durchzukommen. Die Pferde fielen bis über die Knie in tiefe Löcher, Kanonen und Wagen sanken ein; es blieb kein Ausweg als umzukehren. Aber es läßt sich nicht beschreiben, welch entsetzliche Unordnung dies auf dem schmalen Knüppeldamm verursachte, es konnte nicht anders bewerkstelligt werden, als daß die letzten die ersten und die ersten die letzten wurden, woraus ein großer Zeitverlust entstand. Ich selbst verlor beinahe mein schönstes Pferd auf einem sumpfigen Wiesengrunde abseits der Straße. Anfangs ging es sehr gut, allmählig aber trat mein Pferd immer tiefer und tiefer ein, bis es über den halben Leib im Sumpfe steckte, ich hob mich aus dem Sattel und arbeitete mich aus dem Sumpfe heraus bis an die Straße. Das Pferd gab ich für verloren; allein der Bürde des Reiters enthoben, machte es die größten Anstrengungen, um sich bis an die Straße hinzuarbeiten, wo es dann mit Hilfe mehrerer Leute herausgezogen wurde. Daß ich und mein Pferd nicht sehr elegant darnach aussahen, ist leicht denkbar, wir waren ganz von Schlamm und schwarzem Moor überzogen.

Alle diese Anstrengungen des ganzen Marsches waren nun vergeblich; der ganze Weg mußte zurückgemacht und auf einer andern Straße angetreten werden und zwar ohne Aufenthalt. Es wurde die Nacht durch marschirt und nur um Mitternacht ließ man die Pferde der Cavallerie eine Stunde lang in einem großen Haberfelde weiden. Tragisch-komisch war der Marsch der Cavallerie durch einen langen dichten Wald: viele vor Müdigkeit auf den Pferden eingeschlafene Reiter rannten sich die Köpfe an die Bäume, da fiel ein Helm herab, da hing ein anderer nur noch am Sturmband fest an der Seite, da fiel ein Reiter ganz herunter. Besonders schlecht ging es der italienischen Guardia d’onore mit ihren übermäßig hohen Helmen. Auch die ermatteten Pferde stolperten oft und stürzten, kurz alles zeugte von den bis auf die Neige erschöpften Kräften der Truppen. In Folge solcher Märsche entstand ein neuer Verlust an Pferden. Ganze Colonnen von Hunderten dieser armen Thiere mußte man im erbärmlichsten Zustande nachführen, mit Löchern im Widerriste oder Rücken, mit Werg zugestopft, aus denen der Eiter in Strömen herabfloß. Bis auf das Gerippe abgemagert, waren sie ein Bild des Jammers und Elendes. So sah es schon Mitte Juli um die Armee aus!

Am 11. Juli schrieb ich aus Olszany in Russisch-Polen an meine Frau: „Ich fange an, den Muth sinken zu lassen, zwei volle Monate auf dem Marsche und für was? und durch welche Länder? Es macht mir Herzweh, daß ich die mir von Gott geschenkte Zeit so elend vergeuden muß. Krieg! das ist ein entsetzliches Wort! da gilt keine Rücksicht auf das Wohl oder Verderben ganzer Nationen, und wehe dem, welcher sich mit dieser Furie bekannt macht und noch ein Herz hat, das für die Menschen schlägt. Was ich seit vierzehn Tagen für Elend gesehen, ist unbeschreiblich: die meisten Häuser stehen leer und sind ohne Dach. Man hat in den Gegenden, welche wir durchzogen, meistens Strohdächer, und dieses alte Stroh diente den Pferden zur Nahrung. Die Wohnungen sind ruinirt oder ausgeplündert, die Bewohner entflohen oder so arm, daß sie sich kaum vor dem Hungertode retten können; viel mehr lassen ihnen die Soldaten nicht. Alle Straßen liegen voll todter Pferde, welche bei der jetzt eingetretenen Hitze weithin einen fürchterlichen Geruch verbreiten, und das Fallen der Pferde wird noch immer ärger. Das ist ein abscheulicher Krieg. Der Feldzug von 1809 scheint nur ein Spaziergang im Vergleich mit diesem; wenn es so fortgeht, weiß ich nicht, wie es enden soll. Trotz des elenden Lebens und des beschwerlichen Umherziehens habe ich doch schon manches gezeichnet, was für mich großen Werth hat, aber diese Zeichnungen kommen theuer genug zu stehen. Und der Erfolg dieses Krieges muß außerordentlich vortheilhaft sein, wenn ein Maler für alle seine Opfer entschädigt werden soll. Dieses Herumziehen in elenden Gegenden und das damit verbundene Vergeuden der goldenen Zeit wird mir nachgerade unerträglich, ich kann es nicht verbergen, daß ich mich auf die erste Schlacht freue. Lieber will ich die Kugeln pfeifen hören, als noch lange dieses trostlose Leben führen. Die Soldaten lechzen nach dem Kampfe, er wird heiß werden, wenn anders die Russen Stand halten! Sollte es ihnen aber belieben, uns noch lange Zeit auf ihrem geräumigem Territorium diese amüsanten Promenaden machen zu lassen, so kann die Armee hübsch matt und müde werden, bis es zu einem entscheidenden Schlage kommt, oder man einen glorreichen Einzug in der Hauptstadt hält, was doch unser Ziel ist. Diesmal sind wir sehr gut in einem großen Edelhofe bei einem reichen Gutsbesitzer einquartiert; seine Bauern sagen ihm aber nicht viel Gutes nach, er ist in der ganzen Umgegend als ein abscheulicher Tyrann bekannt. Man hat ihm eine Schutzwache gegeben, es sind ihm aber doch einige sehr schöne Pferde weggeführt worden.“ –

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers