Abschnitt 2

09 Feldzug nach Rußland.


Napoleon befand sich schon seit einigen Tagen in Dresden und mit ihm ein Theil der deutschen Fürsten, militärische Größen, Diplomaten und Notabilitäten aller Art. Auch Maria Louise mit vielen hohen Damen war anwesend; Feste folgten auf Feste, es war ein ungeheueres reges Treiben.


Napoleon ermangelte nicht, die anwesenden Fürsten seine Macht und Größe fühlen zu lassen, besonders soll der gute König Friedrich Wilhelm von Preußen wahre Demüthigungen erfahren haben. Ich traf zufällig mit diesem unglücklichen Fürsten auf der königl. Gemäldegallerie zusammen und fand, daß man ihm nur zu deutlich den Gram ansehen konnte. Ebenso hörte man über das hochmüthige Betragen der Kaiserin Maria Louise bittere Klagen; auch die Umgebungen Napoleons ließen es nicht fehlen, in ihrer voreiligen Siegestrunkenheit auf alles Andere mit Geringschätzung herabzublicken. – Dadurch und durch andere Fehler fingen schon hier die Grundfesten, auf welche Napoleons Macht gebaut war, zu wanken an: erst wurden einzelne Persönlichkeiten verletzt und später ganze Nationen, bis diese, von dem tiefgekränkten Ehr- und Nationalgefühle auf das Aeußerste gebracht, bei dem ersten Anlasse die Waffen gegen Napoleon kehrten und ihn vom Throne stürzten.

In Dresden mußte ich mehrere Tage auf eine günstige Gelegenheit warten, um weiterzukommen, denn ich erfuhr, daß Prinz Eugen sich zu Thorn an der Weichsel befinde. Zufällig machte ich die Bekanntschaft eines Capitains der kaiserlichen Garde, welcher in Geschäften zu Dresden zurückgeblieben war und nun mit Extrapost zu seinem Regiment befördert wurde. Mit diesem reiste ich bis Thorn. In Eilmärschen, einigemale auch die Nacht hindurch, durchwanderten wir die unschönen Gegenden von Polen und einen Theil von Preußen, ohne daß diese Reise mir viel Angenehmes geboten hätte. Mein Reisege fährte entsprach nicht meinem Sinne, die große Lieblosigkeit, mit der er die armen Bauern behandelte, welche uns unentgeltlich fahren mußten, gab mir manchen Anlaß zum Aergerniß. Auch seine Brutalität in den Quartieren, besonders auf preußischem Boden, erregte meinen Unwillen. In einem kleinen Städtchen Preußens, nur ein Beispiel davon anzuführen, waren wir bei einer artigen, älteren Frau, welche uns eine Bouteille Wein vorsetzte. Er fuhr sie in rauhem Tone an: „Was ist das, Madame, eine Bouteille Wein für zwei Offiziere? Noch eine Bouteille!“ Die Frau weinte und sagte, sie sei eine arme Predigerswittwe, lebe von einem kleinen Gehalte und könne die Kriegslasten nicht mehr erschwingen. Ich suchte den Capitain zu besänftigen und erklärte, ich wolle auf allen Wein verzichten. Aber es half nichts, er setzte seine Brutalitäten fort, bis eine zweite Flasche kam, indem er behauptete, das werde den Leuten alles von der Regierung ersetzt. Ich aber trank weder von der ersten, noch von der zweiten Flasche.

Das war im allgemeinen der Geist, mit dem damals die Franzosen das gedemüthigte und ausgesaugte Preußen durchzogen; es konnte nicht fehlen, daß dadurch der tiefste Rachedurst wachgerufen wurde, welcher die Unbilden in reichem Maße den Franzosen später heimzahlte.

In Thorn angelangt, trafen wir die kaiserlichen Gar den, den Generalstab und den Marschall Berthier. Hier ging es wieder recht toll her. Alles fand ich, nur nicht den Prinzen Eugen. Ich verlor zwei Tage, bis ich endlich in Berthier’s Bureau erfuhr, er sei in Plock an der Weichsel. Ich mußte nun mit Postpferden, die ich nur mit Mühe und durch besondere Begünstigung erhielt, auf meine Kosten nach Plock reisen, aber auch hier erreichte ich mein Ziel noch nicht: der Prinz war wieder mehrere Tagmärsche voraus. Bei der Abreise von Thorn nach Plock hatte ich das Unglück, meinen getreuen Cerberus in einem großen Gedränge bei dem Uebergang über die Weichsel zu verlieren. Trotz aller Mühe konnte ich ihn nicht wieder finden und sah mich genöthigt, ohne denselben von Thorn einen schmerzlichen Abschied zu nehmen.

In Plock saß ich in der peinlichsten Lage, weil ich den Prinzen nicht getroffen: mein Geld war auf der Neige, ich kannte keinen Menschen und stand eben im Begriffe, eine werthvolle goldene Repetiruhr, die ich 1810 von der Vicekönigin zum Geschenke erhalten hatte, an einen Juden zu verkaufen, als ich auf der Straße einen Diener des Prinzen traf, dieser erzählte mir, daß er mit einigen kranken Leuten vom Hauspersonale hier habe zurückbleiben müssen. Ich klagte ihm meine Noth, und er rieth mir, mich an den General Plauson zu wenden, welcher in Plock in Geschäften für den Prinzen zurückgehalten worden sei. Ich begab mich sogleich in sein Quartier, die Adjutanten wiesen mich aber im Vorzimmer ab, der General sei sehr beschäftigt und für Niemand zu sprechen. Ich ließ mich jedoch nicht abschrecken. Gefragt, was ich denn von ihm wolle, theilte ich mein Anliegen mit. Ein Adjutant machte Meldung und der General trat aus seinem Zimmer auf mich zu mit den Worten: „Haben Sie Papiere?“ Nachdem ich mich legitimirt hatte, fuhr er fort: „Sie treffen den Prinzen in Willenberg; wenn Sie sich nicht verweilen und mit Postpferden die Nacht hindurch reisen, können Sie morgen dort sein. Hier haben Sie vier Louisd’or, schreiben Sie darüber eine Quittung und geben Sie dieselbe meinem Adjutanten. Reisen Sie glücklich!“

Mit diesen Worten legte er das Geld auf den Tisch und entfernte sich. Wie nun Glück und Zufall oft im Leben ein wunderliches Spiel mit uns treiben, so wurde mir innerhalb einer Stunde eine doppelte Hilfe. Als ich von Plauson wegging, mußte ich über einen großen Platz, um nach meiner Wohnung zu gelangen. Schon von ferne sah ich einen italienischen Courier gerade auf mich zueilen. Ich blieb wie gefesselt stehen, und als er mich erkannte, schrie er laut auf vor Freude. Ich war das erste Gesicht vom Hofe, welches ihm nach einem Wege von 450 Stunden begegnete, und solche Begegnungen unter solchen Umständen in einem wildfremden Lande machen immer Freude. Lambert (so hieß der Courier) kam direkt von Mailand. „Sie müssen mich mitnehmen,“ sagte ich, „in einer Viertelstunde bin ich mit meinem Gepäcke an der Post.“ – „Abgemacht!“ Gerne hätte ich nun dem General Plauson sein Geld zurückgestellt, aber es hätte nur Zeitverlust mit sich gebracht. In raschem Laufe ging es nun ohne Aufenthalt in das Hauptquartier des Prinzen. Lambert war ungemein vergnügt, einen Gesellschafter zu haben, es gab gegenseitig viel zu erzählen, und so schien uns diese letzte Strecke gar nicht lange, obschon wir mit Courierpferden noch einige 20 Stunden brauchten, sie zurückzulegen.

Am 10. Juni gegen 11 Uhr Vormittags kamen wir zu Willenberg in Ostpreußen an und trafen dort das Hauptquartier des vierten Armeecorps, welches Eugen befehligte, und die Bayern, welche zu demselben gehörten.

Meine Ankunft wurde freudig aufgenommen, Oberst Bataille sagte mir: „Der Prinz hat gerade vor einigen Stunden den Auftrag gegeben, ein Schreiben an alle Commandantschaften auf der ganzen Militärroute ergehen zu lassen, damit diese Sie aufforderten, Ihre Reise zu beschleunigen.“ Daß ich selbst diesem Befehle zuvorgekommen bin, konnte daher nicht verfehlen, einen guten Eindruck zu machen. Jetzt erfuhr ich auch, daß Mr. Méjean beauftragt war, mich in seinem Wagen von München aus mitzunehmen. Dies schien ihm übrigens nicht bequem, und so ließ er mich mit dem Pferdetransport reisen. Prinz Eugen empfing mich ungemein liebreich; er übergab mir ein schönes Portefeuille in rothes Saffianleder gebunden, das in Gold seinen Namen trug und das er eigens von Paris für mich mitgebracht hatte, um es als bildliches Tagebuch dieses Feldzuges zu benützen. Recht herzlich lachte er, als ich ihm meine Reiseerlebnisse und meine Geldverlegenheit erzählte.

Am 11. kamen wir nach Ortelsburg, am 12. nach Brodinen, am 13. nach Sensburg, am 14. nach Rastenburg, einer kleinen Stadt, welche an einem unbedeutenden, von Hügeln eingeschlossenen See liegt. Unser Aufenthalt dauerte bis zum 18. Sodann durchwanderten wir einen Theil von Ostpreußen und Polen in zehn Tagemärschen über Lötzen, Polomen, Oletzko, Szidorovea, Kalwarya, Mariampol, Michalsky, Joehmizky nach Piloni am Niemen. Im Ganzen unschöne, oft ganz unfruchtbare Gegenden, die dem Niemen zu immer armseliger wurden. In Piloni standen wir an der Gränze Rußlands. Unverzüglich begann unter dem Schutze einer auf dem etwas erhöhten Ufer aufgestellten Batterie das Schlagen einer Schiffbrücke. Während dieser Arbeit aber wurde das Grenadierregiment der italienischen Garde auf Pontons an das russische Ufer übergeschifft.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers